Kapitel 13

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P e r c i v a l

„Sag das nochmal!", fordert mein Vater ganz begeistert und strahlt übers ganze Gesicht. Nachdem ich völlig erschöpft in mein Bett gefallen bin, habe ich sofort nach meinem Handy gegriffen und meinen Dad über FaceTime angerufen. Ich habe ihm alles erzählt und fühle noch immer das Kribbeln im Bauch, wenn ich meinen Dad vor Stolz platzen sehe. „... und dann bin ich mit dem grünen Band durchs Ziel gelaufen und habe gewonnen", erzähle ich lächelnd mit glühend roten Wangen. „Und was haben deine Freunde gesagt?" Das verpasst mir sofort einen Dämpfer, doch ich lasse mir nichts anmerken. Mein Dad denkt, dass ich überall an der Schule Freunde habe und mich gut mit allen verstehe. Warum sollte ich auch nicht? Ich bin der Sohn des Betas, der rechten Hand unseres Alphas. Doch das hat mir keine Freunde eingebracht oder irgendwelche Nettigkeiten. Im Gegenteil, entweder war es Abscheu oder Neid und Missgunst. Ich rede mir immer ein, dass ich lieber keine Freunde habe, anstatt Freunde, die mich nur mögen wegen des Status meines Vaters. Doch um ehrlich zu sein... wäre ich lieber unter Leuten, die nett sind, auch, wenn sie mir etwas vorheucheln, als immer alleine da zu stehen. Diese Demütigung trifft mich jedes Mal, deswegen kann ich meinem Vater nicht die Wahrheit erzählen, dass sein Sohn eigentlich ein Loser ist. „Ja... die haben sich natürlich mit mir gefreut", meine ich und reibe mir den Nacken. „Oh Dad!", gespielt sehe ich zu meiner Zimmertür. „Ich glaube, es hat jemand geklopft, wir hören uns die Tage. Hab dich lieb und esse immer dein Gemüse!", würge ich meinen Dad schnell ab, um dieses Gespräch über meine nicht vorhandenen Freunde zu umgehen. „Ich dich auch mein Sohn, ich bin stolz auf dich", und dann legt er auf. Seufzend lasse ich mich nach hinten auf mein Kopfkissen fallen und kann nur mit dem Kopf schütteln. Ich bin einfach lächerlich. Seinen Stolz habe ich nicht einmal verdient. Zwar habe ich den Hirsch gefunden und auch das Band aus seinem Geweih gelöst, doch im Endeffekt bin ich auch nur durch die Hilfe von Mr. Cartwright lebendig aus der Sache rausgekommen. Immer mehr verflüchtigt sich das Gefühl von Genugtuung, Stolz und Freude, als ich darüber nachdenke. Ich bin am Ende dann doch nur ein Omega, der ohne Hilfe eingehen würde.

~

Es ist spät. Ich habe das Essen geschwänzt, denn mittlerweile ist mir das Ganze einfach nur noch unangenehm. Was müssen nur die anderen gedacht haben, als sie erfuhren, dass ich derjenige war, der als erstes durchs Ziel gegangen ist? Was, wenn sie lachen? Oh Gott, peinlich berührt schlage ich mir die Hände vors Gesicht. Was, wenn der Alpha erzählt hat, dass ich nur durch seine Hilfe gewonnen habe? Ist das Betrug? Werde ich suspendiert? Was wird mein Alpha dazu sagen? Wird er enttäuscht sein? Sicherlich. Was, wenn es mein Vater erfährt? Dass ich meinen ersten Sieg nicht einmal aus eigener Kraft gewonnen habe. Verdammt. Ich hätte das Band einfach am Geweih lassen sollen. Vielleicht weiß ja mittlerweile schon jeder, dass ich es mir nicht ehrlich verdient habe? Was erwartet mich, wenn ich meine Tür öffne und in den Aufenthaltsraum gehe? Hass, Abscheu und Demütigung? Ein lautes Knurren geht von meinem Bauch aus und ich muss gestehen, dass ich riesigen Hunger habe, der Scham aber zu groß ist, als dass ich mein Zimmer verlassen könnte. Oder? Die Essenszeit ist eh schon vorbei, also müsste die Küche geschlossen sein. Mist. Vielleicht heben sie noch Rester auf? Unentschlossen sehe ich auf mein Handy, was mir anzeigt, dass es mittlerweile schon 22 Uhr ist. Rein theoretisch sollten jetzt schon alle in ihren Zimmern sein und bestenfalls im Bett, doch daran halten sich sowieso nur die wenigsten.
Das Knurren wird von Minute zu Minute mehr und langsam tut mein Bauch auch schon weh. Die letzten Tage habe ich sowieso schon so wenig gegessen. Wiederstrebend schmeiße ich mein Buch in eine Ecke, da ich mich eh nicht darauf konzentrieren kann, und in jeder Ecke ein Schokopudding stehen sehe. Alleine der Duft nach flüssiger, heißer, süßer Schokolade liegt in meiner Nase. Verdammt. Entschlossen stehe ich leise aus meinem Bett auf, schnappe mir meine kuschelige Strickjacke und öffne vorsichtig die Tür. Die Flure sind still und nur das warme Licht an den Wänden ermöglicht es mir, ohne Hindernisse weiter voranzugehen. Es ist gespenstisch um diese Uhrzeit alleine durch die Flure zu streifen, weswegen ich auch beschützend meine Arme um meinen Leib schlinge. Zur Beruhigung stelle ich mir einen sicheren, familiären und warmen Ort vor. Doch wieso ist dieser Ort eine Person? Wieso denke ich an Muskeln? An breite Schultern, kräftige Hände und eine tiefe Stimme? An schwarze Haare und grau-blaue Augen? Wieso verdammt noch mal denke ich an Ares Cartwright?! Kopfschüttelnd versuche ich einfach an nichts zu denken und meinen Weg zur Küche leise fortzusetzen, in der Hoffnung nicht erwischt zu werden. Was wohl die Strafe wäre, wenn man um diese Uhrzeit dabei erwischt wird, wie man alleine durch's Schloss läuft? Angekommen, entflieht mir ein erleichterter Laut, als die Türen sich öffnen lassen und ich ungehindert in die Küche gehen kann. Sie ist groß, typisch für eine Küche, die eine ganze Schule bekochen muss. Silberne Schränke und Tische erstrecken sich vor mir. Auf einigen stehen schon wenige Gemüsegruppen für morgen bereit. Vorsichtig tapse ich weiter und entdecke im hinteren Teil den mit Abstand größten Kühlschrank, den ich bisher jemals in meinem Leben gesehen habe. Freudig greife ich nach den großen Griffen und ziehe beide Seiten gleichzeitig vor mir auf. „Wow...", entkommt es mir und mir erscheint es so, als hätte ich den Hauptgewinn gemacht. Die eine Hälfte wird vollkommen von kleinen Plastikbechern mit Schokopudding eingenommen. Schnell sehe ich mich um und ziehe jedes mögliche Schubfach auf, um einen Löffel zu finden. Als ich endlich fündig werde, widme ich mich sofort dem ersten Plastikbecher und ignoriere gekonnt die Massen an Fleisch auf der anderen Seite. Weil, wenn ich diesen Gedanken zulassen würde, könnte ich meinen Pudding nicht mehr genießen.

Ich habe keine Ahnung wie spät es ist oder wie viel ich gegessen habe. Nach dem zehnten Becher habe ich aufgehört zu zählen. Um mich erstrecken sich einige leere Becher und ich muss gestehen, dass ich über die Konsequenzen noch keinen Gedanken verschwendet habe. Doch um ehrlich zu sein, bin ich so vollgefressen, dass ich keine vernünftigen Gedanken mehr knüpfen kann. Erschöpft lehne ich am Kühlschrank und streiche mir schläfrig über meinen Bauch. „Interessant. Der Sieger des heutigen Tages drückt sich vor dem Essen, plündert dann aber den Vorrat", erschrocken sehe ich hoch, in das unleserliche Gesicht von Hamish. Er trägt nur noch sein Hemd und eine schwarze Jogginghose. Seine Hände sind lässig in den Taschen vergraben, während er an einem Pfosten lehnt und mich beobachtet. Schnell springe ich auf und muss sofort gegen die Übelkeit ankämpfen, die durch die ganzen Puddings in mir hochkommt. „Bitte, erzähle es keinem", meine ich leise und sehe schuldbewusst auf das Chaos zu meinen Füßen. Schwungvoll stößt er sich vom Pfosten weg und kommt langsam auf mich zu. „Es ist schon das Thema des ganzen Abends. Der Omega, der gewann", murmelt er und sieht auf mich hinab. Sein Gesicht wirkt finster und nur leicht erkenne ich die roten Adern um seine Iris. Hat er dieses AT genommen oder ist er einfach erschöpft? Unschlüssig sehe ich zu ihm und warte auf seine nächsten Schritte. „Schon lächerlich, findest du nicht?", er legt den Kopf leicht schräg, während er immer näher kommt. Verängstigt weiche ich ihm aus, bis ich den Schrank hinter meinem Rücken spüre. „Ein kleiner, nutzloser Omega bringt etwas zu Stande. Erstaunlich. Fast schon unglaubwürdig...", hart schlucke ich und presse mich schützend gegen den Schrank. Er hebt seinen Arm und streicht mit seinem Daumen über meine Wange. Eine fast schon widerwärtige Gänsehaut streckt sich über meinen ganzen Körper. Am liebsten würde ich seine Hand wegschlagen und einfach wegrennen, doch ich bin wie gelähmt. „Ich kann dich einfach nicht leiden...", brummt er gedankenverloren und streicht meine Konturen nach. „Du hast einfach immer alles vor die Füße gelegt bekommen. Für dich muss alles so einfach sein. Machst du dir auch nur ansatzweise manchmal Gedanken über deine Zukunft? Oder denkst du, dass das Daddy schon regelt?" Wenn er wüsste... „Mein Leben ist nicht so einfach wie du denkst, Hamish", entkommt es mir mit piepsiger Stimme. Plötzlich packt er mich kräftig an meinem Kinn und zieht mich näher zu sich. „Selbst dein Geruch ist einfach nur widerwärtig", spuckt er und vergräbt seine Nase in meinem Haar. Ängstlich schließe ich die Augen und kann nicht verhindern, dass ich anfange zu zittern. Sein Griff um mein Gesicht wird schrecklich schmerzhaft, weswegen ich mein Gesicht verziehe und wenig erfolgreich versuche, ihn von mir zu schieben. Seine freie Hand wandert zu meiner Jacke, bis zum Bund, ehe er seine erschreckend kalte und feuchte Hand unter meinen Bund schiebt und meine nackte Haut ertastet. Erschrocken ziehe ich die Luft ein und schubse ihn mit aller Kraft von mir, während mir unbewusst die Tränen über die Wange laufen. „Lass das!", entkommt es mir flehend und sein überraschter Blick gibt mir Hoffnung, doch sie verfliegt, nachdem ich seine Wut erkenne. Ich sacke zusammen, als seine Hand schmetternd auf meine Wange trifft, wobei ich mir sicher bin, dass er von seiner vollen Stärke Gebrauch gemacht hat. Ich schmecke Blut von meiner aufgeplatzten Lippe. „Du wagst es?? Dein Rang fordert dich zur Unterwerfung!", brüllt er, packt mich am Kragen meiner Jacke und zieht mich somit wieder auf die Beine. Geschockt sehe ich in sein wutverzerrtes Gesicht. „Also tue endlich das, wofür du gut bist." Wild schüttelt er mich und plötzlich höre ich nur noch, wie Stoff reißt und ich kräftig gegen etwas fliege. Keuchend komme ich auf den Boden auf und sehe verschwommen zu Hamish. Ein unmenschlicher Schmerz schmettert durch meinen Kopf und durch den Geruch vermute ich, dass ich mir eine heftige Platzwunde am Kopf zugefügt habe. Widersprüchlich sehe ich hilfesuchend zu Hamish und strecke meine Hand nach ihm aus, da ich noch immer davon überzeugt bin, dass er das nur durch die Wut tut, die ihn dazu treibt sich selbst zu vergessen. Geschockt sieht er mit großen Augen auf mich hinab und fährt sich durch die Haare. „Shit!", entkommt es ihm. Dann sehe ich es in seinen Augen, die Schuld, aber auch die Angst. Ohne ein weiteres Wort rennt er davon und lässt mich alleine. Schluchzend fahre ich mir über meine Augen, taste vorsichtig nach meinem Kopf und zische laut, als der Schmerz mich durchzuckt. Als ich meine Hand zurückziehe, ist sie besudelt mit Blut und ich kann einfach nur hoffen, dass mich nur dieses eine Mal mein beschleunigter Heilungsprozess nicht im Stich lässt. Doch das bringt nichts, ich bin nun mal ganz einfach nicht dazu in der Lage mich so zu heilen.

Beta: hirntote

Black DepthsWhere stories live. Discover now