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Die Britin traute ihren Augen kaum. Die Siebzehnjährige erkannte das Blutrote Kleid, die leicht gebräunte Haut der Dame. Und vor allem die dünnen zierlichen Fingerknochen waren sehr charakteristisch.
"Alejandra? Bist du Alejandra?"
Die Dame fing an zu lachen und offenbarte dem jungen Mädchen ihr Gesicht.
Ihre Augen besaßen unterschiedliche Farbtöne. Das Linke wirkte wie Rehfell. Das Rechte hingegen trug die Farbe der dunkelsten Schokolade, die Blair je gesehen hatte.
"Sí, kleine. Ich bin deine Vorfahrin. Und du bist meine Nachfahrin. Uns trennen grob zweihundert Jahre voneinander."

Die Britin trat vorsichtig näher um ihre Gesprächspartnerin besser unter die Lupe nehmen zu können.
Alejandras Gesichtzüge ähnelten denen des jungen Mädchens, wirkten sogar beinah identisch. Blair besaß genau wie ihre Spanische Vorfahrin verschiedene Augenfarben. Ihr Linkes Auge schimmerte beinahe Silbern, wenn sie Tränen trug, während ihr Rechtes eine eisblaue Farbe besaß. Doch auch in diesem befand sich ein deutlicher Graustich.
Mit einem leichten Kopfschütteln konzentrierte sich die Britin. Sie war wegen einer Frage hier, die sie noch nicht gestellt hatte.
"Alejandra. Wen soll ich für dich finden. Wer ist der Falke, der nicht fliegen kann?"

Mit einem Leisen Räuspern begann die Dame zu erklären.
"Schau, kleine. Du bist meine Vorfahrin. Ich wollte meine Verantwortung übertragen, sollte ich einmal nicht mehr sein. Doch war ich mit meinem Partner nicht glücklich. Mein Herz gehörte jemandem anderen. Dem Falken, der nicht fliegen konnte. Sie zeigte mir, was Vertrauen wirklich bedeutete. Mit ihr war ich wahrlich glücklich und frei. Nur sah sie nie, was Ich in ihr sah."
Blair nickte verstehend. Sie konnte den leicht bedrückten Blick ihrer Vorfahrin gut erkennen und nachvollziehen.
"Also möchtest du, dass ich die Nachfahrin deiner Liebe suche, richtig?"
Daraufhin nickte ihre Gesprächspartnerin.

"Sí, Blair. Ich fühle deine Einsamkeit. Den Schmerz tief in deiner Brust, der entstanden ist, weil du keinen Weggefährten besitzt und eine Mutter, die ihren Schmerz mit allen Mitteln  betäubt, keine Lösung für dich ist. Bei deiner Tante fühlst du dich ebenfalls nicht wohl. Ich möchte deine Stütze sein, obwohl uns beiden klar ist, dass dies nicht für immer möglich ist. Daher ist es besser für uns beide, wenn du sie findest."

Die Britin nickte verstehend und näherte sich der Dunkelhaarigen, welche ihre jüngere Vorfahrin behutsam in die Arme schloss.
"Mija, du hast etwas besseres verdient. Du hast ein besseres Leben verdient. Doch stattdessen halten dich die Templer in einem Labor gefangen, aber wir werden dich befreien."

Der Druck der Umarmung seitens der Siebzehnjährigen wurde stärker, während ein leichtes Lächeln sich über ihre Lippen legte.
"Wir werden gemeinsam ausbrechen und nach ihr suchen. Eine Bitte habe ich allerdings an dich, Alejandra. Ich habe hier noch etwas zu erledigen. Könnten wir den Ausbruch auf später verlegen?"
Sanft strich die Spanierin durch das feine, Aschblonde Haar des Mädchens und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
"Sí. Ich bin bereit, wenn du es bist, Kleines. Nun ruh dich aus."

Wie auf Knopfdruck schreckte das Mädchen auf, und stieß mit voller Wucht ihren Kopf an die recht niedrige Decke, weswegen sie als Folge des Schmerzes, der in ihren Kopf kurz vorherrschte, wieder zurück in ihr Bett sank. Sie befand sich wieder in der tristen Realität. Eingesperrt hinter unzähligen Grauen Mauern. Zu ihrem Glück schlichen wenige Forscher auf den Gängen herum. Ein Zeichen, dass es höchstwahrscheinlich früh am Morgen war. Wie ferngesteuert setzte sich Blair auf und trat durch die Tür.

Mit zügigen Schritten bewegte sie sich durch die Gänge und schritt direkt auf das Labor zu. Angepeilt hatte sie einen ganz bestimmten Raum, den Blair recht schnell fand. Die Britin schlug kräftig gegen die Tür, die bereits offenstand, um sich Gehör zu verschaffen. Der Forscher, der für sie zuständig war, schreckte hoch, stieß dabei gegen einige Glasgefäße, die wie Dominosteine umfielen.
"M-Miss C-Collins! Was suchen sie denn hier? Es ist erst 7 Uhr!"
Mit zielgerichteten Schritten näherte sich Blair der Liege und setzte sich. Ihr Körper war zu dem Forscher gewandt. Auch waren ihre Beine verschränkt.
"Ich möchte in den Animus. Unverzüglich. Keine Widerrede. Haben sie meine Worte vernommen?"

Der Forscher nickte hastig und eilte zu der Siebzehnjährigen. Die Überforderung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Schnell begab sich Blair in Position und entspannte sich, während ihr Kopf in das Kissen der Schwarzen Liege versank. Sie konnte es kaum abwarten, Alejandras Reise nach England in den Letzten Zügen zu sehen.
So schnell wie sie sich auch entspannt hatte, nahm sie auch die Spanische Luft und ein sanftes Prickeln in ihrem Kopf wahr. Endlich befand sie sich wieder in Windeseile im Jahr 1810.

Hija de la muerteDonde viven las historias. Descúbrelo ahora