37. Aris' Verschwinden

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Schon am ersten Tag nach Thomas' Ankunft auf der Lichtung wurde klar, dass sich einiges verändert hatte, seit er WICKED verraten hatte. Der Plan war es, ihn bis aufs Äußerste zu testen. Starb er, hatte man den Verräter beseitigt, stellte er sich als der Proband heraus, der das Labyrinth lösen konnte, hätten sie genau das, was sie wollten. Dann war es möglicherweise doch nicht das Mädchen, das der Schlüssel zu allem sein würde. Immerhin hatte sie in den letzten drei Jahren auch noch keinen Ausgang gefunden, geschweige denn war sie der Funktion der Griever auf die Schliche gekommen. Und trotzdem hätte all das, was Thomas gemeinsam mit den Lichtern in den nächsten Tagen erreichen würde, niemals passieren können, wenn Anna und Minho diese Vorarbeit nicht geleistet hätten.
Rückblickend war es, als hätte alles perfekt zusammen gepasst. Manchmal fragte ich mich, ob WICKED nicht alles genauso geplant hatte. Viel zu gut griffen die Ereignisse ineinander, schien alles aufeinander abgestimmt zu sein.
An diesem ersten Tag verloren sie Ben. Minhos bester Freund lief alleine in einen Gang hinein, aus dem er etwas gehört hatte, das nicht wie ein Griever sondern viel mehr wie ein Hinweis klang. Ich verstand nie, auch nicht Jahre später, warum er niemandem Bescheid gesagt hatte, wo Anna und Minho ihren Läufern doch täglich einbläuten, dass sie sich niemals trennen durften, nachdem Ben so viele hatte sterben sehen.
Aber er verschwand, wurde gestochen und rannte zur Lichtung zurück, wo er Thomas im Wald angriff. Ich saß währenddessen ein weiteres Mal wie versteinert vor meinem Bildschirm und konnte nicht glauben, was ich da sah. Völlig hilflos musste ich dabei zusehen, wie der blonde Läufer meinen Freund quer über die Lichtung jagte, einholte, begann ihn zu würgen und anzubrüllen, dass alles seine Schuld sei, bevor einige Lichter angerannt kamen und Newt Ben ausknockte, sodass er endlich von Thomas abließ. Erleichtert atmete ich auf, auch wenn alles, was weiter passierte, einfach nur schrecklich war.
Natürlich mussten sie Ben verbannen. Und es zerriss Minho, den starken, schnellen, mutigen Jungen. Er verlor nicht nur seinen besten Freund, er verlor einen Bruder. Zu wissen, dass die beiden einst Freunde gewesen waren, als sie noch hier bei WICKED gelebt hatten, Ben gekannt zu haben, ihn einst täglich im Speisesaal gesehen zu haben, stach wie ein Messer in meinem Herz. Aber ich konnte nichts tun.

Als ich an diesem Abend verspätet Feierabend machte, ging ich nicht zum Speisesaal, sondern machte mich auf den Weg zu der Abteilung der Griever, von wo die Maschinen gesteuert wurden. Noch immer brannten meine Augen von den Tränen, die ich um den verbannten Jungen geweint hatte, zusammen mit Anna und Minho, ohne, dass die beiden davon gewusst hatten.
Als ich die Tür zu besagtem Labor gerade öffnen wollte, kam mir jemand entgegen.
"Heath!", stieß ich überrascht hervor. "Was machst du denn hier?"
"Hey, Francesca. Ich habe nur Nico Bescheid gesagt, dass wir packen müssen. Wir werden morgen früh in eine Außenstelle verlegt, zusammen mit ein paar anderen Kids. Und du?", fragte der Junge, der normalerweise immer gut gelaunt war, gerade aber eher müde wirkte und mir nur ein schwaches Lächeln schenkte.
"Ich suche Aris. Ist er da drinnen?", fragte ich. Ich wollte zumindest versuchen, ihn darum zu beten, nicht allzu hart mit Ben zu sein oder zumindest ein gutes Wort dafür einzulegen, dass die Nachtschicht dies tat. Bisher hatte das immer Thomas getan, aber schließlich war ich jetzt die letzte, die von uns übrig war und somit die letzte, die noch auf die Lichter aufpassen konnte.
"Aris?" Heath zog eine Augenbraue hoch. "Den hab ich schon seit ein paar Tagen nicht gesehen."
"Wirklich?", fragte ich verwirrt.
Da Heath' und sein bester Freund Nico die Maschinen hier unten warteten, hatten sie zumindest deshalb immer wieder etwas mit dem introvertierten Jungen zu tun gehabt, der mit noch weniger Leuten zu reden schien, als ich. Wahrscheinlich war es das, was dieser Job mit einem machte. Jugendliche durch ein riesiges Labyrinth zu jagen und zu stechen oder sogar umbringen zu müssen, ging nicht spurlos an einem vorbei. Dabei zusehen zu müssen war schon schlimm genug für mich.
"Geh rein und frag selbst nach", zuckte der Junge mit den Schultern.
Ich nickte. "Alles klar. Danke, Heath. Und viel Glück in der Außenstelle. Wir sehen uns", fügte ich noch hinzu, als ich mich schon einmal abgewendet hatte.
Wahrscheinlich würde ich ihn nie wieder sehen.

Aris war nirgends zu finden. Nachdem ich im Labor, bei seinem Zimmer und im Speisesaal gewesen und ihn dort gesucht hatte, entschied ich, Paige persönlich zu fragen. Ich glaubte, in einer Rolle zu sein, in der es nicht verwerflich war, mich bei ihr nach etwas zu erkundigen. Also machte ich mich auf den Weg zu ihrem Büro.
Die Tatsache, dass mir ständig einer von Jansons Männern mit etwas Abstand folgte, versuchte ich auszublenden, konnte aber nicht umhin, immer mehr genervt von dieser Tatsache zu sein. Als ich aber Paiges Büro erreichte, blieb die Wache ein gutes Stück entfernt stehen, so als solle WICKEDs Chefin nicht sehen, dass Janson seine Männer auf mich angesetzt hatte. Kurz dachte ich darüber nach, die Doktorin darauf anzusprechen, entschied aber, dass ich das Bisschen Zeit, das sie hoffentlich für mich übrig haben würde, nicht mit meinen Problemen zu verschwenden. Die anderen waren wichtiger.
Während ich vorsichtig anklopfte, bemerkte ich, dass meine Hand leicht zitterte und biss mir auf die Unterlippe, wütend auf mich selbst.
"Herein!", ertönte die Stimme der Frau und ich drückte die Tür auf.
Langsam trat ich in den großen, hellen Raum. Paige saß in einem weißen Sessel, ein Glas mit Rotwein in der Hand und hatte mir den Rücken zugewandt.
"Miss Paige?", fragte ich leise.
Sie drehte sich um und bei meinem Anblick erhellte sich ihre die ernste Miene, die sie bis gerade gehabt zu haben schien.
"Francesca!", stieß sie hervor und lächelte, als sie aufstand und mir entgegen kam. "Was für eine nette Überraschung! Was führt dich her? Ich wollte es dich doch wissen lassen, wenn wir mit deiner nächsten Lektion fortfahren."
Sie stellte ihr Glas ab und breitete die Arme aus, als wolle sie mich umarmen, deutete dann aber auf einen Sessel nahe dem, auf dem sie bis eben gesessen hatte.
"Komm, setz dich doch. Was hast du auf dem Herzen?"
Ich lächelte leicht und folgte dann ihrem Angebot. Etwas steif ließ ich mich auf den Sessel fallen und nahm ein Glas mit dem gleichen Wein an, das sie mir anbot, auch wenn ich noch nie zuvor Alkohol getrunken hatte. Vorsichtig nippte ich an der roten Flüssigkeit und musste mich beherrschen, um den Mund nicht zu verziehen.
Ganz schön bitter das Zeug.
Als Paige mich nun erwartungsvoll ansah, entschloss ich mich, direkt zum Punkt zu kommen.
"Ich war auf der Suche nach Aris, dem Jungen, der einige Griever steuert. Heath sagte mir, er habe ihn schon seit ein paar Tagen nicht gesehen und ich konnte ihn nirgends finden. Es ist, als wäre er einfach so verschwunden."
Das Lächeln auf den roten Lippen der Frau mir gegenüber veränderte sich. Es war beinahe, als würde es traurig.
"Das liegt daran, dass er tatsächlich 'verschwunden' ist, wie du es genannt hast, Liebes. Er ist das Gegenstück deiner Freundin Teresa. Er wird übermorgen in das B-Labyrinth hoch geschickt werden. Hat dir das niemand erzählt?"
Ich spürte, wie mich das Entsetzen packte und mir schwindelig wurde. Und das kam ganz sicher nicht von dem Schluck Wein. Auch wenn ich Aris kaum gekannt hatte, die Tatsache, dass sie nach und nach alle holten, die immer hier gewesen waren, beängstigte mich mehr als ich zugeben durfte. Wenn sie das gleiche, was im A-Labyrinth passierte, jetzt auch in den anderen Labyrinthen durchführten, dann musste es ihnen wirklich ernst sein, diese Phase der Experimente schnell zu beenden. Und das bedeutete, dass viele Kids sterben würden.
"Ich weiß, wie schwer es ist, alle deine Freunde zu verlieren, Liebes. Aber wir müssen die Endphase einleiten. Und nur so kann es funktionieren", erklärte Paige ruhig. "Es ist nun nicht mehr aufzuhalten. Etwas großes erwartet uns."
Ich nickte langsam und umklammerte mein Glas.
"Gibt es etwas, was du von Aris wolltest, wobei ich dir helfen kann?", fragte sie dann.
"Nein. Nein, vielen Dank, Miss Paige. Ich werde Ihre Zeit jetzt nicht weiter vergeuden. Ich sollte zu Bett gehen, es ist schon spät. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und den Wein", entgegnete ich, leerte mein Glas und stand auf.
"Jederzeit", sagte Paige und begleitete mich zur Tür. "Mein Büro steht dir immer offen, Liebes. Ich wünsche dir eine gute Nacht. Mach dir keine Sorgen, alles wird gut werden. Die Experimente werden erfolgreich sein. Alles wird sich jetzt verändern. Und denk immer daran: WICKED ist gut."
Ich nickte, bevor ich die Tür hinter mir schloss.
Wenn auch Aris mir nicht mehr helfen konnte, war es an der Zeit, dass ich selbst begann, die Dinge in die Hand zu nehmen.

Behind The WICKED Truth | A Maze Runner NovellaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt