Kapitel 54

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P e r c i v a l

„Nochmal!" Autsch. „Nochmal!" Autsch. „Nochmal!" Autsch. „Nochmal!" Autsch.
Starr sehe ich zum Himmel empor und wünsche mir nichts sehnlicher, als in mein Bett zu fallen. In weiche, warme Laken, die mich umhüllen und liebkosen. Ein unbeeindruckter Gesichtsausdruck erscheint in meinem Blickfeld. Schmollend sehe ich zu ihm auf. „Ich lass dich erst gehen, wenn du ihn mindestens einmal durchgestanden hast." Laut seufze ich und verdrehe die Augen. Am liebsten würde ich hier liegen bleiben, auf dem feuchten, kühlen Gras. „Aber ich schaffe das nicht", protestiere ich. Ares reicht mir seine Hand, die ich widerwillig nehme, woraufhin ich sofort mit Kraft auf die Beine gezogen werde. „Was habe ich dir zu Anfang gesagt?", will er von mir wissen und sieht mich ernst an. „Mir Zeit lassen, über meine Schritte nachdenken, konzentrieren und nicht hetzen lassen...", nuschle ich und sehe geknickt auf den Boden. Es ist verdammt demütigend, wie ich von dem Parkour, der für Kinder zum Trainieren erbaut wurde, sage und schreibe, zehnmal runtergefallen bin. Dazu beobachten mich schon einige Zeit die anderen Blacks bei ihrem Training, sogar Apollo liegt nicht weit entfernt und betrachtet das alles mit einem spöttischen Gesichtsausdruck. „Du hast zu viel Angst und du machst dir viel zu viele Gedanken." Zögerlich sehe ich zu ihm auf. „Aber es ist verdammt peinlich!", krächze ich und spreche damit die ungebetenen Zuschauer an. „Hör auf das, was ich dir gesagt habe und lass dich nicht von anderen Störfaktoren beeinflussen. Vertraue auf deine Sinne und konzentriere dich." Am liebsten würde ich in Tränen ausbrechen und einfach wegrennen, doch das wäre nur noch viel schlimmer. Ich sauge seinen Duft tief in meine Lungen, ehe ich zögerlich nicke und wieder zum Anfang gehe. Du schaffst das! Du schaffst das! Noch einmal sehe ich kurz zu Ares und den anderen, die etwas weiter hinten stehen und ihrem Training nicht mehr ihre volle Aufmerksamkeit zuwenden, da ich anscheinend spannender bin. Es wäre ja gar nicht so schlimm, wäre da nicht ihr belustigter Gesichtsausdruck. Ich wende meinen Blick vor mich auf den Parkour und verfolge ihn mit meinen Augen. All die Hindernisse und die schwingenden, beängstigenden Knüppel, bei denen ich spätestens da jedes Mal versage, sind nun allzu präsent. Ich schließe meine Augen, atme noch einmal tief durch. Ruhe nimmt mich ein, ganz so, wie beim Meditieren. Ich höre mein Herz pochen: bum, bum, bum. Spüre den Wind durch mein Haar gleiten, fühle, wie sich eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper erstreckt. Und plötzlich könnte ich schwören ein Atmen neben meinem Ohr zu hören. Tief, gleichmäßig, bekannt. Ich spüre die Hitze hinter mir, die mich einnimmt, mich vollkommen umgibt und mir das Gefühl von Sicherheit beschert. ‚Vertraue auf deine Sinne', raunt die Stimme hinter mir, kaum merklich und eher so, als wäre sie gar nicht da. Mein Wolf kratzt an der Oberfläche, ich spüre seine Kraft und etwas Anderes, Unbekanntes, was ich so auf diese Weise noch nie bemerkt habe. Als ich meine Augen wieder öffne, weiß ich instinktiv, dass sie hellgrün aufleuchten. All meine Sinne sind geschärft, und dann laufe ich los. Ich balanciere auf dem dünnen Stück Holz hinüber, klettere eine Wand hinauf und lande geschickt wieder auf dem Boden. Unter meinen Füßen knarzt das Holz, was nur erahnen lässt, wie alt das ganze Gerüst mittlerweile schon sein muss. Als Nächstes folgen die Knüppel, bei denen ich jedes Mal scheitere. Doch diesmal erfasst mich nicht die Angst. Sie nimmt kein Besitz von mir. Ich habe die Kontrolle über mich selbst, weshalb ich auch weitergehe, ohne vor Furcht zu erstarren. Mit geschmeidigen Drehungen weiche ich ihnen aus, werde von der letzten beinahe erwischt, komme jedoch heil auf dem kleinen Plateau an. Ich realisiere gar nicht, dass ich an den Knüppeln vorbei bin und das zum ersten Mal, nein, für mich zählt nur, was vor mir ist, denn ich will es schaffen, ich will durch das Ziel. Und ich will das nicht nur, um Ares stolz zu machen, nein, ich will selbst stolz auf mich sein. Also beschreite ich die nächsten Etappen, weiche den Hindernissen aus, springe höher, als ich es je für möglich gehalten hätte. Ich agiere, als würde ich schon immer für dieses Ziel trainieren; als hätte ich nie etwas anderes getan. Meine Hände klammern sich an den Seilen, ich hangle mich voran, überwinde die schmerzhaft aussehenden Hindernisse und komme dem Ziel immer näher. Ich spüre Kräfte, von denen ich nicht einmal gewusst habe, dass ich sie besitze; Sinne, von denen ich nie Gebrauch gemacht habe. Und dann... stehe ich am Ziel. Keuchend atme ich ein und aus, und stütze mich auf meinen Knien ab. Ungläubig sehe ich hinter mich, wo sich der lange Parkour erstreckt. Das Grün erlischt aus meinen Augen und meine Umgebung wird immer klarer. Ich sehe zur Seite, in die ungläubigen Gesichter der anderen und... in das von Ares. Seine Arme sind vor der Brust verschränkt und sein Gesicht lässt nicht ansatzweise erahnen, was er denkt, doch dann erscheint ein kleines, beinahe... stolzes Schmunzeln auf seinen Lippen. Es ist nur das Heben eines Mundwinkels, doch nun erfasst mich die Euphorie. Ich habe es geschafft! Ich. Habe. Es. Geschafft!! Meine Füße verselbständigen sich und plötzlich finde ich mich in einer Situation wieder, in der ich Ares um den Hals falle und wie ein glückliches Kind quieke. „Ich habe es geschafft!!", rufe ich und umarme den Alpha so fest ich kann. „Ich habe es geschafft! ICH!!", sage ich völlig außer Atem. Doch als sich meine Euphorie wieder etwas legt, wird mir der angespannte Oberkörper bewusst und vor allem, dass meine Umarmung nicht erwidert wird. Völlig überstürzt wie ich ihn überfallen habe, löse ich mich auch wieder von ihm. Peinlich berührt sehe ich zu ihm auf und spüre die übermäßige Hitze in meinen Wangen. „Schuldige... da hat mich wohl der Übermut gepackt", versuche ich mich zu erklären. Er räuspert sich laut und fährt sich durch die Haare. Hingerissen begutachte ich ihn dabei und würde seine nun völlig durcheinander gebrachten Haare am liebsten wieder richten. „Das... war gut. Für heute ist das Training beendet. Ich habe noch was zu erledigen." Keine Sekunde später dreht er sich um und geht. Als ich starrende Blicke auf meiner Haut spüre, richte ich den meinen zu den anderen Blacks, die eigentlich trainieren sollten, doch im selben Moment wenden alle gleichzeitig ihren Blick ab und machen mit ihrem Kampftraining weiter. Verlegen beiße ich mir auf die Lippe und gehe nun auch wieder ins Haus.

~

„Ich bin so fertig!", stöhnt Ell und hängt mehr auf meinem Schreibtischstuhl als dass sie sitzt. Ich sehe von meinem Buch auf, in das ich bis eben noch vertieft war, bevor sie in mein Zimmer platzte. Mittlerweile ist es später Nachmittag und, wenn sie alle wirklich bis jetzt trainiert hatten, kann ich ihre Erschöpfung nachvollziehen. „War es trotzdem gut?", frage ich sie und lege mein Buch zur Seite, um ihr meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Und dann fängt sie an, zu erzählen. Doch als sie von ihrem Tag erzählt und den ganzen neuen Kampftechniken, die sie heute durchgegangen waren, schweifen meine Gedanken völlig ab. Ich fühle mich in den Moment zurückversetzt, wenige Sekunden nachdem ich Ares völlig überstürzt überfallen hatte. Nur laufen diese Bilder jetzt in Zeitlupe ab, und zeigen mir, wie seine Hand durch sein Haar gleitet, wie sich sein Bizeps anspannt und seine Augen dabei stürmisch grau aufleuchten. Seine kräftige, mit Adern versehene Hand, die durch seine schwarzen, dunkeln Haare fährt. Wie sein T-Shirt hoch rutscht und damit etwas Haut freigibt. Sein unbehaarter Oberkörper, seine Muskeln, dieses attraktive V an seinem Becken. Meine Speichelproduktion steigert sich ins Unermessliche und ich würde am liebsten mit meiner Hand dieses Stück Haut berühren. Nur ganz sachte... Vielleicht würde er mir erlauben, weiter hoch zu fahren, seine Haut weiter mit meinen Fingern zu erkunden. Ich weiß bereits, wie sie sich anfühlt und ein Schauder erfasst mich, als ich darüber nachdenke. Warm, glatt, muskulös. Hm... das wäre- „Percy?!" Erschrocken zucke ich zusammen, als man mich aus meinem Tagtraum reißt. „Was?", piepse ich. Verwirrt sieht mich Ell an. „Dir läuft da Sabber aus dem Mund", mit ihrem Finger deutet sie an mein Kinn. Sofort fahre ich peinlich berührt mit meinem Ärmel darüber. „Sorry...", nuschle ich. „Woran hast du gedacht? Du bist krebsrot." „Uhm..." „Doch nicht etwas Perverses?", neugierig zieht sie eine Augenbraue hoch. „WAAS?! N-Nein, natürlich nicht! Ich habe a-an... Essen gedacht. Ja, genau! Ich habe... Hunger." Noch immer sieht sie mich skeptisch an, kein Wunder bei meinem Gestotter. „Hm...", brummt sie und mustert mich mit ihren Adleraugen ausgiebig. „Jedenfalls...", fängt sie wieder an zu erzählen und ich atme erleichtert aus, „wollte ich dich fragen, ob du am Freitag nach dem Training mit uns ins Billy's willst. Wir wollen dann ein bisschen die Woche ausklingen lassen." „Ähm... Ja klar, wieso nicht", stimme ich zu. „Cool, Freitag ist zwar immer gefühlt die ganze Stadt dort, aber wir haben da unseren Stammplatz." Ich nicke und wende ihr diesmal wirklich meine gesamte Aufmerksamkeit zu, so wie sie es verdient. Sie erzählt mir, wie öde und langweilig es bei ihr zu Hause ist. Ihre Mutter scheint wohl nicht wirklich Interesse an ihren beiden einzigen Kindern zu haben, so kommt sie zumindest in Ells Beschreibungen und den wenigen Dinge, die ich bereits erfahren habe, rüber. Sie erzählt auch kurz von Malik, wie sehr er sie nervt und wie ätzend er ist, was mich schmunzeln lässt. Ich glaube, die beiden führen eine Art Hassliebe.
Später gehen wir zusammen nach unten zu den anderen, um zu essen. Diese Woche sind wir echt viele, da noch die Neuen mit bei uns essen, doch mir macht es wenig aus, dass wir alle zusammenrücken müssen, und dass die Gespräche noch etwas lauter sind als sonst. Leider muss ich feststellen, dass Ares heute nicht zum Essen kommt und auch Cora fehlt, wie sie es heute Morgen angekündigt hat. Es ist komisch ohne die beiden am Tisch, es fühlt sich an, als würde etwas Wichtiges fehlen, doch das macht der guten Stimmung am Tisch keinen Abbruch.
Ich schenke Ell zum Abschied noch eine dicke Umarmung, als sie zusammen mit den anderen wieder zurück zu ihrem eigenen Zuhause gehen.
Den Abend verbringe ich neben Ezekiel und den anderen auf der Couch. Wir schauen uns irgendein Footballspiel an, was mich nicht besonders interessiert, was aber nicht daran liegt, dass es von Menschen gespielt wird, sondern, dass meine Gedanken einfach ganz woanders sind. Eze hält mir die Popcorn-Schüssel hin und bietet mir an, kräftig zuzugreifen. Als ich nicke, stellt er die Schüssel zwischen uns, sodass ich ungehindert hinein greifen kann. „Eze?", spreche ich den Beta wenige Minuten später an. „Hm?", brummt er, lässt aber den Blick auf dem Bildschirm. „Wird Ar-... Wird der Alpha heute noch nach Hause kommen?" Nun richtet er doch seine Augen auf mich und ich könnte schwören, seine Mundwinkel zucken zu sehen. „Ja, er musste nur heute länger im Büro bleiben, es gab ein Problem mit den Zahlen", erklärt er mir. „Was Schlimmes?" „Nein, es hat bestimmt nur jemand ein paar Zahlen verdreht." Ich nicke verstehend, schaue jedoch etwas nachdenklich. Eze legt einen Arm um mich und drückt mich sanft an seinen warmen Körper, der für einen Wolf auch überdurchschnittlich warm ist, doch reicht er an Ares' Temperatur kaum ran. „Mach dir keinen Kopf, er wird nachher heil in seinem Bett schlummern, nur etwas später als sonst", redet er mir gut zu und dafür bin ich ihm dankbar, auch wenn er dazu nicht verpflichtet ist. Manchmal dauern Büroangelegenheiten länger und so, wie ich Ares kenne, will er es lieber heute erledigt haben, als morgen. Müde gähne ich und genieße die Wärme des Betas und lasse mich nun auch ein bisschen auf das Spiel ein. Wie Eze sagte, er wird später sicher im Bett liegen.

Beta: hirntote

Black DepthsWhere stories live. Discover now