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„Ist euch klar, wie scheiße es ist, an eurer Seite zu laufen und von den Mädchen gedanklich umgebracht zu werden?" Ich bedachte eine Klassenkameradin mit einem finsteren Blick. Bis vor ein paar Wochen hatten wir noch normal miteinander reden können. Sie hatte zwischendurch mit mir gesprochen, mir bei verschiedenen Aufgaben geholfen und mich auch schon ihre Hausaufgaben abschreiben lassen. Jetzt wollte sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Wie schon andere Mädchen, ließ auch sie mich ihre Unzufriedenheit spüren. Dass ich seit drei Stunden an der Seite der beiden Lieblinge unserer Stufe lief, sie bei der Arbeit unterstützte, gefiel hier niemandem.

Immerhin war ich so vor unangenehmen Fragen geschützt.

„Die haben doch noch gar keinen Grund bekommen, um dich wirklich umbringen zu wollen", antwortete Dorian grinsend. „Würden die uns aus einem Raum kommen sehen, wie du deine Klamotten richtest, wäre das was anderes." Er zwinkerte mir zu.

Ich schnaubte. „Ihr wollt den Scheiß echt auf die Palme treiben, was?", entgegnete ich entnervt, hörte mich nach wie vor krank an. „Nehmt euch die Mädchen einfach und macht sie glücklich."

„Kein Bock drauf." Kilian sah mich flüchtig an, während er sich auf einen Stuhl setzte.

Dorian ließ sich neben mir nieder. Ich hatte mir einen Platz am Fenster genommen, um wie versprochen die Grundschule im Blick zu haben und handeln zu können, sollte mir etwas auffallen. Niemals würde ich gegenüber meinem Bruder ein Versprechen brechen. Unter keinen Umständen würde ich zulassen, dass ihm etwas geschah. Sein Wohlbefinden stand an erster Stelle und ich wollte, dass er lächelte. Alexander war bis letzte Woche noch ein glücklicher Junge gewesen.

Miriam hatte ihn zerstört.

Aus meiner Tasche holte ich mehrere Tupperdosen und stellte sie auf den Tisch, den wir uns zum Fenster geschoben hatten. Beide Jungen schauten mir zu, wie ich die Dosen öffnete und die Deckel auf die Fensterbank legte. Ich hatte am Morgen lange in der Küche gestanden, um ein paar Kekse zu backen und eine warme Mahlzeit zuzubereiten, die jetzt zwar kalt war, dennoch genießbar sein würde. Mini Quiches, Pizzakegel und Lachshörnchen hatte ich gemacht.

„Bedient euch. Lasst nur was für Alex übrig."

„Du hast für uns auch was gemacht?", hakte Kilian skeptisch nach. Seine Augen ruhten auf den Keksen, die Erinnerungen in ihm hervorriefen mussten. Es waren jene Kekse, die ich damals jedes Mal mitgebracht hatte, wenn ich Alexander bei seiner Familie zum Übernachten gelassen hatte.

„Mh, sieht so aus." Ich griff nach einem Lachshörnchen und biss davon ab. Kurz sah ich hinüber zu der Grundschule. Der Schulhof war leergefegt. Die Kinder befanden sich in ihren Klassenräumen, wurden unterrichtet, während hier seit geraumer Zeit kein Unterricht stattfand und man sich stattdessen dem Herbstfest näherte. Kostüme und Tischdecken waren genäht, Dekorationen selbst gebastelt worden. Man hatte zwei Speisekarten entwickelt, die in mehrfacher Ausführung hinterher auf den Tischen liegen würden. Elektrogeräte hatte man besorgt, sich an Rezepten ausprobiert, damit man Waffeln und anderes anbieten konnte. Getränke waren bereits geliefert worden, während es zusätzlich Kaffee und Tee geben würde. Wir hatten aus unserer Aufgabe alles herausgeholt, damit wir die Besucher anlocken und überzeugen konnten. Die Ausgaben waren hoch und man hoffte, dass die Einnahmen wieder ins Plus gehen würden.

„Cool. Das sind sogar die gleichen Kekse wie damals", merkte Kilian verdutzt an und schob sich den Rest eines Kekses in den Mund. „Dann hast du die damals schon gemacht und nicht deine Mutter, wie du immer behauptet hast?"

„Papa war Koch. Er hat mit mir immer in der Küche gestanden und mir alles beigebracht. Nur durch ihn, konnte ich für Alex frisch kochen und musste nicht auf fertige Produkte zurückgreifen", erzählte ich. Man hörte heraus, wie sehr mich das Thema um meinen Vater mitnahm. „Das Backen war nicht seine Stärke, aber er hat sich Mühe gegeben und mit mir gemeinsam verschiedene Rezepte ausprobiert und verändert."

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