(76) "Versprochen"

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In mir verkrampfte sich alles und ich blickte auf, um Magnus schnellstmöglich zu finden, aber musste mich stattdessen dem grauenvollen Bild eines erbarmungslosen Kampfes stellen. Wo auch immer die Shadowhunter hergekommen waren, sie befanden sich in diesem Moment in der Halle und kämpften gegen die übrigen Kreismitglieder.

Meine Augen überflogen das Schlachtfeld um Spuren von Magnus zu finden, allerdings schien es keine zu geben. Das Licht, das nun die Halle durchflutete, erhellte zwar alle Gesichter, aber seines konnte ich zwischen ihnen allen nicht erkennen.

"Averie, du musst hier raus. Sofort", rief plötzlich jemand über den Lärm hinweg und ich sah wie Alec mit Magnus im Schlepptau angerannt kam. 

"Was ist mit Alexander? Bitte Magnus, du musst ihm helfen", flehte ich ihn schon fast an und spürte wie sehr mir seine Lage an die Substanz ging.

"Averie, du musst hier raus. Wir müssen die Kreismitglieder und Valentin für immer ins Jenseits befördern", sprach Alec allerdings weiter eindringlich auf mich ein.

"Aber Alec, ich kann sie bestimmt noch verändern. Es hat doch bei Alexander auch nur ein kleiner Stupser gereicht, damit er seine Richtung im Leben ändert. Man sollte jedem Lebewesen eine zweite Chance ermöglichen. Wenn du sie jetzt umbringst, dann werden sie das nicht haben", erklärte ich so ruhig wie es gerade in dieser angespannten Situation ging.

"Diese Leute haben keine zweite Chance verdient. Viele von denen haben meine Freunde und andere ehrenvolle Shadowhunter auf dem Gewissen. Und wofür? Für eine Ideologie eines Irren", spukte Alec aufgebracht aus. Verwirrt blickte ich in seine Hasserfüllten Augen. Mir war klar gewesen, dass auch Alec sicherlich Erfahrungen mit Valentin gehabt hatte, aber das er deshalb so emotional wurde, überraschte mich dennoch.

"Ich kümmere mich um Alexander. Ihr beiden geht vor die Tür und klärt das da. Sonst werdet ihr beide hier drin noch getötet", brachte sich Magnus ins Gespräch rein und gestikulierte in Richtung der Türen, die Valentin hatte verschließen lassen. Waren sie durch die Tür gebrochen? Aber ich hatte kein Geräusch gehört, dass darauf hindeuten würde. War es vielleicht durch eine Rune gekommen? 

Wir eilten zur Tür und Alec stieß sie weit genug auf, damit wir beiden flink hindurchhuschen konnten, ohne dass uns ein Kreismitglied hoffentlich bemerken würde. 

"Wie?", fragte ich nur verwirrt, sobald wir draußen waren.

"Kannst du dich noch an Tekins unsichtbar machende Kugel erinnern, die er benutzt hat, um dich und Valentin in den Straßen New Yorks vor den Blicken der Mundis zu schützen? Magnus war derjenige, der diese Kugel einst erfand und er hat sie inzwischen soweit weiterentwickelt, dass sie sogar Shadowhunter vor anderen Shadowhuntern verstecken kann. Damit konnten wir euch einkesseln, aber das ist gerade nicht der Punkt", begann er zu erklären, während seine Blicke auf mich fokussiert waren. Dann checkte er die Lage um uns herum, bevor er schließlich fortfuhr:

"Bitte geh zurück zu dem Raum, in dem ihr am Anfang wart, Averie. Wir kümmern uns hier um alles. Dort sollte schon jemand sein, der bei dir bleibt, bis jemand von uns dich holt"

"Was? Nein, ich bleibe hier und kämpfe mit euch zusammen. Ich kann sicherlich ihre Gedanken so modifizieren, dass sie aufgeben werden. Bitte lass es mich versuchen"

Verzweifelt und dennoch absolut überzeugt von meinem Können sah ich ihn an. Ich musste es schaffen ihn zu überzeugen. Wenn ich damit Menschenleben retten konnte, musste ich es versuchen. War diese Gabe nicht genau dafür gemacht. War sie nicht dafür gedacht zweite Chancen bieten zu können?

"Averie, nein", begann Alec seinen Aufstand, aber ich hielt dagegen:

"Alec, was auch immer du für Sorgen hast, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ich werde da jetzt wieder rein gehen und mein bestes versuchen. Wenn es nicht klappt, kann ich immer noch deinem Plan folgen. Aber vergib nicht diese Chance einfach aus Angst"

Alec sah einen Moment recht geplättet aus von meinen Worten, weshalb ich ihm über den Arm strich und in seine trotz der Umstände noch strahlenden Augen blickte. 

"Ich bin vorsichtig. Versprochen", murmelte ich, bevor ich ihm ein aufmunterndes Lächeln zuwarf und schließlich Richtung Tür verschwand. 

In der Halle herrschte Chaos und ich mochte gar nicht daran denken wie viele Shadowhunter welcher Partei auch immer zugehörig ihr Leben gelassen hatten und noch lassen würden. Und ich hasste es.

Mein Ventil war bereits geöffnet und ich überlegte wie ich am besten die Situation angehen sollte. Ich musste die Gedanken der Mitglieder beider Lager bearbeiten, damit nicht eine Partei die Situation ausnützen würde zum Kahlschlag. 

Ich muss das friedlich klären und weiß, dass das das der andere auch wollen wird

Ich schüttelte mich und versuchte den Gedanken schnell wieder zu verändern. Die Auswirkung davon, wenn ich mich versprach, waren noch weniger absehbar, als alles andere, aber meine Nervosität hatte mich fest im Griff. Mein Puls raste als ich versuchte meine Fokussierung wieder zu erlangen und mir alle im Raum gleichzeitig vorzunehmen. Wenn ich auch nur einen vergaß, könnte das Ganze in einem noch größerem Blutbad enden als sowieso schon. 

Ich muss das friedlich mit Worten und zu einem anderen Zeitpunkt klären und weiß auch, dass der andere das auch wollen wird

Ich formulierte den Gedanken neu und musste meine gesamte Kraft darein setzen, dass er in den Köpfen aller Shadowhunter platz fand. Alle mussten diese Idee als ihre annehmen und dass war gerade eine der schwierigsten Dinge. Allerdings schienen die meisten Shadowhunter unseres Lagers zu verstehen was gerade vor sich ging und zogen sich ein Stück zurück. Jetzt war es an mir endlich in die Gedanken der Kreismitglieder wirksam einzusteigen, bevor diese die Chance nutzten und die Shadowhunter überwältigten.

Valentin hatte eine gute Idee, aber die Umsetzung ist falsch. Ich will das nicht mehr. Ich kann das nicht mehr

Ich versuchte es auf einem etwas anderem Weg in der Hoffnung, dass diese Gedanken nicht so schnell aussortiert werden würden. Und es schien bei einigen bereits zu fruchten. Sie blickten sich um und sahen das Chaos, das sie allesamt angerichtet hatten. Einige Körper lagen am Boden und ich betete inständig, dass sie nur bewusstlos waren. 

"Jetzt Tekin", erklang eine Stimme, die ich in den letzten Wochen zu hassen gelernt hatte. 

Kurz darauf spürte ich wie sich etwas in meinem Körper regte. Mein Puls schoss in die Höhe und ich schnappte verzweifelt nach Luft. Alles brannte und ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten. Der Schmerz hatte allerdings einen klaren Ursprung: mein Arm. 

Der Arm, in dem Alexander so verzweifelt herumgestochert hatte, um irgendetwas zu suchen. Er hatte es nicht gefunden und nun war mir die Dramatik hinter seinen Worten erst bewusst. Allerdings half mir diese späte Erkenntnis gar nicht. Mein Körper hatte bereits völlig nachgegeben und ich hatte unweigerlich eine schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Boden gemacht. Meine Augen waren an die Decke gerichtet, aber meine Sicht verschwamm immer mehr. Die Atemnot hatte mir Tränen in die Augen getrieben und auch die unvorstellbaren Schmerzen hatte daran sicherlich einen Anteil.

"Hey, hey, Averie. Augen auf, bleib wach, Magnus kommt sicher gleich", erklang Izzys Stimme neben mir. Hoffentlich hatte ich einen Unterschied gemacht. Hoffentlich hatte ich etwas bewegen können. Hoffentlich war das alles nicht umsonst gewesen, damit ich wenigstens in Frieden ruhen konnte.

HunterWhere stories live. Discover now