8. Infiziert

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Es war eine Woche nach meinem achten Geburtstag, als Noah zu husten begann.
Die Aprilsonne wärmte unseren mittlerweile ziemlich verwilderten Garten, um den meine Eltern sich nicht mehr kümmerten, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Unser Vater war gemeinsam mit dem einzigen Nachbarn, der außer uns geblieben war, auf der Suche nach Vorräten und schon fünf Tage weg, als ich herunter ins Wohnzimmer kam und meine Mutter weinend vorfand. Noah saß vor ihr auf dem Sofa, das Shirt über dem Bauch hochgezogen.
Noch bevor ich sah, was sie sich da ansahen, wusste ich es schon. Ich wusste, dass mein Bruder infiziert und es nicht nur ein Schnupfen war, der ihn gestern hatte husten lassen.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich ziemlich glücklich gewesen. Zu meinem Geburtstag hatte unsere Mutter sogar einen Kuchen gemacht, wofür unser Vater fast eine Woche lang die Sachen zusammengesucht hatte. Noah hatte mir ein Armband geschenkt und ein kleines Notizbuch, in das er mir einen kleinen Geburtstagsgruß geschrieben hatte.
Aber an diesem Tag begann die Hoffnung aus meinem Leben zu verschwinden.
Als ich vor meinem Bruder auf die Knie ging, eine Hand auf die Schulter meiner Mutter legte, die unaufhörlich schluchzte und stumm zu ihm aufsah, konnte ich eine solche Angst hinter der ruhigen Maske, die er für unsere Mutter aufgesetzt hatte, erkennen, dass es mich beinahe zerriss. Ich kämpfte gegen den ersten Schluchzer an, gewann den Kampf, aber schaffte es dabei nicht, auch noch die Tränen zurückzuhalten, die jetzt meine Wangen herunterzulaufen begannen.
Eine so tiefe Verzweiflung machte sich in mir breit, dass ich spürte, wie ich in ein tiefes Loch zu fallen begann. Mein Leben war gut gewesen. Ich hatte meine Eltern gehabt und vor allem Noah, der sich immer um mich gekümmert hatte. Solange wir einander hatten, war es egal, was in der Welt passierte. Und das hatte mir diese Welt gerade genommen. Der Brand war dabei, mir meinen Bruder zu nehmen. Wie sollte ich das überleben?
„Wenn es schlimmer wird... Ich darf euch nicht verletzen. Ihr müsst Dad tun lassen, was er tun muss", begann er, aber ich unterbrach ihn.
„Nein, Noah. Nein, das wird nicht passieren. Wir sitzen das aus. Wir schaffen das. Dieses verdammte Virus bekommt dich nicht. Nicht dich."
„Guck mich an, Franci. Ich bin infiziert. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass ich gefährlich werde, so wie die da draußen."
Er deutete zu einem der vernagelten Fenster, durch das wir immer die Cranks im Garten beobachtet hatten.
Doch ich schüttelte mit dem Kopf. „Wir können aufpassen. Wir passen auf, dass du uns nichts tust. Sie werden ein Heilmittel finden. Sie werden dir helfen können, bald."
Meine Mutter weinte noch immer einfach nur.
„Sie suchen seit vier Jahren. Sie werden nichts finden." Er sah mich gequält an.
„Vielleicht. Aber wir werden nicht aufgeben. Wir holen dir Medikamente, wir verlangsamen es, halten es auf. Wir schaffen das."
Jetzt legte meine Mutter mir eine Hand an die Wange. „Du bist so erwachsen, Schatz. Was würden wir nur ohne dich tun."
Doch ich schüttelte mit dem Kopf. „Ich denke nur rational, Mum. Es gibt immer einen Weg. Man darf nur niemals aufgeben."
„Du bist sehr besonders, Franci", sagte Noah, der jetzt sein Shirt wieder über seinen Bauch zog, der bereits mit blauen Adern überzogen war. „Sie dürfen dich niemals kriegen."
„Nicht auszudenken, was sie mit dir machen würden", flüsterte meine Mutter und streichelte mir über den Kopf.
Ich stand auf, ignorierte ihre Worte. „Mum, funk Dad an und sag ihm, er soll alles an Medikamenten mitbringen, was er finden kann. Ich suche im Badezimmer alles zusammen. Noah, du gehst dich hinlegen. Wenn dieses Virus wirklich das Gehirn angreift, so wie es aussieht und sie gesagt haben, dann müssen wir es irgendwie verlangsamen."

An diesem Abend saß ich lange an Noahs Bett. Das Virus holte ihn sich schneller, als er zugeben wollte. Unsere Mutter, die unten war und vermutlich weinte, und ich hatten ihm Schmerztabletten gegeben, die wir noch da hatten, mehr als man normalerweise nehmen sollte, in dem Versuch, sein Gehirn zu verlangsamen, den Brand aufzuhalten.
Während er in einen weiteren Hustenanfall ausbrach, strich ich ihm über den Arm. Müde lächelte er mich an. Die Tabletten hatten ihn ziemlich ausgeknockt. Aber das war es ja, was wir erreichen wollten.
„Danke, Franci", flüsterte er. „Danke, dass du hier bist."
„Ich geh' nicht weg, bis du eingeschlafen bist", versprach ich.
Und das tat ich. Ich beobachtete, wie er immer mehr weg döste, bis er endgültig eingeschlafen war. Währenddessen dachte ich darüber nach, wie verdreht die Welt gerade war. Früher war es andersherum gewesen. Noah hatte an meinem Bett gesessen und gewartet, bis ich eingeschlafen war. Das war jetzt vorbei.
Als ich irgendwann aufstand, um selbst ins Bett zu gehen, fasste ich ihm noch einmal an die Stirn - und schreckte zurück. Er war kochend heiß, trotz der Medikamente, die das Fieber senken müssten.
Verzweiflung machte sich wieder in mir breit, drohte mich umzuwerfen. Zitternd krallte ich mich an dem Rahmen seines Bettes fest und atmete langsam ein und aus.
Unser Vater würde wiederkommen, bald. Er würde Medikamente mitbringen, Antibiotika, Sachen, die Noah helfen würden. Wir würden durchhalten, bis man ein Heilmittel gefunden hatte. Wir mussten einfach.
In meinem eigenen Bett lag ich noch lange wach. Niemand war da, der mir etwas vorlas oder mich einfach nur festhielt, so wie Noah oder meine Mutter es sonst immer getan hatten, wenn ich traurig gewesen war. Ich musste jetzt selbst stark sein, für mich, für sie.
Später, wenn ich an meine Vergangenheit zurück dachte, war ich mir jedes Mal sicher, dass es dieser Tag gewesen war, der alles verändert hatte, der meinem Leben die Richtung gab, die es nahm. An diesem Tag begann ich, ein achtjähriges Mädchen, erwachsen zu sein und anstatt mich darauf zu verlassen, dass andere wussten, was das Richtige für mich oder sie war, eigene Entscheidungen zu treffen.
Entscheidungen, die mich letztendlich an einen Punkt bringen sollten, an dem ich mich niemals gesehen hatte. Einem Punkt, an dem ein Mädchen dafür sorgen würde, dass ich wieder Hoffnung hatte, zum ersten Mal seit Jahren.
Aber vorher sollte ich noch die Hölle erleben.

Behind The WICKED Truth | A Maze Runner NovellaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt