Kapitel 5

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P e r c i v a l

„Verdammt Aschenputtel lauf doch mal etwas schneller!", knurrt Hamish und schubst mich heftig nach vorne, als wir die Trampelpfadstrecke zu den anderen laufen, die sich bereits schon im Halbkreis zusammengefunden haben. Leider war ich so beeindruckt, dass ich mit offenem Mund die Umgebung und vor allem die schönen angelegten Hecken bewundert habe, auch wenn mir ein paar Blumen fehlen. Der Boden wäre perfekt dafür. Ein überraschter Laut entkommt mir, als er mich nach vorne stößt und ich das Gleichgewicht verliere. Mit dem Gesicht zuerst falle ich genau in den Schlamm und das laute Platschen lässt einige Köpfe zu uns umdrehen. Lautes Gelächter erklingt von überall. Beschämt zieht sich mein Herz zusammen und unweigerlich treten Tränen in meine Augenwinkel. Der erste Eindruck kann wohl nicht peinlicher sein. Zitternd stütze ich mich auf und werde sofort von einem bekannten Gefühl überschwemmt, das meinen Kopf sofort hoch zucken lässt. Erst jetzt werde ich mir der plötzlichen Stille um mich herum bewusst. Mr. Cartwright steht einnehmend vor mir, mit einem schwarzen Anzug und könnte damit nicht dominanter aussehen. Sein Kiefer tritt auffällig hervor und lässt mich schlucken, sowie seine kühle Ausstrahlung. Seine Hände sind entspannt in seinen Hosentaschen vergraben. Sofort versuche ich so schnell wie möglich aufzustehen und verliere dabei beinahe erneut mein Gleichgewicht. Als ich stehe, senke ich sofort meine Augen, da der Drang sich zu unterwerfen einfach zu groß ist. Sein Blick ist so stechend auf mir, dass ich mir dessen bewusst bin, ohne ihn überhaupt ansehen zu müssen. Als er sich von mir abwendet, atme ich auf und wage es aufzusehen. Nun liegt seine Aufmerksamkeit neben mir, bei Hamish. „Dein Name?!", fordert er ausdruckslos. „H-H-Hamish, Sir. H-Hamish Don-Donovan", stottert er zusammen, was mich wirklich erstaunt. Ich habe ihn noch nie so eingeschüchtert erlebet, geschweige denn ihn stottern gehört. „Knie nieder." Sofort sehe ich wieder mit großen, überraschten Augen zu Mr. Cartwright. „W-Was, Sir ich-" „Knie nieder!", brüllt er in seiner Alphastimme und ich zucke heftig zusammen, wie wohl alle um mich herum und kämpfe dagegen an, nicht selbst niederzuknien. Zitternd geht Hamish langsam auf die Knie. Mr. Cartwright tritt zu ihm und schaut auf ihn hinab. „Das hier ist mein Revier. Hier gelten meine Regeln und hier wird jeder - ohne Ausnahme - mit Respekt behandelt. Keiner steht hier über dem anderen. Lediglich mir steht das Recht zu, so zu handeln. Verstehen Sie das, Mr. Donovan?", knurrt er leise, was mir eine Gänsehaut beschert. „J-Ja, Sir." „Gut", murmelt er zufrieden. „Nun zieh' dein Shirt aus." „Sir?", Hamish sieht ihn verwirrt an. „Muss ich mich wiederholen?" Eilig schüttelt er den Kopf und greift an seinen Bund, um es ohne weitere Worte über seinen Kopf zu ziehen. Sein Arm zittert stark, als er es ihm hinhält. „Nimm es", weist er mich an. Meine Augen weiten sich, doch ohne etwas zu sagen, nehme ich es an mich. „Mach dein Gesicht sauber." Eingeschüchtert wische ich mir an dem weißen T-Shirt von Hamish den Schlamm von meinem Körper, so gut wie es geht. Als ich fertig bin und das Shirt vollkommen dreckig ist, sehe ich den Alpha abwartend an, der mich die ganz Zeit bei meinem Tun beobachtet hat. „Gib es ihm zurück." Sofort reiche ich es Hamish, der es wieder annimmt. „Zieh es an", fordert er ihn auf und gehorcht sofort. „Ich wünsche nicht erneut so einen Vorfall, während Ihres Aufenthalts in meinem Rudel", damit geht er und auf ihm liegt ohne Ausnahme jeder Blick. Hamish kniet noch immer zitternd auf dem Boden, mit einem dreckigen Shirt am Leib und einem apathischen Blick auf den Boden. Langsam bewegen wir uns alle wieder Richtung der Menschenmenge, jedoch liegt nun eine Stille über uns, die es davor nicht gegeben hat. Wir versammeln uns im Halbkreis, jeweils gruppenweise vor unseren Trainer. Vor uns stehen mehrere erwachsene Leute und in der Mitte der Alpha, Ares Cartwright. Sein Auftreten wirkt lässig, aber vor allem auch dominant und einschüchternd. Zu seiner rechten Seite gesellt sich ein etwas kleinerer Mann mit drei großen Narben im Gesicht. Während an seiner linken Seite ein Mann steht, der ebenfalls kleiner ist als er - so wie eigentlich jeder. Dieser wirkt relativ neutral und sein schräges Lächeln auf den Lippen lässt ihn sympathischer als den anderen wirken. „Ich heiße euch alle willkommen im Blackwater Rudel. Mein Name ist Ares Cartwright und ich bin der Alpha dieses Rudels. Zu meiner Linken befindet sich mein Beta Ezekiel Jax und zu meiner Rechten der Ausbilder unserer Kämpfer, Zalen Blake. Mr. Fox...", ein Mann mit weißen Haaren und grauen Bart tritt kurz aus der Reihe hervor, „...ist der Schulleiter des Evermore Colleges, wenn Sie Fragen haben betreffend des Unterrichts, an dem sie vormittags teilnehmen, wenden Sie sich an ihn oder den entsprechenden Lehrern der verschiedenen Fächer. An dieser Schule herrscht Kleiderordnung, da sie aber hier nur vorübergehend bleiben, wird Ihnen eine Schuluniform der Farbe ihres Rudels entsprechend zugeordnet. Es existieren darüberhinaus Regeln, an denen Sie sich halten müssen, um an den Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen." Regeln? Kleiderordnung? Unterricht? Das klingt wirklich sehr interessant, ob es jedoch auch so toll ist, ist fragwürdig. „Erstens: Nach 21 Uhr ist es untersagt das Schulgebäude zu verlassen. Zweitens: Kämpfe zwischen den Teams sind nur in den entsprechenden Wettkämpfen gestattet, wird diese Regel missachtet, erfolgen entsprechende Strafen-...", unterbrechend hebt jemand die Hand. Mr. Cartwright hält wenig begeistert inne, nickt jedoch auffordernd. „Von was für Bestrafungen sind denn hier die Rede?" „Halten Sie sich einfach an die Regeln, dann werden Sie es auch nie erfahren", sein Mundwinkel zuckt, beinahe so, als würde er ihm gerne hier und jetzt eine der Bestrafungen demonstrieren. Schluckend nickt der Junge und tritt wieder zurück. „Drittens - und damit die letzte Regel: Der Konsum von AT und Alkohol besetzt mit AT ist strengstens verboten." AT? Was zum Teufel ist AT? „Ich wünsche Ihnen allen viel Glück bei den Wettkämpfen und möge der Beste den Pokal mit nach Hause nehmen", endet er seine Ansprache und lässt mich mit seiner tiefen Stimmlage erneut erschaudern. Wie soll es nur möglich werden jemanden wie ihn auszuspionieren?

~

„Verdammt kratzt die Scheiße!", beschwerte sich Levin, einer meiner Teamkameraden, und zupft am Kragen seiner weißen Schuluniform, als ich mich von der Gruppe trennte. Ich sehe an mir hinab, auf die Uniform in meinen Händen. Sie ist strahlend weiß. Zum Glück durften wir unsere eigenen Schuhe anbehalten. Uns wurde jeweils ein Zimmer in diesem riesigen Schloss zugewiesen. Wir sind im rechten, hinteren Teil. Alle müssen sich ein Zimmer teilen, doch ich hatte Glück, ich habe ein extrem kleines Einzelzimmer bekommen. Wohl einfach darum, da es sonst nicht aufgegangen wäre und ein Zimmer mit den Mädchen zu teilen, kam gar nicht in Frage. Vielleicht auch, weil sich einfach keiner mit mir ein Zimmer teilen wollte. Traurig über diesen Gedankengang verdränge ich ihn schnell. Ich bin ganz froh darüber, dass sich mein Coach darum gekümmert hat, dass ich derjenige mit dem Einzelzimmer bin. Es ist kein Geheimnis, dass ich keine Freunde habe, mit denen ich unbedingt in ein Zimmer wollen würde, so kann ich wenigstens in Ruhe lesen. Also eine Win-win-Situation. Seufzend lasse ich mit einem dumpfen Aufschlag meine Reisetasche fallen, was sofort einiges an Staub in meinem Zimmer aufwirbelt. Hier hat wohl schon seit einigen Jahren keiner mehr gewohnt. Hustend wedle ich den Staub davon und gehe mit drei großen Schritten durch den Raum, um das kleine Fenster zu öffnen. Es steht ein Schreibtisch an diesem, daneben ist eine Dachschräge unter der sich ein schmales Bett befindet, und gegenüber ist ein Schrank. Am Bettende befindet sich eine große Truhe und an der kleinen Wand neben der Tür eine Pinnwand mit wichtigen Zetteln, die wohl schon zur Vorbereitung angebracht wurden. Es steht im groben dort, was der Alpha bereits gesagt hat, sowie ein Umriss des Grundstücks, ein Speiseplan und die Unterrichtszeiten. Glücklicherweise ist auch ein Stundenplan angepinnt, der auf mich zutrifft. Zufrieden stelle ich fest, dass ich den ganzen Sonntag Zeit habe, mich zurecht zu finden, ehe am Montag die Schule beginnt. Die Wettkämpfe finden jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag statt. Ich wende mich zu meinem unbezogenen Bett und fische meine eigene Bettwäsche aus meiner Tasche, um es zu beziehen.
Mittendrin ruft mich mein Dad an und ich beginne sofort zu strahlen. Mit dem Rücken lasse ich mich auf's Bett fallen und nehme an. „Hey Dad!" „Mein Sohn, wie gehts dir? Alles gut? Wie ist es so?", überhäuft mich mein Vater mit Fragen. „Wow, Dad, immer langsam", lache ich. „Mir geht es gut und es ist auch alles gut. Hier ist es so anders als zu Hause. Die Schule ist riesig und das Gelände ist viel größer, als ich gedacht habe", erzähle ich. „Wie sind die anderen so?", will er wissen. „Um ehrlich zu sein, hatte ich bisher noch keinen Kontakt zu ihnen. Wie ist es zu Hause, alles okay? Hast du heute schon was gegessen?"
Mein Dad und ich unterhalten uns noch eine ganze Weile über dies und jenes. „Dad, ich muss auflegen. Das Bett bezieht sich nicht von alleine, außerdem muss ich dringend mal duschen." Ich bin mir des Schlamms auf der Haut, der zwar nur noch wenig vorhanden ist, trotzdem noch allzu bewusst. „Aber natürlich. Viel Spaß und pass auf dich auf. Hab dich lieb!" „Mach ich und ich dich auch." Damit beenden wir das Gespräch und ich starre an die Decke. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich in den nächsten zwei Wochen mehr auf mich aufpassen muss, als ich es in meinem Leben jemals zuvor getan habe.

Black DepthsWhere stories live. Discover now