1 | Drängler

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Das an monströse Ausmaße grenzende ›Hallo Sommer‹ Banner, welches von den Schülern der Kings High School auf dem Marktplatz aufgestellt wird, verspottetet mich. In Kingsmore ist es 360 Tage im Jahr unerträglich heiß, stickig und sonnig, während die restlichen fünf Tage drückend, verregnet und gewittrig sind. Lachend ziehen die Schüler das Banner straff, unterdessen kämpfe ich mich an der Menschentraube vorbei, welche sich versammelt hat, um sie dabei zu beobachten. Fassungslos schüttle ich den Kopf, als niemand Anstalten macht aus dem Weg zu gehen. Nicht fluchen, Nina. Bloß nicht fluchen, mahne ich mich selbst.

Die Sonne klettert immer weiter über den Himmel, wodurch das Thermometer rapide an Steigung gewinnt. Rötliche eingefärbte Flüssigkeit symbolisiert die hitzigen Temperaturen an diesem Morgen. Kingsmore ist um nicht einmal zehn Uhr Morgens schon die reinste Waschküche. In meinem Nacken klebt der Schweiß und läuft in feinen Bahnen in den Rückenausschnitt meines lockeren Spitzen-Shirts. Um meine Schulter spannt der Riemen meiner Sporttasche, hinterlässt sicherlich rote Spuren auf meiner blassen Haut.

Die cremefarbenen, seidig glänzenden Spitzenschuhe baumeln bei jedem Schritt gegen meinen Oberschenkel. Obgleich die Temperatur fast dreißig Grad beträgt, drückt das unweigerliche Verlangen nach Koffein gegen meine Müdigkeit und wird in wenigen Sekunden den unerbittlichen Kampf in meinem Inneren gewinnen. Vor mir erscheint die Glastür und ich seufze voller Erleichterung.

Der Rahmen verfügt über hübsche gusseiserne Verzierungen, betont das säuberlich polierte Glas umso mehr und die Sonne lässt die mintgrünen Buchstaben erstrahlen. Im Inneren hat sich eine kleine Schlange gebildet, dennoch gehe ich das Wagnis ein. Ich stoße die Tür auf, gehe die Stufe hinauf und schließe genüsslich die Augen. Die Klimaanlage läuft bereits auf Hochtouren und kühlt den Innenraum angenehm ab. Wenn ich könnte würde ich den ganzen Tag in diesem niedlichen Café verbringen, allerdings würde Charly mir sicherlich die Hölle heiß machen, sollte er mich ertappen. Und auf Feuer unter meinem hübschen Hintern kann ich wirklich verzichten. Während ich mich in der Schlange einreihe, öffnet und schließt sich die Tür hinter mir mehrfach.

Schnuppernd stehe ich hinter einer jungen Frau, die ebenso bepackt ist wie ich und genieße den himmlischen Duft nach Kaffee, Gebäck und Säften. Die verschiedenen Düfte der Kundschaft mischen sich ebenfalls in meine Nase und ich verziehe das Gesicht. So sollte es hier nicht riechen, denn schließlich steht der Kaffee im Vordergrund.

Die Fensterfront ist von einigen Sitzpolstern geziert, deren Farbe an eine Popart-Ausstellung erinnern. Bunt zusammengewürfelt stehen Stühle und Tische im Innenraum. Einige Gäste haben es sich dort mit einer Zeitung, einem Laptop oder einem Buch gemütlich gemacht und schlürfen Kaffee oder Tee. Gerne würde ich mich jetzt auch auf eines dieser Polster sinken lassen, genüsslich einen Eiskaffee schlürfen und für das College lernen. Heute wird aus diesem Vorhaben jedoch nichts, denn Christian versteht wirklich keinen Spaß, wenn es um das Training vor den Auftritten geht. Abgesehen davon bin ich wirklich froh darüber, dass ich wieder dazu in der Lage bin zu tanzen.

Es hat mir fürchterlich gefehlt und beinahe wäre ich abgestürzt, um mit dem Gesicht voran in eine heftige Depression abzurutschen. Meine Finger spielen mit den Schleifen meiner Spitzenschuhe und ein warmer Schauer der Glückseligkeit kribbelt durch meinen Körper. Die Vorfreude auf die heutige Zeit, welche ich in dem großen Saale verbringen darf, in welchem der Geruch von Ballett und Kampfgeist innewohnt verzaubert mich jedes Mal. Wieder lasse ich meinen Blick über die Regale hinter der Theke gleiten, lese die unzähligen verschiedenen Namen der Kaffeesorten, studiere die Etiketten und Symbole. Der Geruch des Kaffees macht mich glücklich. Das Piepsen meines Handys reißt mich aus meinem genüsslichen Schnüffeln und ich krame in der überdimensionalen Handtasche danach.

»Guten Morgen Charly«, begrüße ich meinen besten Freund und Tanzpartner.

»Guten Morgen Miststück. Wo steckst du? Wir warten auf dich«, erwidert er. Ich höre im Hintergrund bereits die frustrierte Stimme unseres Trainers und die Lustlosigkeit kratzt an der Oberfläche. Offenbar hat Christian schlechte Laune, worauf ich eigentlich getrost verzichten kann.

GLOW - flameless lightsWhere stories live. Discover now