St. 1: Flg. 8 „Canola"

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Wie vorhergesagt, kam Shin eine knappe halbe Stunde nach mir ebenfalls nach Hause.
Er hatte sich wohl schon total die Sorgen gemacht, dass ich wirklich schwer gestürzt wäre. Aber so schlimm war es ja gar nicht.

Ich zeigte ihm die Schramme an meinen Ellenbogen, welche sich unter dem großen Pflaster verbarg. Bei dem Anblick verzog er bloß das Gesicht. Sah wirklich nicht schön aus.
„Hast du das auch ordentlich sauber gemacht?", fragte er, während seine Augen die Wunde genau unter die Lupe nahmen.

„Ja, Suna hat sich darum gekümmert", antwortete ich ihm. Da sah er mich schon wieder mit diesem Schmunzeln an.
„Ich glaub wir sind inzwischen Freunde geworden." Besonders viel Betonung legte ich hier auf das Wort Freunde, um ihm seine falschen Hoffnungen zu Nichte zu machen. Doch er nickte nur ungläubig. Das nervte vielleicht.

Um mir nicht noch ein paar Tips von ihm anhören zu müssen, schmiss ich ihn aus meinem Zimmer und legte mich ins Bett. Von sowas hatte er vermutlich sowieso keine Ahnung. Seine Hilfe beanspruchte ich nur für Dinge, die die Schule angingen.

Ich hörte noch ein paar Minuten Musik und träumte vor mich hin, bis ich schließlich einschlief und mich von diesem aufregenden Tag erholen konnte.

***

Es war nur noch eine Woche, bis die Ferien beginnen würden. In meiner jetzigen schulischen Situation brauchte ich mich da vermutlich gar nicht mal drauf zu freuen. So wie ich Shin kannte, würde er mich jeden Tag vor irgendwelche Aufgaben setzen. Darauf hatte ich wirklich keine Lust, vor allem, wenn wir Sturmfrei hatten. Da ist es doch nur natürlich, wenn man die Zeit genießen möchte, die man allein ist. Aber mein Cousin war bei sowas immer schon recht pingelig. Alles was Pflichterfüllung anging, wurde bei ihm großgeschrieben. Sicherlich keine schlechte Eigenschaft. Nur meinen Geschmack traf es eher weniger.

„Emiko Liebes, Zeit aufzustehen. Ich hab euch eure Bentos schon fertig gemacht, liegen unten in der Küche. Bin dann jetzt aber auch schon weg, viel Spaß in der Schule!" So schnell, wie Tante Natsuki die Tür aufgerissen hatte, fiel sie auch wieder ins Schloss, nachdem sie mich aus meiner Ruhephase holte. Die ersten Minuten nachdem der Wecker klingelte, lag ich meistens noch einfach so da und dümpelte vor mich hin.

Meiner Mutter ging das immer gegen den Strich, weil es hin und wieder vorkam, dass ich dann halt auch nochmal einschlief. Dann fing sie an mir meine kostbare Zeit am Morgen zu rauben, um mir eine zehnminütige Predigt über mein mangelndes Pflichtbewusstsein zu halten. Da konnte ich jetzt wirklich heilfroh sein, so lieb von Natsu geweckt zu werden.

Gegen den Willen meines Körpers, stieg ich also aus dem Bett und sprang unter die Dusche.
Auf dem Weg ins Bad hörte ich, wie unten die Haustür ins Schloss fiel. Außerdem schien Shin ebenfalls schon hellwach zu sein, so wie der hier die Treppen hoch und runter trampelte.

In meinem Handtuch eingewickelt vor'm Spiegel stehend, fiel mein Blick auf den verletzten Ellenbogen. Das provisorisch aufgeklebte Pflaster begann sich zu lösen. Lag vermutlich an dem warmen Wasser. Ich soll ein Neues benutzen, das hatte er mir gesagt.

Aus dem kleinen Schrank unter'm Waschbecken zog ich die noch ungeöffnete Packung Pflaster. Wieder warf ich einen Blick in den Spiegel, betrachtete den liebevoll platzierten Schutz über meiner Wunde. Dachte dabei plötzlich daran, wie er mich gestern angegrinst hatte. Wie er mir die Wange tätschelte. Fast schon unsanft, und doch mit einem fürsorglichen Blick auf mich.

Man, was denkt ich da überhaupt?

Kopfschüttelnd widmete ich mich der einzig wichtigen Aufgabe das Pflaster zu wechseln.

Der Fakt, dass Suna einen Platz in meinen Gedanken eingenommen hatte, machte mir Angst.

Als ich wieder zurück in mein Zimmer tapste, lief ich Kita im Flur über den Weg.
„Guten Morgen Sonnenschein", begrüßte er mich viel zu übertrieben. Ich sah trotz der frischen Dusche aus, als hätte ich drei Tage nicht geschlafen. Also alles andere, als ein Sonnenschein.

Limerence // Suna Rintarō x OCWhere stories live. Discover now