Kapitel 11c

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„Wieso gelingt es dir nicht bei mir?" Ich blicke ihn verwirrt an. Er nimmt ein paar Schritte aus dem Wasser und legt sich in die Sonne. Ich folge ihm, da es auch mir zu kühl wird. Er blickt mich fragend an und ich schüttle leicht den Kopf, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich nicht weiß, wovon er spricht.

„Deine Augen. Sie funkeln bei jedem, aber nicht bei mir. Nicht einmal, wenn dein Lächeln ehrlich ist." Die Qual in seine Stimme reißt an meinem Herz. Sie betrübt mich. Ich habe solche Worte nicht von ihm erwartet. Nicht gedacht, dass es der Grund ist, weshalb er so bedrückt ist. Vielleicht, weil mein Herz im Kampf gegen meinen Verstand steht. Oder, weil der Kampf längst gewonnen ist und ich es nicht wahrhaben will. Als mein Blick auf seine Narbe fällt, folgt er ihm.

„Der Tag, an dem das Funkeln in den Augen meiner Mutter erlosch", sagt er traurig. So traurig, dass es mir eine Träne entlockt. Ich dachte, ich kenne Trauer. Wahre Trauer. Was ich von Beynon höre, kommt nur dem gleich, was ich am Todestag meiner Eltern fühlte. Bodenlos und so verzweifelt, dass es unendlich scheint. Es sind nicht die Worte, aber seine Stimme und seine Augen, die die tief sitzende Verzweiflung widerspiegeln.

Man kann auch Mitgefühl für ein Monster haben, erklärt mein Verstand.

„Ich bin gerade zwölf geworden. Es war einer der wenigen Tage, an denen ich zurück in den Palast durfte. Mein kleiner Bruder Hamish hatte das breiteste Lächeln auf dem Gesicht, das ich je gesehen habe. Als ich in seinen Unterricht platzte und ihm berichtete, dass ich ihn auf den Rummel entführe. Bevor ich zur Schule geschickt wurde, waren wir praktisch unzertrennlich." Beynon hat noch einen Bruder? Hamish? Weshalb habe ich ihn noch nicht gesehen? Ist das der kleine Junge, den ich auf dem Familienporträt gesehen habe?

„Natürlich bestand auch Maisie darauf, mitzukommen. Sie kann sehr überzeugend sein. Also schnappte ich die beiden und wir fuhren los. Ich sagte werde meiner Mutter noch meinem Vater Bescheid, weil ich wusste, sie würden es verbieten. Zu gefährlich, war jedes Mal die Antwort, wenn wir fragten. So fuhren wir zu dritt. Drei Kinder. Königskinder. Alleine. Zum Rummel. Ich war alt genug, um auf sie aufzupassen. Das dachte ich zumindest. Es war ein fantastischer Tag. Wir hatten Spaß. Ich kann immer noch das Lachen meiner Geschwister hören." Bei dem Gedanken lächelt er traurig. Inzwischen habe ich mich neben ihn gesetzt und lausche seiner Erzählung.

„Ich wusste nicht, dass Männer, die meinem Vater ungesühnt waren, uns auf dem Rummel erspäht haben und auf der Rückfahrt verfolgten. Als die Kutsche plötzlich um kippte und uns herum schleuderte, wussten wir nicht was geschieht. Dann hörten wir das Geschrei der Männer. >Nieder mit dem König< so große Angst hatte ich noch nie in meinem Leben. Meine Geschwister weinten und das Getöse wurde immer lauter. Bis sie einen nach dem anderen aus der Kutsche zerrten. Sie rissen uns die Kleider vom Leib und begannen auf uns einzuschlagen. Ich versuchte, meine Geschwister zu schützen." Ich sehe wie eine Träne über seine Wange läuft bei der Erinnerung und den Schmerz in seinen Augen blitzen.

„Dann tauchte ein Mann mit einer Messer auf. Er baute sich vor uns auf. >Ich werde euch antun, was euer Vater meinem Sohn antat,< sagte er wütend und begann Maisie zu schneiden. Mit allem, was ich konnte, gelang es mir sie von ihm zu reisen. Im nächsten Moment hielten mich mehrere Männer fest und der Mann begann mich zu schneiden. Irgendwann verlor ich das Bewusstsein. Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist wie Wachmänner zu uns eilen und die Männer verjagen. Aber es war zu spät. Erst dann traf mein Blick auf die starren Augen meines Bruders. Er rührte sich nicht. Seine Augen aufgerissen und voll Panik in den Himmel gerichtet. Er ist verblutet, bevor Hilfe kam." Eine weitere Träne löst sich und rollt über sein Gesicht.

„Ich hatte ihn aus dem Palast geschmuggelt, habe nicht daran gedacht, Wachmänner zu unserem Schutz zu bringen und er starb, weil ich versagte, ihn zu beschützen. Als ich im Krankenzimmer zu mir kam, beugte meine Mutter über Maisie. Als ihr Blick meinen traf, sah ich es. Derselbe Blick, dieselben leeren Augen, wie schon mein ganzes Leben die meines Vaters. Die Liebe war aus ihren Augen gewichen." Auch mir laufen Tränen übers Gesicht. Seine Worte vom Ball und auch im Palast, dass etwas, dass er in meinen Augen suchte. Ich verstand es jetzt.

„Du warst zwölf, du wusstest es nicht besser", sage ich leise im Versuch ihn zu beruhigen. Doch er reagiert nicht. Langsam verstehe ich seinen Hunger nach Liebe. Ich kann mir denken, dass sein Vater nie viel davon übrig hatte. Dass er auch die Liebe seiner Mutter verlor, zerrt auch an mir. Das erklärt ihre Reaktion, die ich am Abend von Leanders Geburtstag gesehen habe. Die leere in ihren Augen. Damals habe ich mir nichts dabei gedacht. Es ist etwas anderes, einen Elternteil zu verlieren und ihnen so der Liebe entrissen zu werden. Oder sie täglich zu sehen und zu wissen, dass sie verloren ist.

Der Rummel. Deshalb waren Maisie und Leander so überrascht, dass er mit mir dort hinging. Es muss Beynon sehr geschmerzt haben, zurückzukehren. Trotzdem tat er es meinetwillen, weil er wusste, was für eine Freude es mir bereiten würde. Er ging an den Ort zurück, dem sein ganzer Schmerz entsprang. Für mich. Die Erkenntnis schockt mich und zum ersten Mal legt mein Verstand keinen Einspruch ein. All die Schuld, die er mit sich trägt, erklärte die innere Zerrissenheit, die ich ihn ansah.

Ich weiß nicht, was über mich kommt, doch ich beuge mich über ihn. Zum ersten Mal versinke ich in seinen eisblauen Augen und verliere mich darin. Sein Duft steigt mir in die Nase und legt eine Wärme in mich, wie es ihm bis zu diesem Moment noch nie gelungen ist. Es bringt mich zum Lächeln und ich überwinde die letzten Zentimeter zwischen uns.

Meine Lippen schmiegen sich an seine. Erst erstarrt er, doch dann erwidert er den Kuss. Erst sanft und dann leidenschaftlich. Seine Hand findet zu meinem Hals und zieht mich näher an sich. Seine andere findet an meine Wange und streicht über sie.

Mit einem Lächeln löse ich mich von ihm und lege mich auf seine Brust. Lausche seinem rasenden Herz und fühle seine erhitzte Haut. Er legt seinen Arm um mich und malt Kreise auf meiner Schulter, wie ich es auf seiner Brust tue. Es fühlt sich gut an und trotzdem zerrt etwas innerlich an mir.

„Ich war ein Kind, als die Flammen mein Zuhause und meinen Vater verschlangen", beginne ich meine Geschichte, die ich noch niemanden anvertraut habe. In diesem Moment fühlt es sich richtig an. Der Tag, an dem mein Vater starb. Der Tag, an dem Beynons Vater meinen nahm. Ich musste es ihm erzählen. Damit er versteht, was ich sehe, wenn ich ihn anblickte. Aufmerksam lauscht er meinen Worten und streicht mir sanft durchs Haar.

Ich beende meine Erzählung. Wir offenbaren unsere tiefsten und verletzlichsten Momente. Alles andere scheint Nebensache.

Es ist nicht vergessen, aber scheint in dem Moment unwichtig.

Erstmals fühle ich mich nicht ängstlich und klein bei ihm. Ich lausche seinem Herzschlag und mir wird bewusst, dass es derselbe ist wie Kians. Es gelingt Beynon dasselbe Vertrauen auf mich zu legen, wie mein Bruder. Zum ersten Mal fühlte ich mich wohl, in Beynons Nähe. Und ich lasse mich fallen. Erlaube dem Gefühl, sich in mir auszubreiten und mich einzunehmen.

Wir müssen eingeschlafen sein, denn mein eigenes Zittern reißt mich aus dem Schlaf. Es ist bereits dunkel um uns geworden. Auch Beynon öffnet seine Augen und braucht einen Moment, um zu verstehen, was vor sich geht. Wir gehen auf die Hütte zu. Vor mir bleibt er kurz stehen und blickt mir tief in die Augen. Es entlockt ihm ein kleines Lächeln.

„Jetzt kann ich es sehen. Ganz klein. Aber es ist da", sagt er leise und nimmt meine Hand. "Er kann was sehen?", will mein Verstand verwirrt wissen. "Das Funkeln", sagt mein Herz berauscht.

Mir gelingt es Beynon von den Taten seines Vaters zu trennen. Sein Verhalten zu verstehen und kann das Verlangen nachvollziehen, wenn es sie auch nicht rechtfertigt, verlieren es an Kraft. Beynon ist kein schlechter Mensch. Er hat ein Loch in seinem Herz, dass er nicht zu füllen wusste. Er küsste meine Stirn, bevor er mir eine gute Nacht wünschte und ich in einen tiefen Schlaf falle. "Aber du liebst ihn nicht", erinnert mich mein Verstand. Aber könnte ich es?



***Schmückt gerne den Nachthimmel und lasst ein paar Sternchen daran funkeln***

Der Fluch (Merahs Fluch 3)Where stories live. Discover now