26. Kapitel - Ash

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Ash Lesharo

>Uh la la<, erklingt Kellys Stimme hinter mir und ich rolle unwillkürlich die Augen. Der Unterricht ist zu Ende für heute, aber ich muss die Kurzarbeit der B-Klasse von gestern kontrollieren, darum bin ich noch hier. Bis eben habe ich auch noch etwas gegessen, dabei ist aber etwas Senf auf meinem Shirt gelandet, darum wollte ich es wechseln. Und grade, als ich mein schmutziges Oberteil ausgezogen habe, ist sie wohl in das Lehrerzimmer gekommen. >Schade, dass ich heute Morgen nicht mit dir und der C-Klasse ins Schwimmbad gehen konnte<, meint sie, setzt sich auf ihren Platz neben meinem und ich beeile mich, das frische, hellblaue Shirt überzuziehen.

>Du hast nichts verpasst<, versichere ich ihr, allerdings wirkt sie nicht sonderlich überzeugt.

>Ich habe gehört, es gab einen Vorfall mit Elaine<, wirft sie ein und ich bemühe mich um eine neutrale Mine. Von dem Kuss kann sie nichts wissen, es muss also um den Krampf gehen und an der Geschichte ist nichts, was ich ihr verschweigen muss.

>Wir haben ein Wettschwimmen gemacht, bei dem Violet gegen Tristan angetreten ist. Sie hat bei der zweiten Bahn einen Krampf bekommen, das ist alles.< Sie bekommt einen besorgten Ausdruck, ihre Schultern sind plötzlich verspannt. Das macht mich ein bisschen nachdenklich, weil es doch eine ziemlich starke Reaktion auf einen eher kleinen Vorfall ist, finde ich.

>Es ist aber nichts passiert, oder?<, hakt sie nach und ich schüttle den Kopf, versuche dahinterzukommen, warum sie so besorgt ist. Das ist mehr, als ich ihr bei anderen Schülern zutrauen würde.

>Nein, ihr geht es gut. Wieso?< Sie nimmt eine leere Kaffeetasse von ihrem Tisch, umklammert sie. >Kelly?< Sie atmet tief durch, dann steht sie auf, kommt etwas näher zu mir und senkt auch die Stimme.

>Violet verhält sich ein bisschen komisch in letzter Zeit, denkst du nicht auch?<, fragt sie, wartet aber zum Glück nicht auf eine Antwort. Ich wüsste nicht, wie ich darauf antworten sollte. >Sie ist unruhig, weint viel und ist im Unterricht nicht so richtig da. Heute Vormittag hatte ich die C-Klasse und habe da die Terminbestätigung von ihrem Frauenarzt gesehen. Der Termin war nach dem Tag, an dem sie so nervös wegen einem Arzttermin hier aufgetaucht ist<, schließt sie und ich suche schon nach einer Ausrede, irgendeine Erklärung, aber sie ist auch noch nicht fertig. >Ich glaube, dass sie schwanger ist. Sie-< 

>Ist sie nicht.< Sie starrt mich an, weil mein Einwand viel zu schnell kam und auch zu laut war, obwohl ich gar nichts sagen wollte. Zumindest noch nicht, denn ich habe noch keine plausible Lüge gefunden.

>Woher willst du das wissen?< Eine andere Wahl, als die erstbeste Lüge zu erzählen, die mir in den Sinn kommt, habe ich jetzt nicht mehr. Wenn ich zu lange schweige und überlege, kann ich mir eine Antwort sparen, denn dann zieht sie ihre eigenen Schlüsse.

>Sie hat es mir gesagt.< Ihr Blick wird fragend und ich versuche es einfach mit einer Halbwahrheit. Die Wahrheit werde ich ihr nicht sagen, dazu habe ich kein Recht und ich will es ihr auch nicht sagen. >Ich hatte den Verdacht auch, als sie mir den Zettel gegeben hat. Ich habe sie aber nicht gefragt, das wäre mir nie in den Sinn gekommen, so was fragt man einfach nicht. Meine nachdenkliche Mine hat ausgereicht und sie hat mir knapp erklärt, dass sie nur einen Verdacht hatte, der sich aber nicht bestätigt hat.< Sie scheint mir zu glauben, nickt langsam und sieht dann nachdenklich an mir vorbei. Ich bin froh, dass mir das so spontan eingefallen ist, mache mir aber auch eine gedankliche Notiz, dass ich Violet von diesem Gespräch erzählen sollte. Nur, für den Fall, dass das Thema zwischen den beiden Mal aufkommt. Immerhin besteht auch die Möglichkeit, dass sie das Kind behalten will und dann wird Kelly das mitbekommen.

Obwohl ich nicht möchte, dass sie es austrägt. Das ist egoistisch und ich würde das niemals laut sagen, aber es gefällt mir nicht, dass sie von Luca schwanger ist und es vielleicht behält. Ich würde nicht tauschen wollen, sie soll auch nicht von mir schwanger sein, das ist es nicht. Sie soll einfach eine schöne, entspannte und möglichst unkomplizierte Jugend haben und dieses Baby würde ihr alles verbauen.

>Dann habe ich vermutlich nur gesehen, was ich sehen wollte. Sie wäre eine großartige Mutter und Luca auch ein anständiger Vater, denke ich<, meint sie, geht dann aber davon, um sich einen Kaffee zu holen.

Erleichtert belasse ich es dabei, wende mich an meinen Schreibtisch und die Kurzarbeit, welche dort auf mich wartet.

>Ash?< Immerhin konnte ich schon einen Stift in die Hand nehmen, sehe aber nun doch wieder auf.

>Was gibt es?< Neben mir steht Oliver Zuber, welcher Biologie an dieser Schule unterrichtet, reicht mir die Hand.

>Ich habe dich noch gar nicht so richtig begrüßt, hier bei uns<, meint er freundlich und ich stehe auf, nehme seine Hand mit einem freundlichen Lächeln. Tatsächlich haben wir bisher kaum miteinander gesprochen, aber das trifft auf die meisten meiner Kollegen zu. Das war nie so geplant, sich mit den Kollegen zu verstehen gehört irgendwie dazu, aber es hat sich bisher keine gute Gelegenheit ergeben. >Es ist ungewohnt, einen ehemaligen Schüler als Referendar an derselben Schule wieder zu sehen. Auf jeden Fall freue ich mich auf die Arbeit mit dir und wenn du irgendwas brauchst, melde dich ruhig bei mir. Gern auch, wenn etwas mit Kelly ist<, erklärt er ruhig und locker, sieht sich danach unauffällig nach ihr um.

>Danke.< Sobald er das getan hat, lächelt er entschuldigend.

>Das war nicht böse gemeint oder so, jeder hier mag Kelly und jeder von den jüngeren Kollegen hat seine eigenen Erfahrungen gemacht. Sie kann aufdringlich werden, wenn du ihr nicht früh genug und deutlich sagst, dass du kein Interesse hast. Natürlich nur, wenn das so ist, aber du wirkst eher genervt als angetan von ihr, wenn sie in deiner Nähe ist.< Das bestätige ich mit einem knappen Nicken, sage aber nichts dazu, weil Kelly gerade an uns vorbei geht, zurück zu ihrem Schreibtisch, mit ihrem Kaffee in der Hand. Womöglich gehe ich doch nach Hause und arbeite dort. Dann kann ich ihr und diesem Geruch aus dem Weg gehen.

>Danke für den Rat und ich freue mich übrigens auch, wieder hier zu sein. Sehr viel hat sich in den paar Jahren offenbar nicht verändert.<

>Nicht allzu viel, ja<, stimmt er zu, dann hebt er die Hand zum Abschied. >Dann bis morgen, meine Frau wartet auf mich<, verabschiedet er sich, sammelt auf dem Weg zur Tür seine Tasche auf und verlässt das Lehrerzimmer.

>Ich werde nie verstehen, warum er mich nicht mag<, murmelt Kelly, versenkt mehrere Stückchen Zucker in ihrer Tasse und ich setzte mich wieder auf meinen Platz. >Dabei war ich immer nett<, redet sie weiter vor sich hin, dann wendet sie sich plötzlich an mich und ich weiß genau, dass ich niemals dazu kommen werde, die Kurzarbeit zu korrigieren, wenn ich hier bleibe. >Gehen wir essen?<, will sie wissen und ich nehme instinktiv den Rat von Oliver an, lächle freundlich, aber trotzdem verhalten.

>Ehrlichgesagt muss ich in einer halben Stunde zu Hause sein.< Sie winkt ab, holt für eine Antwort Luft, aber ich bin noch nicht fertig. >Die Schwester meiner Freundin hat uns zum Essen eingeladen, heute geht es nicht<, lüge ich weiter und ihr bleibt der Mund offen stehen. Ich hasse Lügen, sie fliegen immer auf und haben zudem kurze Beine, aber selbst, wenn sie irgendwann dahinterkommt, versteht sie dann vielleicht, dass ich wirklich nicht mit ihr ausgehen will. 

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt