37.Wahrheiten

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Lucius wachte die Nacht an Narzissas Bett. Er lauschte ihren Atemgeräuschen und hielt permanent ihre Hand. Immer wieder stellte er sich die eine Frage: Warum? Warum hatte sie das getan? Hatte es wirklich ein so drastischer Schritt sein müssen? Eine Antwort fand er nicht. Als es draußen schon zu dämmern begann, schlief er endlich ein.
Am nächsten Morgen wachte Lucius erst spät auf. Sobald seine Gedanken sich geordnet und er sich an den letzten Tag erinnert hatte, war er hellwach. Augenblicklich stützte er sich auf seinen Ellenbogen ab und betrachtete Narzissa. Sie schien ruhig zu schlafen und in ihr Gesicht war wieder etwas Farbe gekommen. Sanft strich er ihr die Haare aus dem Gesicht und küsste sie auf die Stirn. Er war so dankbar, dass er sie nicht verloren hatte!
Als er sich nun streckte und aufrichten wollte, spürte er, wie sehr ihm die letzte Nacht zugesetzt hatte. Immerhin hatte er sie halb im Sitzen verbracht. Sein Rücken schmerzte, genau wie sein Nacken. Eine heiße Dusche würde ihm sicher gut tun. So zwang er seine schmerzenden Glieder zum Aufstehen und begab sich ins Bad.
Tatsächlich war das warme Wasser eine Wohltat. Nun, wo er sein nasses Haar kämmte, konnte er sich wieder schmerzfreier bewegen. Im Spiegel sah er sich doch tatsächlich trotz seiner schwierigen Situation schmunzel. Wurde er etwa alt? Mit einem Wink seines Zauberstabes trocknete er sein Haar und band es in gewohnter Manier zusammen.
Da heute sein freier Tag war, zog es Lucius noch vor dem Frühstück zu seinem Sohn. Er ging folglich schnurstracks ins Kinderzimmer, wo er die Gouvernante vorfand, die den kleinen Draco in seiner Wiege hin und her schaukelte. Wie gerne er seine Frau hier vorgefunden hätte! Er sah sie förmlich vor sich, wie sie graziös im Sessel saß, ihr blondes Haar von der Sonne geküsst, ihre Augen so blau wie der Himmel am schönsten Tag des Sommers. Sie hätte eine Hand auf der Wiege, würde leise vor sich her summen und so den Jungen zum Einschlafen bringen. Schnell verbannte er diesen Gedanken und widmete sich der schnöden Realität.
„Guten Morgen. Wie geht es meinem Sohn?"
Die Gouvernante hatte sich bei Lucius Eintreten respektvoll erhoben und neigte leicht ihren Kopf.
„Es geht ihm hervorragend, Sir."
„Gut. Ich wünsche ihn nach dem Frühstück mit auf meinen morgendlichen Spaziergang zu nehmen."
„Soll ich sie beide begleiten?"
„Nein, ich wünsche alleine mit ihm zu sein."
Damit verließ er den Raum und begab sich hinab zum Frühstück.
Als er fertig gespeist hatte, gab ein Hauself der Gouvernante Bescheid und diese brachte ihm seinen Sohn. Der Frau war anzusehen, dass sie sein Begehr, alleine Zeit mit dem Baby zu verbringen, als ungewöhnlich, ja wenn nicht sogar ungebührlich, erachtete. Dies störte Lucius aber nicht im geringsten. Er nahm Draco auf den Arm und verließ mit ihm das Haus. Die Vögel gaben bei dem herrlichen Sommerwetter das herrschte ein grandioses Konzert von sich. Überall im Garten blühten die schönsten Blumen und das Grün der Bäume wog sich sanft in der Sommerbriese, die ab und an aufkam. Lucius bewegte sich im Schatten, damit die Sonne dem Jungen nicht schadete und spazierte Richtung See.
„Wie gefällt dir dein Kindermädchen? Sie ist nicht gerade ein Sonnenschein, richtig? Aber es ist numal Tradition..."
Er strich dem Jungen über die Wange und küsste ihn sanft auf die Stirn. Der Kleine quittierte dies mit wohligem Brabbeln.
„Glaub mir, deine Mutter wäre auch lieber bei dir."
Er ließ sich auf einer alten Messingbank nieder, die unter einer Linde nahe dem Wasser stand. Hatte Narzissa den Schmerz wirklich nicht ertragen können? Lucius konnte sich kaum vorstellen, dass sie bereit gewesen wäre ihren Sohn zu verlassen. Dass sie ihn selbst hasste, dass konnte er ihr nicht verübeln. Nicht nach allem, was er ihr angetan hatte. Doch für Draco hätte sie doch sicher da sein gewollt! Er seufzte.
Plötzlich erschien mit einem lauten Plopp ein Hauself neben ihm und riss Lucius aus seinen Gedanken.
„Sir, die Herrin ist aufgewacht."
Augenblicklich stand Lucius auf, presste den Jungen fest an sich und eilte zum Haus. Dort wartete bereits die Gouvernante auf ihn und nahm ihm Draco ab. Kaum einige Augenblicke später befand sich Lucius vor der Tür zum Schlafzimmer, atmete noch einmal tief durch und trat dann ein. Jemand hatte die Fenster geöffnet, sodass die leichten Vorhänge sich im Wind bewegten. Narzissa saß im Bett, gestützt von vielen Kissen. Ihr Haar hatte sie sich zurückgebunden, aber bloß des Zweckes halber, denn einige Strähnen hingen verirrt aus dem Zopf hinaus. Lucius wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Er war einerseits unendlich erleichtert, dass es ihr besser zu gehen schien, andererseits war er enttäuscht, traurig und verletzt. Er kam einige Schritte näher und setzte sich auf das untere Ende des Bettes. Zu seiner Verwunderung sah sie ihn mit Fragendem Blick an.
„Lucius, was ist mit mir geschehen? Man sagte mir, dass ich lange ohnmächtig war. Bin ich krank?"
Der Angesprochene wusste nicht, was er davon halten sollte. Wollte sie ihn täuschen? Hatte sie nicht begriffen, dass er wusste, dass sie des Lebens überdrüssig war?
„Wir haben das Gift in deiner Manteltasche gefunden. Wenige Schlucke mehr und noch nicht einmal Severus hätte etwas für dich tun können."
Falten legten sich auf ihre schöne Stirn, denn Narzissa versuchte Lucius Worte zu verarbeiten.
„Was für ein Gift? Ich habe doch kein Gift genommen!"
Lucius zerriss es innerlich fast. Er erhob sich und schritt Richtung des geöffneten Fensters. Er konnte ihr nicht länger in die Augen sehen.
„Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich kann es verstehen. Ich habe dir zu viel zugemutet, das kann keine Menschenseele ertragen."
Er hörte das Rascheln der Bettdecke und sah aus dem Augenwinkel, dass sie versuchte aufzustehen. Doch sie war anscheinend noch zu schwach, denn sie schaffte es nur mit Mühe, sich auf die Bettkante zu setzen, dann musste sie eine Pause einlegen.
„Sag so etwas bitte nicht! Du bist schon lange nicht mehr derselbe Mensch. Die letzten Monate haben alles verändert! Wir sind doch jetzt eine Familie!"
Gerne hätte er ihre Worte geglaubt, doch sie mussten Lügen sein. Das Gift hatte man ohne Zweifel in ihrer Tasche gefunden. Lucius drehte sich wieder zu seiner Frau um.
„Warum dann das Gift? Wo hattest du es her und warum hast du es genommen?"
Wieder schien sie angestrengt nachzudenken. Dann fiel es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen.
„Lucius, ich..."
Schamesröte stieg ihr ins Gesicht. Sie senkte ihren Blick und schien mit sich zu kämpfen.
„Ich erhielt einen Trank, der mir helfen sollte... wieder hübsch genug zu werden, damit du dich nicht für mich schämen musst."
Lucius sah, dass sie Tränen in ihren Augen sammelten, die sie tapfer zurückhielt. Er konnte kaum glauben, was sie ihm da sagte. Meinte sie das ernst? Wer hatte ihr nur so einen Floh ins Ohr gesetzt! Sie musste doch nur einen Blick in den Spiegel werfen, um zu sehen, wie schön sie war! Er ging auf sie zu, ging in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe sein zu können und ergriff ihre schmalen Hände.
„Narzissa, ich werde mich niemals für dich schämen! Du bist perfekt, ganz genau so wie du bist."
Sie schüttelte vehement den Kopf.
„Nein, das einzige, was du an mir mochtest, war mein Aussehen, das hast du selbst gesagt. Deshalb warst du auch immer so... aufgebracht, wenn etwas an mir nicht so war, wie du es mochtest. Jetzt habe ich ein Kind zur Welt gebracht und werde nie wieder die Frau sein, die gut genug für dich war."
Ein nasser Film aus Tränen bildete sich auf ihren Wangen. Lucius strich diese liebevoll weg, nahm ihren Kopf in seine Hände und küsste sie. Er küsste sie wieder und wieder, bevor er sprach.
„Und so etwas sollst du nie wieder sagen. Du bist die schönste Frau, die jemals unter der Sonne gewandelt ist und selbst wenn wir einmal alt und grau sein werden, wirst du es immer noch sein. Außerdem ist das ganz bestimmt nicht das einzige, weshalb ich dich schätze."
Nun war es Narzissa, die Lucius einen von Tränen salzigen Kuss aufdrückte. Beinahe meinte sie, zu träumen.
„Ist das wahr?"
„Ja, Narzissa, jedes Wort ist wahr. Deshalb kannst du dir sicher vorstellen, welche Angst ich hatte, dich zu verlieren! Also erklär mir bitte, was es mit diesem Trank auf sich hat."
Narzissa zog Lucius hoch, neben sich auf das Bett. Seine Hand hielt sie in ihrer und langsam verebbten ihre Tränen.
„Dieser Trank war das einzige, was ich genommen habe. Jeden Abend einen kräftigen Schluck. Hätte ich versucht mich umzubringen, hätte dies ganz sicher der unbrechbare Schwur vorher erledigt. Es muss also eine unerwartete Nebenwirkung gewesen sein."
Lucius glaubte ihr. Was er jedoch nicht glaubte, war, dass es sich bloß um eine Nebenwirkung eines einfachen Schönheitstrankes handelte. Sowohl der Heiler als auch Severus hatten ganz eindeutig von Gift gesprochen.
„Narzissa, wer hat dir diesen Trank gegeben?"
„Deine Mutter."
Natürlich, wer sonst. Lucius hatte seiner Mutter einiges zugetraut, aber das nicht.
„Glaub mir, dieser ganze Alptraum wird bald ein Ende haben."
Man konnte Lucius seine Wut ganz deutlich ansehen. Aber in ihm überwog die Erleichterung darüber, dass es seiner Frau gut ging und dass sie sich nicht hatte das Leben nehmen wollen. Um alles weitere würde er sich später kümmern. Er zog sie zu sich und schloss sie fest in seine Arme. Ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter, er vergrub seinen in ihrem Nacken und sog ihren süßen Geruch ein. Seine eine Hand hielt sie fest an sich gedrückt, mit der anderen streichelte er sanft über ihren Kopf.
„Dieser unsägliche Fluch... Ich kann ihn nicht von dir nehmen, aber ich möchte ihn doch soweit mildern, wie es mir möglich ist. Du sollst immer deine Meinung und Gefühle äußern können, ohne dass etwas geschieht. Ich räume dir die gleichen Befugnisse ein, die mir zustehen. Nichts davon könnte jemals der Familie schaden."
Narzissa war, als hätte man eine tonnenschwere Last von ihr genommen. Sie wusste diese Geste ganz genau zu deuten und drückte Lucius, vom Glück überwältigt, noch etwas mehr an sich.
„Lucius, ich li..."
„Shhhh, nicht, nicht jetzt. Das habe ich nicht verdient. Du sollst erst unbeschwert und glücklich sein, so wie es auch sein sollte. Erst dann habe ich es verdient."

The noble house of Malfoy //Lucissa FFWhere stories live. Discover now