25 ~ Das schlechte Gewissen

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»Ich fahre hin«, murmelte ich, während ich noch immer mit den Tränen kämpfte.

Ich konnte den Gedanken, dass David mich für ein Spielchen spielendes Biest hielt, keine Sekunde länger ertragen. Mit Sicherheit hasste er mich, und das machte mich fertig. Dieses schreckliche Missverständnis musste ich so schnell wie möglich aus der Welt schaffen. Ich richtete mich auf und schob meine Beine aus dem Bett, doch als meine Füße den hellbeigen Korkboden berührten, überrollte mich eine Welle der Übelkeit.

Meine Güte, heute ging es mir noch schlechter als gestern. So konnte es wirklich nicht weitergehen! 

Was war aus der zuverlässigen, vernünftigen, verantwortungsbewussten Lil geworden? Innerhalb kürzester Zeit war sie vom Erdboden verschwunden. An ihre Stelle war eine Lil getreten, die ständig über die Stränge schlug und von einem Gefühlschaos ins nächste schlitterte.

»Oh Mann! In den zwei Tagen, seit ich David kenne, bin ich jeden Morgen mit einem Kater aufgewacht, der sich gewaschen hat«, jammerte ich kläglich, als der Schwindel endlich nachließ und der Aufruhr in meinem Magen abgeklungen war. »Das bin doch gar nicht ich. Ich glaube, ich kann auf dieses bescheuerte Feuer sehr gut verzichten.«

»Lil, was erwartest du?«, belehrte mich Sara altklug, schlüpfte aus ihrem pinken Pyjama-Shorty mit dem Glitzerprint ›Here comes fun‹ und warf ihn achtlos auf den Stuhl. »Du hast das Feuer drei Jahre lang auf Sparflamme gehalten und jetzt bricht es eben mit aller Macht aus dir heraus. Du musst nur noch den goldenen Mittelweg finden und alles wird gut.«

Ich presste die Hand auf meine pochende Stirn. »Bist du neuerdings Teilzeitpsychologin?«

»Süße, lass deine schlechte Laune bitte nicht an mir aus. Selbst wenn ich nicht Psychologie studiert habe, kann ich dir sagen, dass du die rebellische Phase deiner Pubertät leider komplett übersprungen hast, und das holt dich eben jetzt ein.« Sie grinste breit. »Nur weist dich keiner in die Schranken, weil dein Vater dich nach wie vor für das bravste Mauerblümchen auf der Erde hält. Deshalb musst du das wohl selbst hinkriegen.«

Ihr Grinsen wandelte sich zu einem mitfühlenden Lächeln, als sie mich so zusammengesunken und mit hängendem Kopf auf der Bettkante sitzen sah. Sie platzierte sich neben mich und nahm meine Hand in ihre.

»Ich versteh ja, dass die ganze Sache dich mitnimmt. Wer hätte gedacht, dass Lu so was tun würde? Aber Lil, es ist echt keine gute Idee, heute zu Davids Wohnung zu fahren. Mal ganz abgesehen davon, dass du die Busfahrt wahrscheinlich nicht überstehst, ohne dich zu übergeben, hast du ja keine Ahnung, ob er überhaupt zu Hause ist. Und was ist, wenn du diesen drei Psychos wieder begegnest? Oder anderen so gestörten Typen? Warte einfach bis morgen. Du regelst das schon irgendwie. Du scheinst ja einen besonderen Draht zu David zu haben. Er wird dir bestimmt verzeihen.«

Sie klopfte mir aufmunternd auf die Schulter, stand auf, öffnete die unterste Schublade meiner rosafarbenen Kommode und holte eine Jeans und ein dunkelblaues T-Shirt heraus, die sie bei mir deponiert hatte.

Ich schüttelte den Kopf und bereute es sofort, weil mein Magen im Moment keine Bewegungen vertrug. »Er wird mir gar nicht zuhören. Sa, diese Sache macht mich echt fertig. Er hasst mich ganz sicher. Irgendwie sticht das total, und zwar genau hier.« Ich deutete mit meiner Hand auf meine linke Brust.

»Tja, ich hab da so eine Ahnung, warum das sticht.« Sie zog bedeutungsvoll ihre Augenbrauen nach oben. Frustriert stützte ich meinen Kopf auf beiden Händen ab, weil er immer schwerer wurde.

Wollte ich wissen, was sie vermutete? Nein, lieber nicht. 

Tim war der Richtige für mich. Er hatte mich noch nie in ein solch grauenhaftes Gefühlschaos gestürzt und seinetwegen war es mir auch noch nie so mies gegangen.

Entscheide dich, Schneewittchen! ✓Où les histoires vivent. Découvrez maintenant