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Während andere Jugendliche um diese Zeit unter der Dusche standen und sich auf das Frühstück mit der Familie freuten, verließ ich mein Zimmer nachdenklich. Was konnte ich Alexander zum Frühstück machen? Was gab ich ihm mit in die Schule? Welche Unterrichtsstunden hatte er montags? Wie lange würde er in der Schule sitzen? Hatte ich genug Zeit, um noch eine Kleinigkeit zu kochen, damit wir mittags zusammen in meiner Klasse essen konnten?

Meine Routine sah anders aus, als bei anderen Jugendlichen, welche aufstanden, duschen gingen, frühstückten und das Essen von ihren Eltern gemacht bekamen. Manche verschliefen und wurden von einem Elternteil gefahren, doch ich war auf mich alleine gestellt. Jeden Morgen musste ich mir den Kopf zerbrechen, wie ich meinen Bruder auf die Schule vorbereitete und seine Laune oben hielt, damit er nicht zu sehr an unsere Mutter dachte, die im Schlafzimmer mit Valentin lag. Womöglich hatten sie ihre Nacht noch lange ausgekostet, waren nackt unter der Bettdecke und würden ein weiteres Mal miteinander schlafen, sobald Alexander und ich die Haustür in ihr Schloss gezogen hatten.

Die Möglichkeit verwarf ich allerdings, kaum dass ich Valentin erblickte, wie er aus dem Badezimmer herauskam und sich beim Gehen das glatte Hemd zuknöpfte. Ich erhaschte einen Blick auf seine rasierte Brust und erkannte ein wenig Fett an seinem Bauch. Gerade so viel, dass sich der Bauch nicht wölbte, aber genug, dass man es bemerkte, wenn man ihn ohne Kleidung sah.

„Oh, Tiana", meinte er überrascht und zog das Hemd enger um seinen Körper. „Ich wusste nicht, dass du so früh aufstehst."

Natürlich weißt du das nicht. Du bist das erste Mal an einem Montag hier.

„Alex und ich müssen zur Schule", erinnerte ich ihn mit fragwürdigem Blick. Dass mir die Aussicht durchaus gefallen hatte, ließ ich mir nicht anmerken. Der Mann war attraktiv, dagegen konnte ich nichts sagen, aber er war der Freund meiner Mutter und mindestens zehn Jahre älter als ich. Mir war durchaus bewusst, dass ich den Jugendlichen nichts abgewinnen konnte. Mich reizten die Männer. Sie strahlten mehr Sexappeal aus, traten mit mehr Sicherheit auf und waren in ihrem Alter wesentlich hübscher anzusehen, während Jugendliche mir zu kindisch waren. Da ich selbst keine Kindheit mehr hatte und zum Erwachsensein gezwungen worden war, hatte ich den Teil im Leben verpasst, in dem man sich in einen gleichaltrigen Jungen verliebte und mit diesem sein erstes Mal hatte.

Nicht, dass ich noch keinen Sex gehabt hatte. Ich hatte schon ein paar Mal mit einem Jungen geschlafen, weil ich die Erfahrung haben wollte. Mir war es wichtig gewesen, eine Frau zu werden und nicht als Jungfrau durch die Straßen zu laufen, während ich die Hand meines Bruders hielt, der in mir seine Mutter sah. Für diese Erfahrung hatte ich mich dem erstbesten Jungen hingegeben und mit sechzehn mein erstes Mal gehabt. Atemberaubend war es nicht gewesen und keine Erinnerung, die ich in mir hervorrief. Ich glaubte allerdings, dass meine Erwartungen zu hoch waren. Ich wollte richtig angepackt werden, nicht mit Samthandschuhen. Der Mann sollte wissen, was er wollte und mir zeigen, wie sehr er mich wollte. Blümchensex war mir zu langweilig, dessen war ich mir sicher.

„Ja, ich weiß." Valentin schloss den letzten Knopf und fuhr sich mit einer Hand durch die schwarzen Haare. „Ich habe einfach gedacht, ihr würdet erst in einigen Minuten aufstehen."

Darauf antwortete ich nicht und ging an ihm vorbei, um gleich an der Wohnzimmertür stehen zu bleiben und das Sofa mit zusammengekniffenen Augenbrauen zu beäugen. Das war ein seltsamer Anblick, den ich nicht so recht verstehen wollte. Die Decke lag der Länge nach auf dem Sitzpolster und es war deutlich zu erkennen, dass man sie zur Seite geschlagen hatte, um aufzustehen. Ich wollte darüber nicht nachdenken, doch die Frage war nicht zu ignorieren. Hatte Valentin auf dem Sofa geschlafen, statt bei Miriam im Bett?

Ich schüttelte den Kopf, wollte die Antwort darauf nicht kennen. Das ging mich nichts an.

Neugierig war ich dennoch. Wenn die beiden getrennt schliefen, würde er womöglich bald aus unserem Leben verschwunden sein. Alexander und ich würden uns nur noch mit Miriam rumschlagen müssen. Aber war das für meinen Bruder in Ordnung? Er mochte Valentin sehr.

Warum leben?Where stories live. Discover now