Kapitel 1a

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Als ich meine Augen langsam öffne und in die Grünen von Kian blicke, glaube ich erst, dass alles ein Traum gewesen ist. Die Aufregung der Flucht, die Anspannung und das Schuldbewusstsein, das an mir nagte, waren zu viel für mich. Weshalb meine Gedanken einen Trick mit mir spielen. Mit meinem Verstand. Mich Dinge hören lassen, die nicht wahr sind.

Ein tiefer Blick in seinen Augen beweist mir, dass die Besorgnis, Verzweiflung weicht. Die Angst in Wirklichkeit Furcht und die Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit. Kians Augen lassen wieder denselben verlorenen Blick erhaschen, wie damals, als er aus der Folter entlassen wurde. Ich fahre erschrocken hoch. Der Schwindel packt mich erneut. Ich kämpfe gegen den drehenden Raum an und presse meine Augen so feste aufeinander, dass es schmerzt. Ich höre ein Lachen, das mir die Haare zu Berge stehen lässt. Es ist kein Traum.

„Beynon", sage ich laut bei der Erkenntnis, dass es nicht mein Verstand ist, an dem ich zweifeln sollte.

„Ja, Milady Emmelin", höre ich seine Stimme näher als zuvor und blicke auf. Direkt vor mir gebeugt blitzen seine blauen Augen, die mich zu Eis gefrieren lassen. Es sind die Augen, die mich damals am Ball in Merah angestarrt hatten, während sie mir die Kehle zugeschnürt haben. Sie halten mich gefesselt, an ihm kleben und so sehr ich es versuche, gelingt es mir nicht mich von ihnen zu reißen. Hungrig ringe ich nach Luft, da ich das Gefühl habe, dass meine Kehle erneut zugedrückt wird.

„Was hast du dir gedacht?", sagt er erbost. Es ist nichts von seinem Zutrauen zu spüren oder zu sehen. Alles, was im Moment in seinem Blick lodert, ist Hass. Der Anblick lässt mich schlucken und erinnert mich an den seines Vaters. Eine Furcht kriecht mir in die Knochen, wie es ihm zuvor noch nie gelungen ist. Nicht einmal, als ich dachte, er bedeutet meinen Tod. Grob packt er mein Kinn und bevor ich es weiß drückt er seine Lippen auf meine. Ich versuche mich von ihm zu stoßen, aber er ist stärker. Kian will sich auf ihn stürzen, doch ich höre, wie Wachmänner auf ihn zugehen und ihn festhalten.

Als nach gequälten Momenten er sich wieder von mir löst, kann ich nicht anders als ihn ins Gesicht zu spucken. Zu groß ist der Ekel und lässt mich meine Angst vergessen. Mit einer ungemeinen Geschwindigkeit prescht seine Hand in mein Gesicht. Ein Schmerz, der mich aufheulen lässt, löst sich wie ein Blitz durch meinen Körper und betäubt meine Sinne.

Entgeistert schaue ich zu ihm auf. Nie im Leben habe ich so etwas von ihm erwartet. Nicht nachdem ich gesehen habe, was es in ihm verursacht, wenn sein Vater so handelt. Eine Träne bahnt sich meine Wange entlang. Als Beynon begreift, was er gerade getan hat, springt er erschrocken auf. Er blickt mir entgeistert entgegen, wie auch ich ihn ansehen muss. Es tut mir leid, formen seine Lippen, doch kein Ton kommt über sie. Er räuspert sich kurz und sein Blick wird wieder fester, wenn auch nicht so hasserfüllt wie zuvor.

„Das hättest du nicht tun sollen", sagt er trocken und mit fester Stimme. Erst jetzt sickert all das Geschehen durch mich. Er hat uns erwischt. Unsere Flucht ist gescheitert. Der Weg in die Freiheit, abgeschnitten und die Hoffnung, verloren. „Du versuchst in deinen eigenen Tot zu flüchten. Emmelin, du weißt nicht, wie dumm dein Verhalten ist", wirft er mir vor.

„Wie soll ich denn? Mir sagt niemand etwas? Was soll ich denn noch tun, als täglich dieselben Fragen zu stellen? Die Schuld an meinem Unwissen liegt bei dir!", speie ich ihm wütend entgegen und springe ebenfalls auf die Beine. Wachmänner kommen auf mich zu gelaufen, doch Beynon lässt sie mit einer Handbewegung innehalten.

„Antworten ist also was du willst? Auch wenn sie dich zerstören und die Hoffnung auf das Gute vernichten?", fragt er herausfordernd und ich muss erneut schlucken. Unfähig zu einer Antwort nicke ich und Beynon lacht auf. Wieder entsteht eine Gänsehaut. „Dann sind es Antworten, die du erhältst!", speit er enttäuscht, bevor ich geknebelt und grob, wieder mit einem Mantel bedeckt, zu einer Kutsche geschleift werde. Ungeschickt werden wir ins Innere geworfen und ich klammere mich augenblicklich an Kian, dem frisches Blut über die Schläfe und Lippe läuft.

Der Fluch (Merahs Fluch 3)Where stories live. Discover now