Kapitel 44

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Es dauert nicht lange, bis der Hausmeister in meinen Armen zusammensackt. Um sicher zu gehen, halte ich meinen Griff trotzdem noch ein paar weitere Sekunden um seine Kehle. Erst als ich absolut sicher bin, dass er tot ist, lasse ich von ihm ab. Der Körper fällt mit dem Gesicht voran auf den Boden.

Meine Hände wische ich an meiner Kleidung ab, obwohl sie weder staubig noch verklebt sind. Dann steige ich einfach über die Leiche und verlasse das Klassenzimmer.

Ich sehe mich ein wenig in der Schule um. Hätte ich die Schlüssel des Hausmeisters mitgenommen, könnte ich mir alle Räume ansehen, doch so muss ich mit denen Vorlieb nehmen, deren Türen nicht verschlossen sind.
Ich sehe die Cafeteria, die sich direkt neben der Küche befindet. Zum Glück bin ich nicht auf Essen angewiesen. Es wäre ätzend, wenn ich meinem Körper regelmäßig Energie zuführen müsste. Was dann wohl in der Zeit meiner Gefangenschaft aus mir geworden wäre? Hätten die Jäger mich verhungern lassen?

Ich schüttle den Kopf und gehe weiter. Mit dieser Frage möchte ich mich nicht auseinandersetzen. Anders sieht es mit der Frage aus, ob ich auch mal so eine Schule besucht habe. Ich stehe in einem Flur mit Schulspinden. Eine lange Reihe erstreckt sich vor mir, immer zwei übereinander. Insgesamt sind es bestimmt hundert dieser kleinen Schränke.

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so einen Spind benutzt zu haben, allerdings liegt meine Schulzeit -wenn ich denn überhaupt eine besucht habe- vermutlich auch schon eine ganze Weile zurück. Die Verwandlung in ein Wesen wie mich ist ein langwieriger Prozess, ich bin sicherlich schon mehrere hundert Jahre alt. Und selbst wenn nicht - an mein Leben vor der Verwandlung kann ich mich absolut nicht erinnern.

Ich kann nicht behaupten, dass ich das schlimm finde. Menschen sind schwach. Ungeziefer. Sie sind nichts wert und ich bin froh, jetzt zu einer höheren, mächtigeren Gattung zu gehören. Ich habe festgestellt, dass Menschen grausam sind, doch im Grunde sind sie nichts im Vergleich zu Wesen wie mir.

Mit einem Schnauben wende ich mich von den Spinden ab, spähe durch ein Fenster nach draußen auf den Schulhof. Alles ist dunkel und nichts rührt sich. Ist es ratsam, nach draußen zu gehen? Hier im Schulgebäude bin ich momentan sicher, die Jäger scheinen mir nicht gefolgt zu sein, doch ich weiß nicht, ob welche von ihnen dort draußen im Schatten lauern. Ich sollte besser nichts riskieren, also beschließe ich, mir hier im Haus ein gemütliches Plätzchen zu suchen. Ich schlafe nicht, doch auch ich schätze Pausen, in denen ich mich erholen kann. Einfach mal daliegen und nichts tun - nach all dem Stress der letzten Zeit brauche ich das mal.


Kurze Zeit später liege ich auf einer Yogamatte, die ich mir aus einem Regal in einem Abstellraum gezogen habe. Es ist das Beste, was ich finden konnte und immerhin besser als nichts. Die Matte ist recht bequem, wenn auch etwas kühl.
In Gedanken versunken, starre ich an die Decke - eine schmutzig, weiße Tapete, die tatsächlich irgendwer mit Kaffeespritzern versehen hat.

Nebenbei probiere ich meine Fähigkeiten aus. Die schwarzen Flügel wollen immer noch nicht erscheinen, doch als ich mich mit meinen krallenähnlichen Nägeln kratze, heilt die Wunde fast sofort.
Überrascht richte ich mich auf und starre auf die makellose Haut. Wenn das funktioniert, dann könnte ich doch auch bestimmt ...?

Ich springe von der Yogamatte auf und laufe zurück zu dem Raum mit dem Galgenmännchen. Es dauert ein wenig, bis ich ihn finde, denn die Schule ist unübersichtlicher als erwartet - vor allem bei Nacht, wenn alles dunkel ist.

Die Leiche des Hausmeisters liegt unverändert auf dem Boden. Natürlich, wer hätte sie auch bewegen sollen? Trotzdem atme ich erleichtert auf. Ich durchsuche den Raum nach einem Gefäß, am besten ein Kelch, aber eine Tasse würde es zur Not auch tun. Am Ende nutze ich einfach die leere Obstschale, die ich in einem unteren Regalfach finde.

Mit diesem Objekt gehe ich zurück zu Toten. Ich schlitze seine Kehle mit Hilfe meiner spitzen Fingernägel auf und lasse das Blut in die Schale fließen. Es ist ein wenig schwierig, weil sein Herz nicht mehr schlägt und dadurch das Blut nicht fließt, aber mein Schnitt ist tief genug, dass sich die Schale trotzdem ausreichend füllt.

Ich stelle das Gefäß auf den Boden, knie mich selbst davor und lege die Hände darum. Mit geschlossenen Augen murmle ich eine Beschwörungsformel, während ich mit den Fingern in das Blut fasse und die Linien eines Pentagramms nachzeichne. Es funktioniert ähnlich wie das Telefon der Menschen. Wenn meine Kräfte aktiv sind, kann ich durch diese Beschwörung einen anderen Dämon erreichen, der mir dann aus meiner Situation helfen kann.

Ich konzentriere mich auf einen Kollegen. Wir kamen damals etwa zeitgleich in der Hölle an. Ich hatte nie viel mit ihm zu tun, aber ich weiß, dass man sich im Notfall auf ihn verlassen kann. Es dauert auch tatsächlich nicht lange, da höre ich seine Stimme in meinem Kopf. Er sagt meinen Namen, klingt dabei überrascht. „Meine Güte, hier denken alle, du seist tot", sagt er schließlich. Ich erkläre ihm, was vorgefallen ist, dass die Jäger unser Lager überfallen und mich gefangen genommen haben. Auf die Details möchte ich nicht so sehr eingehen, einfach weil ich nicht die Zeit dazu habe. Abschließend sage ich noch, wo ich mich gerade befinde. Ich höre meinen Kollegen murmeln, ehe er sich mit fester Stimme an mich wendet: „Alles klar, bis zum Morgengrauen holen wir dich da raus." Dann bricht die Verbindung und ich sacke erleichtert zurück.

Die anderen Dämonen werden mich holen, ich werde zurück in die Hölle gehen. Dort werde ich sicher sein vor den Jägern und allen anderen, die mir etwas antun wollen. Doch ich schwöre, sollte ich in einigen Jahren einem von meinen Gefängniswärtern dort unten begegnen, dann wird er sich wünschen, von Anfang an den Pfad der Tugend gewählt zu haben. Alles, was ich jetzt noch tun musste, war abwarten.

- Ende -


Gejagt - eine interaktive GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt