NEUNUNDVIERZIG

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Chris

Luana sackte vor mir in die Knie und fing an zu weinen. Ich kniete mich zu ihr runter und legte beschützend meine Arme um sie. Ich hasste es, wenn mein Mädchen weinte. Als ich sie fragte, was los sei und sie mir als Antwort irgendwas von Sina und Krebs erzählte, kam ich direkt in ein Tunnel. Mir kamen die Erinnerungen an Papa wieder hoch und ich sah alles wie ein Film an mir vorbeiziehen.

Wie ferngesteuert stand ich auf und verliess die Wohnung, ich musste raus. Ich brauchte Luft und liess sie alleine. Ich setzte mich ins Auto und fuhr einfach los, quer durch Enger, Bünde und weiter nach Herford, eine ganze Stunde lang, planlos querfeldein.

Irgendwann parkte ich auf dem kleinen Friedhof wo Papa lag und ging zu seinem Grab. Ich setzte mich auf den Boden und schaute auf die frischen Blumen, die gepflanzt wurden. Ich sagte nichts, sass mit Tränen in den Augen da und die Stunden vergingen. In meinem Kopf herrschte gerade ein riesen Durcheinander.

Wieso hat sie mir nichts gesagt? Dachte sie, ich wäre nicht für sie da? Dachte sie, sie müsse da alleine durch? Vertraute sie mir nicht? Fragen, auf die ich keine Antworten wusste aber hoffentlich Antworten bekam. Es dämmerte und es begann leicht zu regnen, als ich mich wieder ins Auto setzte und in die Werkstatt fuhr. Ich wollte nicht nach Hause, ich musste mich ablenken und dass konnte ich am besten beim Arbeiten.

Ich setzte mich an meinen Bürotisch und skizzierte einen Bauplan für eine mögliche neue Illusion. Die Papierknäuel am Boden wurden immer mehr und der Inhalt der Bierflasche, immer weniger. Mein Handy vibrierte und Luanas Name wurde angezeigt. Ich wollte nicht rangehen und ignorierte den Anruf sowie die Nachrichten, die sie hinterher schickte.

Ich zuckte zusammen, als die Bürotür aufgerissen wurde und Andreas rein stampfte. „Ähm Bruder? Was machst du hier und wieso bist du nicht zu Hause?" er sah auf die Uhr, die sein Handgelenk zierte und kam fragend auf mich zu. „Ich hatte da noch eine Idee für eine neue Illusion und wollte die in Ruhe auf Papier bringen aber irgendwie gelingt es mir nicht." Es war nicht gelogen, die Idee hatte ich schon länger in meinem Kopf, schob es aber als Grund vor. „Um halb 10 abends?" Andreas sah mich mit schiefgelegtem Kopf an. „Bruder, meine Ideen kennen keine Bürozeiten!" schnauzte ich ihn dezent genervt an. „Zeig mal her" er nahm sich einen Stuhl und öffnete ebenfalls ein Bier. Ich erklärte ihm grob um was es ging und wir fingen mit dem Brainstorming an. „Das könnte ganz gross werden." Andreas war begeistert und klopfte mir auf die Schulter.

„Chris, lass uns für heute Schluss machen, es ist schon bald halb 3 Uhr, ich muss ins Bett" gähnte Andreas und seine Augenlider wurden zunehmend schwerer. „Gute Nacht Andreas, ich bleibe noch ein bisschen." Ich kritzelte weiter auf den Unterlagen rum. „Geh nach Hause, Luana wartet doch bestimmt auf dich." Andreas stand auf und räumte seine Sachen weg. „Nein, ich bleibe hier!" schnauzte ich ihn erneut an. „Okay, was ist los?" Andreas setzte sich wieder neben mich. „Nichts!" sagte ich bestimmend.  „Das hört sich aber gerade überhaupt nicht, nach NICHTS an."

„Ach scheisse" seufzend schob ich die ganzen Unterlagen von mir weg und mit abgestützten Ellenbogen vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen. Ich versuchte meine aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, doch mein Schluchzen entging Andreas nicht. „Sag mal, weinst du? Was ist passiert?" Andreas zog mir die Hände vom Gesicht weg und ich sah ihn an. „Luana, sie..." Ich seufzte und erzählte ihm von dem Telefonat und davon, dass ich danach abgehauen bin. „Ach kleiner, komm mal her." Er legte seinen Arm um mich und ich begann an seiner Schulter zu weinen.

„Sie braucht dich jetzt Chris und du brauchst sie" flüstert er und strich mir über den Rücken. „Ich weiss..." murmelte ich vor mich hin. „Ich habe einfach solche Angst, dass ich es nicht packe und ich nicht für sie da sein kann." Ich vergrub mein Gesicht wieder in meinen Händen. „Ich weiss Chris, geh nach Hause und sprich mit ihr darüber."

Ich setzte mich wieder ins Auto und erschrak, da es schon nach 3 Uhr war. Ich parkierte vor unserer Wohnung und sah, dass noch Licht brannte. Luana ist noch wach? Hat sie so lange auf mich gewartet? Mit schlechtem Gewissen im Gepäck öffnete ich die Wohnungstür und zwei verweinte Augen sahen mich an.

Ohne Worte fiel ich ihr direkt in die Arme. Andreas hatte Recht, sie brauchte mich und ich brauchte sie. Ich ahnte, dass die nächste Zeit für uns nicht leicht wird, konnte mir aber beim besten Willen nicht ausmalen, was wirklich alles auf uns zukam.

I call it MAGIC when you're around meWhere stories live. Discover now