24 Stunden

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Schnaubend standen sich Dexter und Ilus gegenüber, keiner sah den jeweils anderen an. Henry stand neben ihnen und schob sie ein Stück näher aneinander ran. Beide murrten, als sie gleichzeitig ihre Hand dem jeweils anderen gaben und die Hände schüttelten. Zufrieden lächelte Henry: "Geht doch". Zigz hob eine Augenbraue: "Hat ja jetzt nur eine halbe Stunde an Schweigen gebraucht". Positiv erwähnte Henry: "So schweigsam war es doch gar nicht. Man hat die gesamte Zeit Sharks Trommel aus dem Hintergarten gehört". Zigz knurrte Dexter an: "Ich habe ein Auge auf dich, kleiner Junge". Dexter setzte sich ruhig auf eine der Holzkisten und dachte nach. Hingegen bat Ilus Henry: "Bitte such Koi auf und frage nach dem Status der Waffenlieferung". Er nickte und tat, was er sich wünschte.

Mal war Koi nicht in seinem Loch. Langsam wurde das Wetter wieder wärmer. So saßen er und Lucky auf der Ladefläche eines kleinen Pickup-Trucks und Koi bekam gerade ein neues Tattoo auf seiner rechten Schulter von Lucky. "Was wirds?", fragte Henry neugierig. Lucky schmunzelte: "Ein Koi". Koi sprach direkt: "Sag nichts oder ich steche dir mit dieser Maschine deine Stimmbänder kaputt". "Ist doch cool. Es soll ja ausdrücken, wer du bist", hielt Henry die Daumen hoch. Lucky konnte sich das nicht verkneifen: "Ein fetter, hässlicher Fisch...". Koi holte tief Luft: "Ich darf mich nicht bewegen...".  Henry versuchte für Koi einzustehen: "Für einen fünfundzwanzig Jährigen hast du das Aussehen und die Größe eines zwölf Jährigen". "Gott hat mir so viel Charakter gegeben, dass es nicht mehr für die optimale Beingröße gereicht hat. Dennoch bin ich größer als die meisten Weiber aus meiner Abschlussklasse", verteidigte er sich. "Manchmal frage ich mich, ob ihr Zwillinge seid...", kratzte Henry sich am Hinterkopf. Gleichzeitig antworteten sie: "Ja, von der Persönlichkeit".

Erst machte Henry große Augen, dann schüttelte er mit dem Kopf und sprach das eigentliche Thema an: "Ich soll für Ilus fragen, wie-". "In drei Stunden", unterbrach Koi direkt, "Würdest du jetzt bitte wieder gehen und dein hübsches Mäulchen halten? Ich habe hier Schmerzen". Lucky zankte ihn: "Wäh-Wäh-Baby". "Sagt der ohne ein einziges Tattoo", konterte Koi. "Und seltsamerweise finden die Frauen mich attraktiver", merkte er an. Koi beschwerte sich: "Ah, warte kurz. Mein Arm juckt, darf ich den kratzen?". Lachend legte Lucky die Maschine zur Seite: "Ja okay, komm. Schlag mich". Das tat er auch. Entgeistert stand Henry daneben. Er schüttelte mit dem Kopf und ging wieder zurück in die Lagerhalle. Zigz hatte wohl am Fenster die Situation beobachtet gehabt: "Beide nehmen alles mit Spaß. Denke ich. Seit Kois erstem Tag vor einem halben Jahr hier, wo er und Lucky sich um eines der Betten geprügelt hatten und Koi gewann, wurden sie Freunde. Dafür, dass Koi jetzt freiwillig gerne unter der Treppe schläft... Ein seltsamer Junge. Aber die beiden in der Mischung sind mir sowieso... fragwürdig".

Henry hatte schon Seltsameres gesehen. Also wollte er einfach weiter zu Ilus, welcher aber gerade nicht mehr aufzufinden war. Sogar im Hintergarten sah Henry nach. Da saß aber nur Shark, wie er eigene Melodien aus Kreativität heraus zusammen trommelte. Dabei lag die Kuh ruhend vor ihm. "Dafür, dass dir ein Tier dein Auge genommen hat, hast du eine ziemlich gute Bindung zu ihnen", fiel Henry auf, während er sich neben ihn setzte. "Sie hören immer zu. Und sind immer bei mir. Selbst wenn Olga sprechen könnte, sie würde mich nicht aus Schule werfen", erklärte er gefühlvoll. "Ich wollte mich nie trauen, genauer nachzufragen...", zögerte Henry, "Was genau war damals vorgefallen?". "Wir zogen hierhin. Ich konnte kein Englisch und Schule immer so schwer... Dann bei Arzt eine Krankheit, irgendwas ist falsch mit mir. Meine Eltern waren traurig", erzählte er. Auf einmal ertönte Mitya: "Er hat keinen geminderten IQ. Jedoch hat er eine Störung, die es ihm verbietet, manche normale Abläufe im Leben zu verstehen oder nachvollziehen zu können. Besonders mit sozialen Kontakten tut er sich schwer. Doch seitdem Ilus ihn aufgenommen hat, schien es ihm immer besser zu gehen. Keiner weiß es so genau, aber eventuell sollte man die Erziehung hinterfragen".

Henry munterte Shark auf: "Solltest du deine Eltern jemals wiedersehen, kannst du mit allem angeben, was du jetzt hast. Du hast ein Pokerspiel gewonnen, damit hätten sie wohl nie gerechnet. Und du hast viele Freunde. Sie würden staunen, dich zu sehen". Shark lächelte leicht: "Und im Schatten stehen". Mitya hob die Augenbrauen: "Wortwörtlich. Übrigens, Henry. Ilus meinte, Iceman hätte ihn angerufen, doch den Anruf verpasst gehabt. Er wartet nun auf erneuten Rückruf. Dafür hat er sich in Kois Versteck gesetzt". Sofort sprang Henry auf: "Danke dir". Doch war Ilus schon im Telefonat, als Henry bei ihm ankam. "Ich weiß, dass du den Standort deines Rings kennst. Du wartest gerade nur auf dein Waffenarsenal. Du hast deinen Japaner, aber auch ich habe meine Auskünfte und die sind nicht mal annähernd so nervig. Du weißt, du hättest alles haben können. Nur dein armer, armer Stolz...", hörte Henry Iceman reden. Ilus antwortete kalt: "Dann solltest du ja darauf vorbereitet sein, morgen Abend ein letztes Mal mir in die Augen sehen zu können". "Bilde dir nicht zu viel darauf ein, dass ich ins Gefängnis wandere. Ich werde euch alle mit in mein Schicksal reißen. Jeden einzelnen aus deinem Therapie-Kreis, inklusive dir und deinem kleinen Freund", drohte Iceman an.

"Schön, dass du eingesehen hast, dass Henry zu mir gehört und du deine Finger von ihm zu lassen hast", grinste Ilus schief. Iceman wirkte aggressiv: "Wenn ich nicht das bekomme, was ich will, dann wird eben keiner von euch weiter atmen. Ich weiß ganz genau, dass er deine Schwachstelle ist. Auch weiß ich, dass du ihn mitnehmen musst. Du wärst nicht dumm genug, ihn alleine irgendwo in deinem Versteck zu lassen, dessen Standort ich kenne. Aber egal, was du versuchst - Ich habe mehr Männer und mehr Waffen. Du weißt, dass ich gewinnen werde". "Und du weißt, dass ich kämpfen werde", forderte Ilus dunkel heraus. "Ein echter Chef würde nicht seine besten Männer dem klaren Tod aussetzen. Aber das ist ja deine Entscheidung. Boss kann ja nicht mehr über dich entscheiden. Von daher... Gute Nacht, Ilus. Träum süß, damit es dir morgen bloß nicht an Energie fehlt", schmunzelte Iceman und das Telefonat endete. Ilus holte tief Luft und bewahrte Ruhe.

Henry kroch zu ihm und unterschätzte den kleinen Platz. Stören tat es ihn nicht. Er wollte Ilus sowieso Komfort geben: "Wir schaffen das morgen. Auch wenn er eine größere Anzahl an Männern und Waffen hat, haben wir doch das engere Bund und ein viel besseres Verhältnis zueinander. Wichtig ist dabei nur, dass wir als Team-". Ilus unterbrach ihn: "Du wirst hier bleiben". "Hä?", guckte Henry bedeppert. "Jetzt denkt Iceman, dass ich dich mitnehmen würde. Nein Henry, du bleibst hier", bestand Ilus darauf, "Du hast Recht, als Team werden wir alle es gut schaffen, davon sind aber du und Dexter ausgeschlossen. Ich kann das wirklich nicht riskieren. Ich bitte dich nochmal darum, dir nicht deine Hände dreckig zu machen. Und Iceman ist gefährlich. Ich sage nicht, dass du nicht gut genug wärst. Ich habe einfach Angst und du würdest mich ehrlich gesagt ablenken. Selbst wenn ich deine Fähigkeiten kenne, so würde ich immer nach dir Ausschau halten und das könnte uns beiden das Leben kosten. Also bitte, bitte, bleib hier und sicher".

Sich widersetzend hob Henry eiskalt eine Augenbraue: "Nein".

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Dexter versuchte Ilus nicht anzuschreien: "Und weshalb hast du meinen besten Freund gefesselt?". Wild zappelnd saß Henry in Seilen und Panzertape auf dem Boden. Ilus wies an: "Du gehörst zwar nicht zu meiner Gang hinzu, aber du hast mir schon ein paar Mal ausgeholfen. Du würdest es doch für Henry selbst nicht wollen, dass er eine Waffe in die Hand nimmt und mutmaßlich andere erschießt ohne darüber nachzudenken, oder?". Schon gab Dexter nach: "Fein, ich werde auf ihn aufpassen". "Shark wird ihn morgen Abend durch einen speziellen Schlag in einen schlafenden Zustand schicken. Wirklich aufpassen wirst du gar nicht müssen. Henry wird dadurch nicht zu Schaden kommen. Ob du es mir glaubst oder nicht, ich würde ihm das nicht antun können", erklärte Ilus.

Während Henry zappelte, grummelte auch noch sein Magen. Ilus ging zu Zigz und griff ihm einen Keks ab. Zigz war beleidigt: "Hey! Den wollte ich gerade essen!". Danach hockte sich Ilus zu Henry runter, zog das Panzertape ab, schob ihm den Keks in den Mund und klebte das Tape wieder drauf. Irgendwas versuchte Henry zu sagen. Koi rief rüber: "Mit vollem Mund spricht man nicht". Lucky setzte nach: "Oder mit zugeklebtem". Nochmal wand sich Ilus an Dexter: "Ich bitte dich darum, nicht nur morgen Abend auf Henry aufzupassen. Sollte ich nicht zurück kommen, dann sollst du bitte dafür sorgen, dass er nicht noch einmal so traurig wird. Ich könnte nicht ruhig in meinem Grab schlafen". Still nickte Dexter streng. Henry regte sich auf und trat Ilus so in die Kniekehle, dass er hinfiel. Ilus konnte sich schon denken, dass er unter dem Klebeband schrie, so was nicht zu sagen.

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