Kapitel 12b

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„Leander!?", sage ich erschrocken und blicke in seine Augen. Misst, wie gelingt es ihm, mich jedes Mal zu fesseln? Kurz betrachtet er mich genau, als suche er nach Verletzungen.

„Ich habe mir Sorgen gemacht. Sobald ich zurück war, habe ich nach dir gesucht. Als ich erfuhr, dass du in der Hütte bist, ritt ich dort hin. Doch als ich ankam warst du schon fort. Ich habe nur Gid, den Sohn des Verwalters gefunden. Wie er mir erzählt hat, kennt ihr euch inzwischen. Ich habe gesehen, was Beynon getan hat und hatte Angst um dich." Er kommt noch dicht vor mich. Zu dicht. Es fühlt sich an als betrüge ich Beynon. Auch das ungute Gefühl, das ich in seiner Gegenwart verspüre, obwohl es nicht so sein sollte, erwacht erneut. Bei der Erkenntnis, nehme ich einen Schritt zurück, was Leander verwirrt.

„Das war nicht Beynon", sage ich entschlossen, weil ich es mir selbst einreden will.

„Natürlich war er das. Das weißt du genauso gut wie ich. Beynon ist kein guter Mensch." Er mustert mich ungläubig.

„Es war sicher nur ein Versehen. Er wollte es bestimmt nicht", versuche ich Beynons Handeln zu rechtfertigen. Was tue ich hier? Versuche ich den Schlag an Gideon zu erklären? Niemand verdient es geschlagen zu werden! Beynon ist kein schlechter Mensch. Wir alle machen Fehler.

„Emmelin, hörst du dir selbst zu?" Er klingt so vorwurfsvoll und ich muss schlucken. Die Art und weiße, wie er mich mustert, ist als würde er jemand betrachten, der ihm das Leben ruiniert und verrückt geworden ist. Den Verstand verliert. Irgendwie habe ich das. Er sieht mir an, dass ich begreife, wovon er spricht und streicht mir aufmunternde über den Arm. Ich zucke zusammen, als er die wunde Stelle umfährt. Verwirrt schaut er zu mir, schiebt den Ärmel meiner Jacke beiseite und legt das violett-lila Hämatom frei, das schlimmer aussieht als am ersten Tagen.

„War das Beynon?" Ich sehe ihm an, wie die Wut auf seinen Bruder ansteigt. Die Rivalität. Der Hass. Der Kampf zwischen den Beiden, sollte vorüber sein. Es gibt keine Entscheidung, die getroffen werden muss. Es ist vorbei. Beynon ist mein Ehemann und das kann auch Leander nicht ändern. In seinen Augen sehe ich, dass der Kampf noch nicht vorbei ist.

„Es ist nichts. War nur ein Versehen", sage ich schnell und schiebe die Jacke wieder darüber.

„Es tut mir leid, Emmelin. So hätte es nicht laufen sollen. Die beiden waren mir einen Schritt voraus. Du hättest nicht Beynon heiraten sollen. Nicht seiner Wut ausgesetzt und seinem Zorn." Kurz will ich fragen, was geschehen ist. Wieso er kalte Füße bekommen hat? Wer war ihm einen Schritt voraus? Voraus wobei? Weshalb er mich stehen lassen hat? Er muss gewusst haben, was passiert, wenn er nicht zur Hochzeit auftaucht. „Er ist ein Monster, das war er schon immer. Er hat Menschen das Leben gekostet. Leben zerstört und Trauer verbreitet. Dabei hätte er in der Nacht sterben. Es gab Anweisungen. Er ist ein schlechter Mensch", spricht Leander weiter, bevor ich ihn unterbrechen kann.

Die harten Worte gegen seinen Bruder schmerzen mich. Die Tage in der Hütte erlaubten mir, tiefer in Beynon zu sehen und ihn zu verstehen. Ich dachte dasselbe wie Leander in diesem Moment, aber es hat sich geändert. Vorsichtig lege ich ihm meine Hand an die Wange und stoppe seinen Wortschwall.

„Beynon, ist mehr als die Dinge. Er ist liebenswert und fürsorglich. Mitfühlend und einfühlsam. Er ist mehr, wie ..."

„Du liebst ihn?" Er blickt mich mit großen Augen an und ich schüttele wild den Kopf. Leanders Miene bleibt überraschend neutral, ich vermag kurz ein triumphierendes Lächeln darauf zu sehen. Verdränge die Gedanken um Leander und wende sie zu Beynon. Ich beginne Beynons Anwesenheit zu genießen und das Gefühl, dass er mir gegenüber hat. Aber ich glaube nicht, dass ich ihn liebe. Noch nicht. Aber weiß ich, was Liebe ist?

„Nein!", sage ich in meinen Gedanken vertieft. Es ist nicht überzeugend, aber auch nicht zu sanft, um es anzuzweifeln.

„Liebst du mich?", will Leander wissen und meine Gedanken stürzen in sich zusammen. Ich mochte ihn, bevor ich Beynon mochte für das, was er für mich tat. Hatte ihn gewählt, weil er gegen Beynon war. Bei ihm fühlte ich mich nicht wie eine Gefangene, noch bevor ich es bei Beynon tat. Aber auch das ist keine Liebe. Jetzt spielt alles keine Rolle mehr. Ich bin verheiratet. Wenn ich wieder wählen könnte, wen würde ich wählen? Ich wende meinen Blick von ihm ab, weil ich keine Antwort habe. Leander oder Beynon? Dieselbe Frage wie vor einigen Wochen, aber andere Voraussetzungen. Eine bessere Einsicht in die zweite Person. Ein besseres Verständnis und ein aufgebautes Vertrauen.

„Was ist es, das du willst? Was du wirklich willst? Wenn du alle Umstände beiseiteschiebst und für einen Moment vergisst. Wonach fleht dein Herz?" Seine Worte sind eindringlich und fordernd. Mir bleibt kurz der Atem stehen. Sachte dreht seine Hand mich zu seinen Augen. Diese Augen, gegen die ich nicht ankomme und mich aufs Neue fesseln. Sie strahlen etwas Verzweifeltes aus. So kenne ich ihn nicht. So habe ich ihn noch nie zuvor gesehen. Ehrlich, fordernd und trotzdem sanft. Er streicht mir eine Strähne hinters Ohr. Die Geste, die noch vor vielen Tagen, so unangenehm war, fühlte sich vertraut an. Ich lasse meine Gedanken fallen, wie ich es gestern zugelassen habe.

WAS WILL ICH? Brüllt es in meinem Verstand. Antworten? Freiheit? Meine Freunde? Meine Familie? Mein altes Leben? Beynon oder Leander? Ich weiß es NICHT! Habe ich eine Wahl?

Ich spüre wie eine Träne ihren Weg über meine kühle Haut bahnt. Sein Blick wartet noch immer auf eine Antwort, drängt jedoch nicht. Aber ich sehe nicht die Liebe, die in Beynons Augen aufblüht. Das Verlangen, dass er mit seinem Bruder teilt, bin ich. Aber teilen sie dieselben Gefühle? Leander lässt Taten für seine Zuneigung sprechen, doch Beynon loderte es in seinen Augen.

„Was will dein Herz?", flüstert Leander leise und ich spüre wie eine Gänsehaut über meinen Körper zieht. Seine andere Hand finden zu meinem Gesicht. Seine Haut glüht auf meiner. Sein Gesicht kommt mir näher. Ich spüre seine Wärme auf meinen Lippen, obwohl sie sich nicht berühren; vernehme seinen Duft und spüre seinen Atem.

„Was will dein Herz?", wispert er sanfter und ich schließe meine Augen. Was will mein Herz? Ich versuche in mich hineinzuhören. Versuch, die Stimme meines Herzens zu hören. Doch es bleibt still. Was will mein Herz? Frage ich beinah panisch. Ich versuche mir Jayden vorzustellen, doch es gelingt mir nicht. Sein Gesicht ist nur ein leichter Schatten. War nicht er es, nachdem mein Herz trachtet? Was ist schon Liebe? Leid und Verlust!

Nein, Liebe ist Stärke. Liebte ich den Gärtner aus Merah? Aber er ist tot. Wie kann ich an ihm festhalten und mir eine andere Liebe verweigern? Weiß ich was Liebe ist? Bedingungslose Liebe. Nicht die Liebe zu meiner Familie, aber zu einem jungen Mann. Verzweifelt überschlagen sich meine Eingebungen und das Rauschen meiner Gedanken wird dröhnender. Was will mein Herz? Ist das Einzige, was ich aus dem Toben verstehe.

Ich spüre wie Leander seine Stirn an meine legt. Unsere Nasenspitzen berühren sich. Unsere Lippen bleiben getrennt, was mich beruhigt. Meine Atmung geht schwer und mein Herzschlag schnell.

„Was will dein Herz, Emmelin?" Die Art wie er meinen Namen sagt, geht wie ein Stromschlag durch meinen Körper. Ist es Leander, den ich will? Lechzt mein Herz nach ihm?

Der Fluch (Merahs Fluch 3)Where stories live. Discover now