20.Gewissheit

376 16 0
                                    

Lucius bemerkte die Veränderungen seiner Frau. Das mussten die Hormone sein. Sie war in sich gekehrt, sprach noch weniger als sonst, sah ihn nie mehr unverwandt an sondern hatte stets den Blick gesenkt. Jegliches Leuchten war aus ihren Augen verschwunden. Sie begrüßte ihn immer noch jeden Abend, gehorchte ihm aufs Wort, das hätte ihm eigentlich genügen müssen. Doch sie erschien ihm wie eine leere Hülle, einer Marionette gleich. Die Heilerin versicherte ihm, dass seine Gattin all ihre Anweisungen befolgte und es dem Kind prächtig ginge. Durch seine Aufträge, welche er für den Dunklen Lord zu erledigen hatte, war er kaum noch zu Hause. Er sah Narzissa nicht oft, doch wenn er sie einmal zu Gesicht bekam, dann konnte er ihren Anblick kaum ertragen. Wahrlich, sie war immer noch wunderschön. Ihr Haar glänzte in jedem noch so kleinsten Lichtstrahl, ihre Haut war weiß wie Schnee und so zart wie die eines Kindes, ihre Haltung perfekt und graziös, ihre ganze Erscheinung grenzte an Perfektion. Doch ihre Augen waren leer und ihren Mund zierte nicht einmal das kleinste Lächeln. Oftmals hatte Lucius das Bedürfnis sie deshalb zu strafen. Er wollte sie an den Schultern packen und so heftig schlagen, dass sie wieder zu sich kam. Er vermutete jedoch, dass selbst das nichts bringen würde. Außerdem trug sie ein Kind in sich und er wollte es nicht gefährden. Doch selbst wenn er sich auf einer gefährlichen Mission befand schweiften seine Gedanken immer wieder zu seiner Frau.
Draußen wurde es kühler, die meisten Blätter waren bereits von den Bäumen gefallen, morgens bildete sich bereits Reif und die meisten Vögel waren in ihr Winterquartier geflogen. Bald würde man feststellen können, ob sich all seine Hoffnungen erfüllen und Narzissa ihm einen Sohn schenken würde. Welch eine Erleichterung die Gewissheit darüber sein würde!
Durch Narzissas Schwangerschaft traute er sich nicht ihr näher zu kommen. Er wollte kein Risiko eingehen. Deshalb ging er wieder zu seiner alten Gewohnheit über, sich mit anderen Frauen zu vergnügen. Immerhin hatte er Bedürfnisse und das nicht zu gering. In den höheren Gesellschaftsschichten war es Gang und Gebe, sich einige Geliebte zu leisten. Kaum eine Ehe wurde aus Liebe geschlossen. Doch wieder musste er feststellen, dass er nicht annähernd die Befriedigung dabei empfand, wie wenn er mit seiner Frau schlief. Keine andere Frau kam auch nur annähernd an ihre Schönheit heran, keine konnte so perfekt auf seinen Körper und dessen Bedürfnisse eingehen, keine brachte es fertig sein Verlangen zu stillen. Er sehnte sich nach der Nähe seiner Frau und brachte es doch nicht über sich, sie des Nachts aufzusuchen. Dieser Zustand ließ ihn verbittern. Wenn er des Nachts einen Mord im Auftrag seines Herrn begehen musste, dann tat er das mit erschreckender Grausamkeit. Selbst seine Gefährten erzschraken vor seiner Herzlosigkeit. Doch den dunklen Meister erfreute es und so stieg der junge Malfoy in dessen Achtung.
Es war zwar noch früh, doch Narzissa wollte alle Erledigungen für die Ankunft ihres Kinds geschafft haben, bevor es ihr ihre Umstände verboten. Somit begann sie schnell mit der Einrichtung des Kinderzimmers. So schwer es ihr auch fiel, begab sie sich in die Winkelgasse. Erneut wurde sie von allen Seiten her angestarrt, sie spürte die vernichtenden Blicke und hörte das Getuschel. Niemals würde sie vor solchem Gesindel Schwäche zeigen. Mit erhobenen Haupt und Elisa im Schlepptau kümmerte sie sich um ihre Besorgungen. Sie ging kein Risiko ein, kaufte nur das, wobei sie sich sicher war, dass es Lucius gefallen würde. In kürzester Zeit hatte sie alles, wofür sie hergekommen war ausgesucht und geordert. Nun wünschte sie sich nichts mehr als endlich den Blicken der anderen entkommen zu können. Sah man ihr an, wie bedeutungslos sie für die Welt war? Hohn, das sah sie in den Augen der Leute. Und sie wusste, dass sie sie zu Recht verspotteten. Zurück in ihrem Heim fühlte sie sich müde und ausgelaugt. Noch einmal würde sie nicht so schnell das Haus verlassen.
Einige Tage später war das Kinderzimmer fertig, die erste Kleidung sowie Windeln, Fläschchen und dergleichen gekauft und alles hergerichtet. Gerade bei dem Anblick der winzigen Kleidung sehnte sich Narzissa nach ihren Nähnadeln. Doch niemand durfte von ihrem Geheimnis erfahren und da Elisa ihr nicht von der Seite wich, war es unmöglich für sie, ihrem liebsten Hobby nachzugehen. So saß sie stundenlang vor dem Fenster und sah den Bäumen zu, wie sie sich im Herbststurm bogen. Es regnete tagelang, sie konnte noch nicht einmal spazieren gehen. Elisa bemühte sich rührend sie abzulenken. Mal spielten sie Karten, mal erzählte sie ihr Geschichten. Unter Zissas Kleidern zeichnete sich mittlerweile ein kleines Bäuchlein ab. Es war ihr nicht mehr möglich enge Kleidung zu tragen und sie merkte auch, dass sie immer scherfälliger wurde.
Endlich war es soweit. Elisa begab sich mit ihrer Patientin auf deren Zimmer und begann mit den Untersuchungen. Immer wieder ließ sie ihren Zauberstab über Narzissas nackten Bauch fahren und murmelte Zaubersprüche. Dann trug sie eine wärmende Tinktur auf, die sofort in ihren Leib einzog. Nun schloss die Heilerin die Augen. Narzissa sah, wie sich ihre Augen unter den Lieder hin und her bewegten. Beinahe gruselig wirkte dieses Szenario. Doch kurz darauf öffnete sie sie wieder.
„Kein Zweifel. Es ist ein Junge. Ein kräftiger, starker, kerngesunder Junger."
Narzissa ließ ihren Kopf in die Kissen sinken und dankte allen Mächten dieser Welt und darüber hinaus.
„Lass mich es meine Ehemann mitteilen. Sobald er heute das Haus betritt, werde ich es tun."
„Gewiss."
Ein kleiner Funken Hoffnung kehrte in sie zurück. Wenn es auch nicht viel war, so reichte es doch dafür aus, dass es sie dazu bewegte, noch einmal auf ihren Mann zuzugehen.
An diesem Abend musste sie wie so oft lange auf seine Rückkehr warten. Sie ahnte nichts gutes. Trotzdem blieb sie wach und ergab sich nicht dem Wunsch, in ihr bequemes Nachthemd zu schlüpfen. Elisa war bereits zu Bett gegangen und Narzissa saß auf ihrem eigenen Bett und lauschte in die Stille, in der Hoffnung, endlich die Geräusche von Lucius Rückkehr zu vernehmen. Gegen ein Uhr endlich hörte sie Schritte auf den Stufen der Marmortreppe. Kurz darauf wurde die Tür zu Lucius Schlafzimmer geöffnet und geschlossen. Das war der Moment. Sie erhob sich, strich ihre Röcke glatt und schritt hinüber. Vorsichtig klopfte sie an seine Tür. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und als sie sein „Herein" vernahm, wurde es noch heftiger. Als sie dann aber eintrat und ihn ansah, hörte es für einige Sekunden auf zu schlagen. Sein Haar war zerwühlt und nur notdürftig gerichtet, sein Hemd steckte nur auf einer Seite in der Hose und war noch halb aufgeknöpft, am Hemdkragen klebte Lippenstift und sie roch bis hierhin den Geruch des viel zu straken Parfüms, dass Lucius Kleidung angenommen hatte. Der wiedergekehrte Funken Hoffnung, der kümmerlich in ihr geglüht hatte, bereit jederzeit ein Feuer der Freude zu entfachen, erlosch. Sie senkte den Blick, verneigte sich vor dem Mann, dessen Besitz sie war und nicht mehr, verblieb in einer gesenkten Haltung und versuchte das eben Gesehene zu verdrängen.
„Sir, verzeihen sie bitte die späte Störung, ich möchte sie auch nicht lange aufhalten. Wenn ihr erlaubt, ich habe euch etwas mittzuteilen."
Sie war erstaunt über ihre schwache Stimme. Hatte sie sich schon immer so angehört?
„Sprich."
Ganz gegensätzlich zu ihrer, erklang Lucius schneidende, harte, herrische Stimme und Narzissa senkte den Kopf noch etwas tiefer. Sie spürte ihr Herz kaum noch.
„Elisa hat heute die Untersuchung vorgenommen. Es geht dem Kind sehr gut. Sie konnte auch das Geschlecht feststellen. ... Ich werde euch einen Erben schenken."
Stille. Quälende Stille. Sollte sie gehen? Wartete er darauf, dass sie den Raum verließ?
„Gut, dann müssen wir keine weiteren Schritte einleiten."
Nun hob sie den Kopf. In all ihrer Gefühlslosigkeit hatte er es geschafft Entsetzen auf ihr Gesicht zu schreiben.
„Sie hätten es mir genommen, wenn es ein Mädchen wäre?"
„Was kümmert es dich? Es ist doch ein Junge. Und was wäre daran so schlimm? Wir haben keine Zeit zu verlieren und ein Mädchen ist nun einmal nicht das was wir brauchen. Warum sollten wir also warten, bis du es ausgetragen hättest? In meinen Augen wäre dies vergeudete Zeit, in der ein Nachfolger gezeugt werden könnte."
Lucius fixierte Narzissa. Er wollte ihre Reaktion sehen. Er erwartete, dass sie schreien, fluchen oder weinen würde, doch nichts dergleichen geschah. Sie verneigte sich nur erneut und machte Anstalten zu gehen.
„Das wird nicht nötig sein. Das Kind ist ein Junge. Verzeihen sie noch einmal die Störung, ich wollte ihnen diese Nachricht nur nicht vorenthalten."
Dann verließ sie den Raum. Lucius blieb reglos zurück. Was hatte er da eben gesagt? Niemals wäre ein Abbruch der Schwangerschaft in Frage gekommen! Wenn es ein Mädchen gewesen wäre, dann wäre die unerfreulich gewesen, ja, aber dann hätten sie es nach der Geburt eben erneut versucht! Ihm wurde klar, dass er Narzissa hatte aus der Reserve locken wollen. Ihre Teilnahmslosigkeit an allem konnte er nicht ertragen. Er hatte gewiss darauf hingearbeitet, die temperamentvolle Frau zu zähmen und sich gefügig zu machen, doch hatte er dabei ihr Temperament nicht auslöschen wollen. Er wusste sich nicht zu helfen.
Narzissa wusste später nicht mehr, wie sie in ihr Bett gekommen war. Irgendwann fand sie sich dort weinend wieder. Es tat gut, den Tränen nach so langer Zeit endlich ihren Lauf zu lassen. Ihre Dankbarkeit darüber, dass ihr der Tod einer Tochter erspart blieb, war unsagbar groß. Denn sonst wäre sie mit Sicherheit ihrem Kind in den Tod gefolgt. Wie konnte man nur darüber nachdenken, der Mutter das Kind zu nehmen? Dann sah sie wieder Lucius vor sich, gezeichnet von den Spuren seiner erneuten Untreue. Es schmerzte sie so sehr, dass sie Angst hatte, dass wenn sie den Schmerz nicht Kontrollieren würde, er dem Kind schaden würde. Sie atmete tief durch und begann dann leise ein Wiegenlied zu summen. Das hatte sie früher immer bei Gewittern getan. Wenn sie verängstigt in ihrem Bett gelegen hatte, die Decke über den Kopf gezogen aus Angst vor Blitz und Donner. Auch dieses Mal verfehlte der Singsang nicht seine Wirkung. Noch während das Nass den Weg aus ihren Augenwinkeln fand, schlummerte sie ein.
Lucius wurde geplagt von Alpträumen. Immer wieder sah er Narzissas leere Augen, ihr teilnahmsloses Gesicht. Dann wechselte die Szenerie. Er sah, wie sie sich vor Schmerz vor ihm auf dem Boden wand. Er hörte sie Angsterfüllt seinen Namen sagen, sie flehte ihn um Gnade an, sie streckte die Hand hoffnungsvoll nach ihm aus, dann, nein, das würde er niemals tun... oder doch?, ein grüner Blitz aus seinem Zauberstab...
„NEIN!"
Schwer atmend schreckte er auf. Völlig benommen blickte er sich im Raum um. Ein wahrhaft schlechter Traum. Eine Heimsuchung. Erleichtert wischte er sich den kalten Schweiß aus dem Nacken. Auch Minuten später konnte er keine Ruhe finden. Er wollte nach Narzissa sehen. Erst sträubte er sich gegen diesen Schwachsinn, doch dann beschloss er dem nachzugeben, wer würde ihn zu so später Stunde schon dabei sehen? So leise wie nur irgend möglich schlich er zu ihrem Zimmer. Vorsichtig drückte er die Klinke nach unten und betrat den Raum. Es war dunkel, doch durch das wenige Mondlicht, dass durch das Fenster hereinfiel, konnte er ihr schlafendes Gesicht inmitten der hellen Haare erblicken. Ein nasser Tränenfilm verlief über ihre Wangen. Noch nie hatte er sie weinen sehen. Vorsichtig wischte er die Tränen mit seinen Fingern weg. Bei seiner Berührung zuckte sie leicht zusammen, als würde sie auch noch im Schlaf von Angst geplagt. Nachdem Lucius sie noch eine Weile betrachtet hatte und sichergegangen war, dass es ihr gut ging, verließ er ihr Zimmer und schlich sich zurück in das seine.

The noble house of Malfoy //Lucissa FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt