31 ~ Neue Erkenntnisse

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Hibbelig stand ich auf dem Pausenhof des riesigen, vierstöckigen Betonklotzes, der sich Schule nannte. Ich trat nervös von einem Fuß auf den anderen, und das nur, weil ich mich hier gleich mit David treffen würde.

Einerseits wollte ich ihn unbedingt sehen – wenn ich ehrlich zu mir war, sehnte ich mich sogar danach – andererseits hatte ich keine Ahnung, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte.

Wie erwartet hatte ich schlecht geschlafen, wenn auch etwas besser als in den Nächten zuvor. Mittlerweile war ich einfach viel zu müde, um die ganze Nacht lang Probleme zu wälzen. Aber selbst im Schlaf hatten mich die Gedanken an David nicht losgelassen. Er war in meinen Träumen aufgetaucht.

Oh Mann, und wie er darin aufgetaucht war!

Die Hitze schoss mir in die Wangen, als ich daran zurückdachte. Mein ohnehin schon flatternder Herzschlag beschleunigte sich nochmals, als ich mich an diesen nur allzu realistischen Traum erinnerte. Ich musste unbedingt auf andere Gedanken kommen, sonst würde es gleich sehr, sehr peinlich werden, wenn ich ihm gegenüberstand.

Beim Blick auf die große Uhr an der graffitiverzierten Betonwand des Schulgebäudes stellte ich fest, dass die Zeiger auf zehn nach sieben standen. Ich war also überpünktlich. Das war mir wichtig, denn wenn David mir schon mit fragwürdigen Methoden ein Attest besorgt hatte, dann wollte ich wenigstens rechtzeitig am Übergabeort sein. Hoffentlich würden die verbleibenden fünf Minuten ausreichen, um meine bescheuerte Aufregung besser in den Griff zu bekommen.

Ich kam mir jetzt schon vor wie ein halber Verbrecher, weil ich meinem Lehrer später ein gefälschtes Attest übergeben würde. Ich wusste selbst nicht so recht, was ich davon halten sollte, in meinen letzten Wochen hier noch zur Schulschwänzerin und Betrügerin zu werden.

»Heute bist du sogar pünktlich, Pequeña.«

Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich ruckartig um, als auch schon seine Hand meinen Oberarm umfasste. Keine Ahnung, wie er es immer schaffte, so völlig lautlos hinter mir aufzutauchen.

»Wir wollen nicht riskieren, dass du stolperst, Schneewittchen. Schon wieder.« 

Noch ohne ihn zu sehen wusste ich bereits, dass dieses gewisse Grinsen auf seinem Gesicht liegen würde. Unwillkürlich musste ich lächeln, während ich gleichzeitig den Kopf schüttelte.

»Anscheinend macht es dir Spaß, mich ständig zu erschrecken, David«, beklagte ich mich im Umdrehen, bevor meine Augen die seinen trafen. Ich schluckte, als sich unsere Blicke ineinander versenkten und er sich etwas vorbeugte. Sein Atem kitzelte meinen Hals, woraufhin ein feiner Schauer über meine Wirbelsäule kroch.

»Ehrlich gesagt dachte ich, du würdest vielleicht wieder in meinen Armen landen. Gib zu, dass dir das gefallen hätte, Pequeña.«

»Kein Stück«, quiekte ich schwach, und selbst mir war klar, dass das eine lächerlich schlechte Lüge war.

»Okay. Dann wird das nicht mehr passieren«, erwiderte er kühl und ließ gleichzeitig meinen Arm los. Sein Gesicht nahm im selben Moment diesen distanzierten Ausdruck an, den ich nur allzu gut kannte. Sofort bereute ich meinen kleinen Schwindel.

»Gut, vielleicht ... hätte ich es jetzt ... auch nicht direkt ... furchtbar schlimm ... gefunden«, hauchte ich stockend und ruderte damit wieder ein wenig zurück. Seine Mundwinkel hoben sich ein winziges bisschen. Ein anderer hätte das vielleicht gar nicht bemerkt, aber mein Blick hing an seinen Lippen fest und so entging es mir nicht. Ich war mehr als erleichtert über diesen Anflug eines Lächelns. Er beugte sich über seine Tasche und zog nach kurzem Suchen einen Brief heraus.

»Bitte sehr. Dein Attest, Schneewittchen.«

Mit zitternden Fingern nahm ich ihm den Umschlag ab. Er war nicht zugeklebt, also holte ich das zusammengefaltete Blatt heraus. Das Schreiben bestätigte meine Schulunfähigkeit für den Vortag. Es trug den Stempel eines Allgemeinarztes namens Dr. Elias Peters, darunter stand in schwungvollen Buchstaben eine unleserliche Unterschrift.

Entscheide dich, Schneewittchen! ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt