Kapitel 16c

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„Komm schon, Pete. Du bist ein schlechter Verliere. Ich sage dir, ich schummel nicht", verteidige ich mich, nachdem ich das dritte Mal in Folge gewinne. Langsam erinnere ich mich an die Tipps, die Beynon mir in der Hütte beigebracht hat. Inzwischen verstehe ich besser, was er versucht hat, mir zu erklären. Auch kann ich Petes Mimik besser lesen.

„Pete, verliert nicht gerne. Ich denke wohl gegen ein Mädchen erst recht nicht", erklärt Zac und klopft seinem Freund aufmunternd auf die Schulter. Die Tage scheinen nicht mehr so langsam zu verstreichen. Bis zum Mittag helfe ich in der Küche und danach spiele ich Karten oder hänge einfach bei den drei Jungs herum. Ab und zu kommt Leander vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Seit dem Vorfall in seiner Kajüte, hält er sich auf Abstand, was ich im Moment brauche.

Ich weiß nicht, was ich Leander gegenüber fühlen darf, fühlen sollte, weil ich nicht weiß, wie ich über Beynon fühle. Das sind Fragen für ein anderes Mal. Kian steht an erster Stelle. Leander hat gesagt, in spätestens zwei Tagen sollten wir in Leedah ankommen und so wie es aussieht, sind wir nur noch einen halben Tag hinter dem Schiff von Kian.

„Ich denke, die Kleine ist aus eurem Kindergarten herausgewachsen und sollte sich lieber an unseren Tisch setzen, Frischfleisch", höre ich einen der älteren Seeleute, die Jungs necken. Inzwischen sind unsere Runden beinah ein Spektakel an Bord und die Männer setzten Wetten ab, wer von uns gewinnen wird. Sie beschimpfen die drei Jungs, was das Zeug hält. Zac hat mir beim Kartoffelschälen berichtet, dass es eine Art von Respekt-Erweisung an Bord sei. Die Jungen scheinen zum ersten Mal von den Seeleuten anerkennt zu werden, was sie doch des Spotts genossen, wie er sagte.

Mit Zac verstehe ich mich jeden Tag besser. Er ist anders, wenn seine zwei Freunde nicht dabei sind. Aufmerksamer und offener. Mit den anderen scheint er eine Schale aufzusetzen und immer darauf bedacht hart zu wirken. Männer gehabe. Ich merke, dass er etwas zurückhält. Aber jeder ist zu Geheimnissen berechtigt, solange sie niemand schaden, weshalb ich nicht weiter nachhake.

„Du willst sagen, dass du dein Glück gegen mich versuchen willst, alter Mann", werfe ich dem Mann vor, der gerade die Jungs geärgert hat. Sie sind meine Freunde und obwohl es sie nicht stört, fühle ich mich verpflichtet sie zu verteidigen. Die neugeborene große Schwester in mir verlangt es. Augenblicklich verstummt das Gelächter und alle Augen gehen zu mir. War das zu viel? Kurz betrachtet er mich und fängt an zu lachen.

„Ich glaub, ich mag die Kleine", sagt er amüsiert und ich atme erleichtert auf. Inzwischen sind die gruseligen Seeleute nicht ganz so beängstigend und ab und zu schenken sie mir auch ein Lächeln.

„Was ist denn hier los?", höre ich Leanders Stimme und augenblicklich werden alle wieder leise. Die kleine Menge löst sich auf. Nur Pete, Liam, Zac und ich bleiben auf unseren Plätzen. Zwar betrachten die Männer mich nicht mehr, wie eine Seuche, aber sobald Leander in der Nähe ist, suchen sie schnell das Weite.

„Hey, Leander. Nichts. Wir spielen nur ein wenig Karten. Willst du mitspielen?" Er mustert mich erst skeptisch und schaut dann durch die Runde. Er betrachtet jeden der anderen streng und grinst.

„Also gut", sagt er und holt sich einen Schemel. Die Jungs sind zuerst angespannt, als uns Leander in der ersten Runde in kürzester Zeit fertig macht, werden sie lockerer. Leander spielt so gut wie Beynon und selbst mir gelingt es nicht ihn zu schlagen. Es ist schön wieder, mit ihm lachen zu können.

„Du spielst sehr gut", sage ich amüsiert, als er mich zu meinem Zimmer zurückbringt.

„Beynon und ich spielten oft Tage lang, um zu sehen, wer besser ist. Aber letzten Endes war es immer gleichstand. Ich sehe, er hat dich gut unterrichtet. Mit mehr Übung kannst du mich vielleicht noch schlagen", sagt er fröhlich. „Ich kann dir noch ein paar Tricks beibringen, die dir Beynon sicher nicht gezeigt hat", flüstert er und zwinkert mir zu. Es muss für ihn schwer gewesen sein, Beynon und auch seinen Vater zu hintergehen. Immerhin müssen sie inzwischen wissen, dass er etwas mit der Flucht zu tun hat. Was mit ihm passieren wird, wenn das alles vorbei ist? Er hat alles für mich aufgegeben, erkenne ich erst in diesem Moment und das schlechte Gewissen meldet sich.

„Emmelin?", sagt er leise und blickt mir tief in die Augen. Fragend schaue ich zu ihm und spüre, wie sich eine Anspannung zwischen uns aufbaut. „Wieso trägst du ihn noch?", fragt er zurückhalten, wendet seinen Blick jedoch nicht von mir ab. Er hat alles für mich aufgegeben, hallt es kurz in meinen Gedanken wieder.

„Wen?" Vorsichtig nimmt er meine Hand in seine und streicht mir über den Handrücken. Ich beobachte seine Bewegung. Er dreht meine Handfläche nach oben und streicht über den Ehering.

„Den Ring von Beynon?", sagte er nach dem Moment des Schweigens. Mit meinem Blick auf das funkelnde Metall gerichtet, denke ich über seine Worte nach. Wieso? Wahrscheinlich aus demselben Grund, weshalb ich die Kette von Kian trage und das Armband, das er mir geschenkt hat. Es sind Dinge, die mir gehörten. So absurd es sich anhört, fühlte es sich falsch an den Ring abzunehmen. Meine Flucht änderte nichts daran, dass ich an Beynon gebunden bin. So zu tun, als wäre es nicht so, fühlt sich falsch an. Aber ist das der einzige Grund?

„Ich weiß es nicht", sage ich, nachdem Leander mein Kinn anhebt und mir wieder in die Augen schaut. Sein Blick ist nicht wütend über meine Antwort. Nicht verärgert oder enttäuscht. Sondern so neutral wie immer.

„Liebst du ihn?" Seine Worte sind sanft und streng zugleich. Aber überraschen mich.

„Ich weiß es nicht." Ich habe mir dieselbe Frage schon etliche Male gestellt, komme aber nie zu einem Ergebnis.

„Liebst du mich?", fragt er in demselben Ton und mein Atem stockt kurz. Er schaut mir entgegen, als habe er mich nach dem Abendessen gefragt, nicht nach einer Liebeserklärung.

„Ich weiß es nicht." Ich spüre, wie eine Träne meine Wange hinunterläuft. Sein Blick wirkt nicht enttäuscht oder traurig. Mit seinen Daumen wischt er sie sanft beiseite. Er ist nicht verärgert über meine Antwort oder zornig; scheint beinah beruhigt. Er haucht mir einen Kuss auf die Wange und lächelt mir entgegen.

„Gute Nacht, Emmelin", flüstert er in mein Ohr und löst sich von mir. Ich brauche einen Moment, atme tief ein und aus und gehe leise in meine Kajüte. Was ist gerade passiert?

Der Fluch (Merahs Fluch 3)Where stories live. Discover now