Kapitel 37

3 0 0
                                    

Wir haben es trotz der Kälte geschafft, einzuschlafen und als wir am nächsten Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen erwachen, fühle ich mich tatsächlich ausgeruht.

„Wir sollten uns nicht zu lange hier aufhalten", sagt mein Begleiter. „Ich weiß nicht, ob die Jäger auch hier nach euch Wesen suchen werden. Ich möchte lieber kein Risiko eingehen." Ich nicke, denn mir geht es genauso.

„Wo gehen wir hin?", frage ich, als wir schon eine Weile wandern. Der Mensch scheint genau zu wissen, in welche Richtung er gehen soll, deshalb ging ich davon aus, er hätte ein klares Ziel vor Augen. Scheinbar habe ich mich damit geirrt.

„Ich weiß es nicht", sagt er, ohne sich zu mir umzudrehen. „Ich habe einfach die Hoffnung, dass wir irgendwo ankommen werden, wo jemand ist, der uns helfen kann."
„Und du denkst, das wird an der Spitze eines Berges passieren?" Auch wenn ich keine Ahnung habe, wo genau wir hingehen, so merke ich doch, dass wir immer höher steigen. Selbst die höchsten Gebäude der Stadt befänden sich mittlerweile unter uns.

Nun dreht der Mensch sich doch zu mir um und sieht mich an. Er sagt nichts, doch an dem schwachen Lächeln erkenne ich, dass er mir meine Worte nicht übel nimmt. Als er wieder geradeaus schaut und weiter geht, folge ich ihm stumm. Immer weiter laufen ist sowieso die einzige Chance die wir haben - und es lohnt sich tatsächlich, wie wir kurze Zeit darauf feststellen.

Wir sind etwa eine weitere Stunde unterwegs, als wir plötzlich Stimmen hören, die meinen Namen rufen. Mein Freund und ich bleiben stehen und sehen uns irritiert an. Es könnte natürlich ein Trick der Jäger sein, doch ich bin mir nicht mal sicher, ob die überhaupt meinen Namen kennen. Deshalb beschließen wir, den Stimmen zu folgen. Als wir dann plötzlich drei Menschen gegenüber stehen, traue ich meinen Augen nicht. Es sieht nämlich nur so aus als seien es Menschen. In Wirklichkeit sind es Wesen meiner eigenen Art. Außerirdische von weit entfernten Galaxien, die etwas davon verstehen, sich zu tarnen. Äußerlich zumindest.

Auch sie erkennen mich sofort, natürlich, denn scheinbar sind sie meinetwegen hier. Immerhin haben sie die ganze Zeit nach mir gerufen. Die Begrüßung fällt trotz der langen Zeit, die wir uns nicht sahen, sehr knapp aus. Wir Außerirdischen sind für gewöhnlich nicht die emotionalsten Wesen. Trotzdem stelle ich ihnen meinen menschlichen Freund vor. Meine Artgenossen wirken recht distanziert, begrüßen ihn allerdings trotzdem mit einem knappen Nicken.

Im Anschluss führen sie uns zu einem Plateau, auf dem tatsächlich ein Raumschiff steht. Es ist Jahre her, dass ich so ein Ding gesehen habe - noch länger, dass ich in einem drin saß. Ich hätte fast vergessen, wie unglaublich es sich anfühlt, damit zu fliegen. Es ist mit menschengemachten Flugzeugen überhaupt nicht zu vergleichen.

Mein Freund, der das Gefühl noch gar nicht kennt, sitzt an einem Fenster und starrt hinaus, während wir in rasanter Geschwindigkeit vom Erdboden abheben und so hoch fliegen, dass uns kein Mensch mehr mit bloßem Auge sehen kann.
„Das ist unglaublich", höre ich ihn murmeln. Er kann den Blick gar nicht von der weit entfernten Erde lassen.

Ich beschließe, ihn nicht zu unterbrechen und gehe stattdessen zu meinen Artgenossen.
„Danke, dass ihr uns da rausgeholt habt", sage ich zum Kapitän. „Ich weiß nicht, wie lange wir in den Bergen überlebt hätten." Der Kapitän in Gestalt eines alten, bärtigen Mannes, grummelt vor sich hin.

„Wir hätten dich ja schon früher geholt, aber du warst ständig von Menschen umgeben. Wir konnten nicht riskieren, dass man uns entdeckt." Ich schlucke, denn die Worte schmerzen tatsächlich. In all der Zeit meiner Gefangenschaft wussten die anderen also, wo ich war. Sie wollten mich nur nicht holen. In meinen Augen macht das wenig Sinn, denn die Jäger wussten ja offensichtlich schon von uns Außerirdischen. Sonst hätten sie mich doch gar nicht erst gefangen genommen.
Ich versuche, die Bitterkeit herunter zu schlucken. Jetzt hatten sie uns ja rausgeholt, das ist alles, was zählt.

„Du weißt, dass wir ihn nicht mit nach Hause nehmen können, oder?", fragt der Kapitän plötzlich. Irritiert sehe ich ihn an und folge seinem Blick dann zu meinem Freund.
„Was? Warum nicht?" Die Frage ist mehr ein Reflex. Im Grunde kenne ich die Antwort.
„Das Weltall ist kein Ort für Menschen. Schlimm genug, dass sie anfangen, die Planeten in ihrem Umfeld zu bereisen. Sie müssen nicht noch weiter kommen."
„Aber -" Ich beschließe, dass es nichts bringt, zu widersprechen. Der Kapitän hat sowieso das Sagen und seine Entscheidungen werden nie über Bord geworfen.

„Was wird dann aus ihm?", frage ich stattdessen. Ich höre den Mann und sogar zwei weitere Mitglieder der Besatzung seufzen.
„Das weißt du doch. Wir werden ihn wieder auf der Erde absetzen und seine Erinnerungen löschen." Im Grunde habe ich es gewusst, doch die Worte ausgesprochen zu hören, reißt mir den Boden unter den Füßen weg.
„WAS?", rufe ich aufgebracht. „Das kann doch nicht euer Ernst sein?!" Der Kapitän sagt meinen Namen, um mich zu beruhigen, doch es macht mich nur noch wütender. „Er ist mein Freund! Er kann mich doch nicht einfach so vergessen. Außerdem -"

Ich verstumme, als ich jemanden dicht hinter mir spüre. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es der Mensch ist.
„Ihr wollt mir die Erinnerung nehmen?", fragt er. Seine Stimme klingt belegt, angespannt. „Ich werde alles vergessen?"
„Ja. Die Menschen dürfen nichts von unserer Existenz erfahren."
„Es wissen doch sowieso schon einige Bescheid!", fahre ich dazwischen. „Die Jäger. Einige Menschen aus der Stadt. Sie alle wissen es." Der Kapitän wirft mir einen wütenden Blick zu.
„Und das ist alles deine Schuld. Hättest du dich einfach an die Mission gehalten, wäre nichts davon passiert. Du und dieses dämliche Vertrauen gegenüber den Menschen. Sieh, was es dir gebracht hat. Du hast nicht nur dich selbst in Gefahr gebracht, sondern auch uns gefährdet. Unsere Mission."

„Ich sollte doch lediglich das Verhalten der Menschen erforschen. Das habe ich gemacht! Es ging uns doch immer nur darum, das Leben auf der Erde zu verstehen." Ich merke, wie ich emotional werde. Sogar Tränen sammeln sich in meinen Augen, obwohl ich bisher noch nie geweint habe.

„Ganz genau", stimmt der Kapitän mir zu. „Und jetzt, wo wir erfahren haben, wie grausam diese Spezies ist, werden wir der Erde den Rücken kehren und nie wieder kommen."
„Sie sind nicht grausam!", widerspreche ich sofort, doch ich habe das Gefühl, auf taube Ohren zu stoßen.
„Sie haben dich gejagt, eingesperrt und gefoltert. Und du sagst, die Menschen seien nicht grausam?"
„Sie sind nicht alle so. Manche von ihnen haben mir geholfen. Mich gerettet, beschützt, ihr Leben für mich riskiert. Sie sind meine Freunde!" Meine Stimme glich inzwischen mehr einem Flehen, obwohl ich nicht mal wusste, worum genau ich eigentlich bat. Es würde doch sowieso nichts ändern.

„Meine Entscheidung steht fest. Du kannst dich noch von deinem Freund verabschieden", er spuckte das Wort aus, als sei es ein widerliches Insekt, „und dann setzen wir ihn an einem Ort seiner Wahl ab."
„Ich habe eine Schwester. Bei ihr kann ich leben." Ich höre an der Stimme meines Freundes, dass er aufgegeben hat. Er hat genauso wie ich erkannt, dass wir hier ein verlorenes Spiel spielen. Die Meinung des Kapitäns kann nicht geändert werden.

„Muss er denn wirklich alles vergessen? Ich verstehe, dass wir gehen müssen, aber kann er sich nicht wenigstens erinnern?", frage ich hoffnungsvoll. Es würde doch sowieso keinen Unterschied mehr machen und ich weiß, dass er mich niemals verraten würde. Doch auch in dieser Entscheidung bleibt der Kapitän eisern.
„Keine Wiederrede mehr! Wir befinden uns schon auf dem Weg zur Erde. Ihr zwei solltet jetzt also Abschied nehmen."

Es tut weh. Ich weiß, dass ich jetzt nach Hause zurück kehre und dass ich dort sicher bin. Doch dafür lasse ich einen Freund zurück und das schmerzt stärker als ich es je für möglich gehalten hätte. Der Abschied ist tränenreich - auch etwas, das ich nie von mir erwartet hätte. Selbst als ich damals meine Familie zurückließ, um einen fremden Planteten zu erkunden, war ich nicht so emotional. Doch ich koste jeden Moment aus, den ich noch mit meinem Freund verbringen kann. Ich bedanke mich für alles, was er mir gegeben hat. Ein Zuhause, Freundschaft. Das Gefühl von Glück, dass ich auf der Erde stärker wahrgenommen habe als je zuvor auf meinem Heimatplaneten. Auch wenn er sich nicht an unsere gemeinsame Zeit erinnern wird, ich werde es tun und ich werde jedes Mal mit einem Lächeln daran zurückdenken.

- Ende -


Gejagt - eine interaktive GeschichteWhere stories live. Discover now