𝟓𝟔. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥

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Ich starrte in Mollys überraschte Augen und auch sie schien zu bemerken, dass ich selbst mehr als nur überrascht über meinen spontanen Besuch bei ihr war, mir jedoch nicht anders zu helfen wusste. Mein Herz war viel zu überfordert mit der Situation, mit der Freude, mit der Leo dieses erfüllte, aber auch die Schäden, die er meinem Herzen anrichtete warfen mich aus der Bahn und sorgten dafür, dass ich orientierungslos wurde. Mein Herz zog sich nur noch schmerzvoller bei diesem Gedanken zusammen. Bei dem Gedanken, dass er mich verleugnete, benutzte, mit mir spielte und sich nach alldem noch immer nicht entscheiden konnte. Er wusste selbst nicht, was er wollte. Als erwachsener Mann, welcher fest mit seinen Füßen auf dem Boden stand, wusste er nicht, was er mit seinen Gefühlen anfangen sollte, wusste nicht, wie man für jemanden den man sehr mochte kämpfte und wie man ehrlich zu dieser Person war. Leo hielt mich die letzten zwei Wochen warm und langsam hatte ich das Gefühl, dass er das nur tat, um mich zu zerstören.

Einige Sekunden vergingen, in denen wir uns gegenseitig anschauten, nichts sagten, den Moment auf uns einwirken ließen - ehe wir uns auch schon in die Arme des jeweils anderen fallen ließen. Ich konnte die Tränen, die sich in der Zwischenzeit in meinen Augenlidern angesammelt hatten, nicht zurückhalten und ließ meinem tiefen Schmerz freien Lauf. Molly hielt mich fest und es schien nicht so, als würde sie mich nicht loslassen wollen. Sie wusste, dass auch sie mir wehgetan und mich angelogen hatte. Sie wusste, dass sie etwas getan hatte, was sie versprochen hatte niemals zu tun. Aber ich hatte ihr tief im Inneren schon längst für diese belanglose Sache verziehen. Wir würden hoffentlich noch einmal darüber reden, damit auch ich verstand, was zwischen ihr und Alex vorging - aber jetzt gerade wollte ich einfach nur eine Person, die mich festhielt und mir dabei half, mich selbst nicht zu verlieren.

Sie ließ von mir ab und erlaubte mir ohne Worte die Wohnung zu betreten. Ich löste mich von meinen Schuhen und meiner Jacke und schaute sie mit verweinten Augen an. Ich wollte gar nicht wissen, wie schlimm ich gerade aussehen musste. Beim Abwischen meiner Wangen verschmierte ich die ohnehin schon ausgelaufene Mascara nur noch mehr. »Pandabär, geh doch hoch in mein Zimmer und hol dir etwas gemütliches zum anziehen. Auch wenn das Kleid mehr als nur heiß an dir aussieht.«, rief sie aus der Küche und schien schon mit dem Tee beschäftigt zu sein, den sie uns anscheinend machte. Ich nickte nur geknickt und begab mich in ihr Zimmer, löste mich von dem engen Kleid und schnappte mir eine lockere Jogginghose und ein weißes, schlichtes T-Shirt. Aus ihrer Schublade klaute ich mir zwei Abschminktücher und machte mein Gesicht sauber. Mein Spiegelbild sah schrecklich aus - so traurig und irgendwie auch gebrochen. Die letzten zwei Wochen hatten mich mitgenommen.

»Hier dein Tee. Sogar Pfefferminz. Den magst du doch am meisten, oder nicht?«, Molly stellte die Tassen auf ihrer Kommode ab und setzte sich aufs Bett, während sie mir fragend dabei zusah, wie ich meine Haare in einen unordentlichen Dutt zusammenschloss. »Ich weiß, dass du Fragen hast«, sprach ich mit leiser Stimme und schniefte noch einmal, um nicht sofort wieder loszuweinen.

»Allerdings. Wo warst du unterwegs? In diesem Outfit?«

Ich drehte mich um und musste schmunzeln, zumal ich wusste, dass sie sofort auf den Punkt kommen würde und vor Neugier fast schon platzte. »Wo soll ich anfangen?«, fragte ich und setzte mich neben sie, nahm meinen Tee und trank einen kleinen Schluck von dem noch dampfenden Tee. Mein Bauch wärmte sich augenblicklich auf und ich bemerkte, wie schlecht mir war. Ich hatte kaum etwas gegessen und war seitdem ich bei Leo war so voller Adrenalin, dass ich gar nicht merkte, wie hungrig ich gewesen bin. Ich versuchte es zu unterdrücken.

»Hallo? Erde an Rapunzel, wo warst du und was ist passiert ich platze vor Neugier und-«, ich ließ sie gar nicht ausreden, denn schon platzten die Neuigkeiten aus mir heraus.

»Ich habe mit Leo geschlafen«

Kurz sah ich das Geschehen von vorhin vor meinem geistigen Auge. Spürte seine Hände an meinem Körper, die Liebe, die er mir in diesem Moment gab und fühlte wieder eine unglaubliche Wärme in mir, die jedoch erlosch, sobald Molly hochsprang und völlig außer sich im Zimmer umherlief. »Du hattest dein erstes Mal!«, rief sie aufgeregt und zog mich ebenfalls auf die Beine. »Ja, Molly. Das hatte ich.«

»Warum weinst du dann? Das ist großartig. Wie sieht er nackt aus? Wie groß ist er?«, fing sie sofort mit der Fragerei an. »Oh und und und.. Seid ihr jetzt zusammen?«

Molly zog ihre Augenbrauen mehrmals in die Höhe, bevor ich ihr ihre Freude wieder nehmen musste. »Nein, sind wir nicht. Und ernst mit mir meint er es auch nicht.«, seufzte ich, setzte mich wieder aufs Bett und nuckelte weiter an meinem Teeglas. »Ah ja, ich habe fast vergessen das du traurig bist. Was ist los, Ava? Bitte sag mir nicht, dass es was mit ihm zutun hat.«

Und so wie wir da auf ihrem Bett saßen, fing ich an Molly mein ganzes Herz auszuschütten und ihr alles der letzte Tage zu erzählen - dem Ausflug, den unnötigen Streitereien mit Sabrina, dem Streit mit Leo, dem Angriff von diesem Typen während der Cocktailparty, dem fast-Sex mit Leo und schließlich den richtigen Sex. Wir saßen lange auf ihrem Bett und ich fühlte mich gut dabei, denn sie hörte mir zu. Ich hatte sie wieder und ich nahm ihr die Sache mit meinem Stiefbruder nicht einmal mehr übel. Denn sie half mir und das war in diesem Moment das Wichtigste. Noch mehr Stress und Traurigkeit konnte ich ohnehin nicht mehr gebrauchen.

Bevor wir das Licht ausmachten und uns in ihr Bett kuschelten - denn es war klar gewesen, dass ich heute bei ihr übernachten würde - schaute Molly eindringlich zu mir hinüber. »Es tut mir leid, dass ich dich wegen Alex angelogen habe. Ich werde es nie wieder tun, versprochen. Und es tut mir leid, dass ich deswegen die letzten Tage nicht für dich da sein konnte.«

Ich nickte und schenkte ihr ein warmes Lächeln zurück. »Schon verziehen, Molly«

»Ach und wegen Leo«, erwähnte sie noch kurz und ihre Stimme hörte sich plötzlich entnervt an. »Ich werde ihm irgendwann weh tun«

the interview | ✔️Where stories live. Discover now