44 ~ Die Recherche

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Gedankenfetzen wirbelten in meinem Kopf wild durcheinander und ich bemühte mich verbissen, sie einzufangen und zu einem sinnvollen Puzzle zusammenzusetzen. Es gelang mir nicht.

Auf einmal wusste ich gar nichts mehr, verstand nicht, was los war und stellte alles in Frage, was David jemals gesagt oder getan hatte. War überhaupt irgendetwas davon wahr? Oder war alles von Anfang an eine Lüge gewesen? Und was steckte bloß dahinter?

Neben der tiefen Enttäuschung, die sich immer mehr in meinem Inneren verfestigte, gab es noch andere Gefühle. Die Sorge um ihn war nach wie vor präsent. Ich hatte die riesengroße Angst, dass ihm etwas Schreckliches zugestoßen sein könnte.

Ich konnte meine Gefühle für ihn nicht einfach abschalten, sie waren da und sie waren schon viel zu stark und intensiv, als dass ich sie noch hätte verdrängen können. Das ließen sie nicht mehr zu.

Tatsächlich begann mein seltsam betäubter Verstand inzwischen sogar, nach Erklärungen für sein Verhalten zu suchen und mir einzureden, dass alles nur ein gigantisches Missverständnis sein konnte.

»Das kann doch kein Zufall sein, oder?« Sara, die neben mir auf der Rückbank von Tims Auto saß, holte mich mit ihrer Frage aus meiner gedankenverlorenen Schockstarre zurück in die Realität. Ich drehte mich zu ihr um und blickte in ihr nachdenkliches Gesicht, das vom Schein der Straßenlaternen, die am Fenster vorbeirauschten, abwechselnd erhellt und verdunkelt wurde.

»Was meinst du?«, fragte ich verwirrt, noch nicht ganz im Hier und Jetzt angekommen.

»Von Rothenberger Immobilien, hat der Typ gesagt.« Sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. »Rothenberger und Berger, hältst du das wirklich für einen Zufall?«

Tatsächlich war mir dieser Gedanke auch schon ganz kurz durch den Kopf geschossen, aber ich hatte ihn sofort wieder verworfen. Es war einfach zu absurd. »Meinst du, er heißt in Wirklichkeit David Rothenberger und ihm gehören diese ganzen Hochhäuser? Das ist ein bisschen arg weit hergeholt, oder? Nur weil zufällig ein Teil des Namens gleich ist?«

»David von Rothenberger würde er dann heißen, Lillilein. Mein Gott, das klingt gut.« Schwärmerisch verdrehte sie die Augen.

Ich schüttelte heftig den Kopf. »Bist du jetzt völlig übergeschnappt, Sa? Was faselst du da? Niemals hätte er mich so angelogen. Das kann einfach nicht sein!« Ich war mir sicher, dass meine Empörung über ihre Aussage in dem funkelnden Blick, den ich ihr zuwarf, gut zum Ausdruck kam.

»Gut, du regst dich auf. Ziel erreicht«, stellte Sara erleichtert fest und die Besorgnis wich aus ihrem Blick. »Jetzt siehst du wenigstens nicht mehr so aus, als würdest du gleich von der nächsten Brücke springen wollen.« Dann wackelte sie bedeutungsvoll mit den Augenbrauen und ein Hauch von Begeisterung lag in ihrer Stimme, als sie verkündete: »Lil, wir finden heraus, was da los ist. Wir sind schließlich Journalistinnen, Recherche ist unser Ding. Sobald wir bei mir sind, fangen wir damit an.«

Ich zuckte zusammen, denn Nachforschungen konnten zu allen möglichen entsetzlichen Ergebnissen führen. War ich überhaupt bereit, die Wahrheit zu verkraften? Andererseits war alles besser als diese Ungewissheit. Aber ich bezweifelte, dass wir überhaupt etwas herausfinden würden.

David war schließlich spurlos verschwunden. Er hatte versprochen zu kommen, aber er war nicht aufgetaucht. Und weder sein Name schien wirklich sein Name zu sein, noch seine Wohnung wirklich seine Wohnung.

Was war nur mit ihm passiert? Und warum der falsche Name? Warum die falsche Wohnung?

Schluchzend schlug ich mir die Hände vors Gesicht und spürte, wie meine Tränen, die ich nun nicht mehr zurückhalten konnte, die Innenflächen benetzten.

Entscheide dich, Schneewittchen! ✓Where stories live. Discover now