50 | All die guten Dinge

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Zwei Tage später sitze ich auf einem Stuhl an Dads Bett und heule wie ein Schlosshund. Er hält meine Hand, während ich die Tränen herauslasse, und streichelt mit dem Daumen meinen Handrücken. Ein konstantes Summen kommt aus seiner Kehle, als würde er ein Lied hören.

Symphony gibt keinen Mucks mehr von sich, bewegt sich nicht vom Bett und nimmt auch den Kopf nicht mehr von seinem Bauch. Sie schielt nur prüfend Richtung Tür, wenn sie sich öffnet. Nina ist mit Toc und Loni unten, währen Paloma, Heather und Kuro einkaufen gefahren sind. Ich weiß nicht einmal, ob sie vielleicht schon längst zurück sind, weil ich nicht weiß, seit wann ich hier heulend sitze.

Dads Zustand frisst jedes Glück in meinem Körper auf und selbst Loni kann mich nicht aufheitern, obwohl dieses Kind gottverdammt niedlich ist. »Mein Herz soll im Einklang mit den Herzen der Erde schlagen. Ich soll fühlen, dass ich ein Teil des Ganzen bin, das mich umgibt«, flüstert Dad. Ich kenne das verfluchte Sprichwort, will ich brüllen, doch ich schlucke die Worte herunter.

Es scheint ihn zu beruhigen. Ryan meinte, er bekommt womöglich kaum noch mit, wenn jemand bei ihm ist, weil die Dosis der Schmerzmittel dermaßen hoch ist. Aber ich glaube, er bekommt jede Person mit, die sein Schlafzimmer betritt. Ich denke sogar, als Nina gestern sein Zimmer gewischt und abgestaubt hat, dass er gelacht hat, aber das Zucken ist ziemlich schnell wieder weg gewesen. Vielleicht war es auch niemals da.

Schniefend wische ich mir über die Augen und richte mich auf. Konstant malt Dads Daumen Muster auf meine Haut und ich will mich nicht von ihm lösen. Gott, er ist mein Dad.

Ich würde ihn heilen, wenn ich könnte. Doch selbst, wenn ich ihn entmündigen lassen würde, würde eine Therapie nichts mehr bringen. Der Krebs hat ihn eigentlich schon getötet, aber sein Geist will nicht gehen. Anders kann ich mir sein Verhalten nicht erklären, außer mit den starken Medikamenten. Dad in den letzten Momenten seines Lebens als Junkie wahrzunehmen, verbiete ich mir und jedem anderen Menschen in diesem Haus.

Leise klopft es an der Tür und ich hebe den Blick. Mittlerweile ist es mir egal, wenn mich jemand weinen sieht. Immerhin liegt mein Vater im Sterben. Die Tür wird zaghaft aufgeschoben und Mom tapst ins Zimmer. »Hey, Liebling«, begrüßt sie mich. Ein Kuss auf meine tränennasse Wange und ein aufmunterndes Lächeln, ehe sie sich auf den Stuhl neben mir setzt. Keine Ahnung, wann dermaßen viele Stühle in Dads Zimmer gewandert sind, aber ich bin froh nicht aufstehen zu müssen. Vermutlich würde ich zusammenbrechen.

»Hallo Chumani «, brabbelt Dad. Auf seinen Lippen entsteht ein zaghaftes Lächeln. Er lässt meine Hand los und streckt die Finger nach Mom aus. Fassungslos beobachte ich die Szene. Mom greift nach seinen Fingern. »Camilla«, säuselt Dad.

»Ich bin hier«, bestätigt Mom und legt seine Finger in ihre offene Hand. »Für immer und ewig, weißt du noch? Auch nach unserer Ehe bin ich immer an deiner Seite, Sakima.« Ich kann den Kloß in ihrer Kehle hören und muss selbst schlucken. Meine Eltern hatten keine schöne Scheidung, weil Dad damals ein echter Widerling gewesen ist, darum verwundern ihre Worte mich auch sehr.

»Bis die Erde uns trennt und uns als Steine wieder zusammenbringt, Chumani«, murmelt Dad und blinzelt träge.

»Bis die Erde uns trennt und uns als Steine wieder zusammenbringt. Wie ich es dir versprochen habe«, bestätigt Mom. Fuck. Ich muss hier raus.

»Mingan.« Dads Stimme ist brüchig, als ich aufstehe. »Setz dich hin«, fordert er und dreht den Kopf in meine Richtung. Wieder folgt ein träges Blinzeln, bevor er mich fokussiert. Mir steigen sofort die Tränen zurück in die Augen. Fuck. Mit diesen Kosenamen wickeln mich meine Eltern um den Finger, wie ein Gummiband.

Unruhig kaue ich auf der Innenseite meiner Wange. Der Blick aus den Augen meines Vaters ist trüb, während er mir ins Gesicht sieht. Immer wieder gleiten seine Augen über mich hinweg, bis sie wieder in meine Augen finden. »Hör auf mit dem Weinen, Mingan. Es schmerzt mein schwaches Herz und entzieht meiner Seele die letzte Kraft. Ich will einen sanften Tod und nicht um meine Seele, meine Söhne und meine Familie bangen müssen, während ich fortgeweht werde von unseren Göttern.« Tief atmet er durch, unterdessen schlucke ich kräftig. Mom legt ihre Hand um meine Wange.

GLOW - flameless lightsWhere stories live. Discover now