37. Kapitel - Violet

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Violet Elaine Craig

Die Nachhilfe war die Hölle. Er hat mich die ganze Zeit über nicht beachtet, als wäre ich Luft. Wegen meinen Kopfschmerzen vom Weinen und meinem Gefühlschaos bin ich nicht mitgekommen und habe mich deshalb nicht gemeldet, aber ich glaube, selbst dann hätte er mir nicht eine Sekunde lang seine Aufmerksamkeit geschenkt.

>Oh Gott, Violet. Was ist passiert?< Tina wirkt geschockt, dabei weiß sie noch überhaupt nichts. Sie hat eben die Wohnungstür geöffnet, sieht nur mein verweintes Gesicht und wie ich um Atem ringe, weil ich einfach fertig mit der Welt bin. Es tut so weh.

>Ich-< Tatsächlich wollte ich etwas sagen, aber der fünfte Heulkrampf heute erstickt den Versuch im Kern. Sie zieht mich in ihre Wohnung, dann in ihre Arme und schließt die Tür. Ich klammere mich an sie, versuche Halt zu finden, aber ich habe trotzdem das Gefühl zu ertrinken. Wie schon den ganzen Tag.

>Süße<, flüstert sie mitfühlend, streicht über meinen Rücken und ich verdamme mich dafür, dass ich mir wünsche, es wäre die Hand von Ash. Sie würde sich besser anfühlen, mir Kraft geben, aber es wäre falsch.

Er hat mit seinem Verhalten heute klar gemacht, was er will. Nämlich nichts. Er will nicht mit mir reden, mich ansehen oder überhaupt noch wissen, dass ich existiere. Er hat mich innerhalb von nur einem Tag aus seinem Leben gestrichen und ich kann nicht in Worte fassen, was das mit meinem Herz gemacht hat. Ganz egal, wie „richtig" das auch sein mag.

>Tina?< Sie lässt mich grade genug los, um mich ansehen zu können, legt ihre Hände auf meine Schulter. >Was macht man gegen Liebeskummer?< Ich hatte das noch nie. Mit Luca ist es zu Ende gegangen und ich war verletzt und wütend. Das ist verständlich gewesen und ich habe mich mies gefühlt. Nur war das ein Witz gegen dieses herzzerreißende Gefühl, das jetzt in mir ist.

>Du hast dich verliebt?<, fragt sie verwirrt und ich nicke, erzähle ihr einfach dasselbe wie Tristan.  

>Aber er ist verheiratet und ich weiß das, ich wusste das von Anfang an und es ist auch nichts passiert oder so, aber-< Ich weiß gar nicht, was ich noch sagen soll. Das ist alles, was ich sagen kann.

>Aber du hast dich eben verliebt<, sagt sie lächelnd, zieht mich wieder in ihre Arme. >Ich kenne das. Tristan und ich, das ist innerhalb von ein paar Minuten passiert. Gut, ich fand ihn vorher schon süß und so, aber nicht auf diese Weise. Er war ein guter Freund und dein bester Freund, deshalb war die Option für mich einfach nicht da, aber es ist eben passiert. Und du verliebst dich nicht grundlos in irgendwelche Typen, also-<

>Tina<, unterbreche ich sie schluchzend, bevor sie weiterreden kann. Ich weiß nämlich, was sie mir sagen will. >Ich werde nicht kämpfen und dafür sorgen, dass er seien Frau verlässt. Das ist falsch.< Das würde bedeuten, dass er seinen Job, seine ganze Karriere für mich aufgibt. Das kann und will ich nicht von ihm verlangen. Zumal er es offenbar geschafft hat, über mich hinweg zu kommen, oder wie man das nennen soll. Ich bedeute ihm demnach nicht halb sie viel wie er mir, was das ganze Thema überflüssig macht.

Sie sieht mich einen Moment lang schweigend an, dann nickt sie.

>Ja, du hast Recht. Aber ich will, dass du glücklich bist<, brummt sie, wischt ein paar meiner Tränen bei Seite. >Willst du einen Tee? Vielleicht beruhigst du dich dann ein bisschen.< Ich schaffe es zu nicken, dann folge ich ihr in die Küche und setze mich dort an den Tisch. Sie läuft herum, sucht sich alles zusammen.

Es ist still zwischen uns, was wirklich nicht oft passiert, darum will ich etwas sagen. Nur fällt mir nichts ein. >Hat Luca sich bei dir gemeldet?<, fragt sie unvermittelt, sieht mich aber nicht an. Verwirrt runzle ich die Stirn, denke nach.

>Nein, wieso?< Er hat nicht angerufen und mir auch nicht geschrieben. Ich bin keine von denen, die ihre Ex überall blockieren. Seit dem Ende unserer Beziehung hatten wir dennoch keinen Kontakt mehr.

>Er hat nach dir gefragt<, erklärt sie langsam, füllt den Wasserkocher sehr sorgsam. >Und nach dem Baby.< Ich will nicht wirklich darüber nachdenken oder reden, aber das werde ich müssen. Luca ist und bleibt der Vater.

>Was genau wollte er wissen?< Sie stellt den Wasserkocher auf, schaltet ihn ein, dann zögert sie noch einen Moment, bevor sie sich zu mir umdreht.

>Er will das Baby mit dir bekommen.< Mein Mund öffnet sich, aber ich bekomme keinen Ton raus. Wenn sie mich damit von Ash ablenken wollte, hat sie es auf jeden Fall geschafft.

>Was?<

>Ich soll dir das nicht sagen, aber er hat wohl viel nachgedacht und auch mit Tristan geredet. Sie sind nicht mehr so richtig befreundet, aber sie hassen sich auch nicht. Laut Tristan überlegt Luca das Kind mit dir aufzuziehen.< Ich glaube das nicht. Das ergibt keinen Sinn. Außerdem wollte Tristan es mir sagen, wenn er sich mit Luca ausgesprochen hat. Womöglich hätte er das auch getan, wenn ich heute nicht so aufgelöst gewesen wäre.

>Er verpasst mir einen Tritt in den Hintern, wirft mir vor ihn zu betrügen, fragt mich allen Ernstes, ob es sein Kind oder das von Tristan ist und nur eine Woche danach will er es plötzlich mit mir großziehen?< Das passt nur zusammen, wenn er sich in der Zeit irgendwo sehr heftig den Kopf gestoßen hat.

>Ich kann dir das nicht erklären und mehr weiß ich auch nicht<, meint sie, gießt das heiße Wasser in zwei Tassen, in welche sie schon die Beutel gehängt hat. >Aber ich bin ganz auf deiner Seite, wenn du ihn zum Teufel jagst.< Sie lächelt und auch ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ich kann sogar praktisch vor mir sehen, wie sie auf ihn losgeht.

>Ich lasse ihn erst mal reden und höre, was er zu sagen hat. Vielleicht sind ein paar lustige Ausreden dabei.< Sie kichert leise, bringt die beiden Tassen zu mir an den Tisch, setzt sich ebenfalls.

>Die Ausreden von Luca sind immer die Besten, da hast du Recht<, stimmt sie zu, mustert mein Gesicht. >Ich bin so stolz auf dich<, meint sie unvermittelt und ich habe keine Ahnung, was sie meint. >Ich würde die Schule schwänzen und nie wieder das Haus verlassen, wenn mich mein Freund schwanger fallen lassen würde.< Das gibt der Stimmung wieder einen Dämpfer, macht mich aber nicht traurig. Nicht so traurig, wie die Tatsache, dass Ash mich nun auch fallengelassen hat. Obwohl ja eigentlich gar nichts zwischen und war, nur zwei wunderschöne Küsse.

>Weißt du, wer mir geholfen hat?<, lenke ich mich selbst ab, konzentriere mich wieder auf das Thema. Sie beobachtet mich erwartungsvoll, wartet darauf, dass ich weiterrede. >Tristan. Er hat Luca eine verpasst und war für mich da. Solange du ihn an der Stange hältst und die Gefühle passen, hast du mit Tristan den perfekten Mann an deiner Seite.< Ein verträumtes Lächeln tritt in ihre Züge, sie sieht weg. So habe ich sie nur ganz selten gesehen und es macht mich glücklich, dass sie glücklich ist.

>Ehrlichgesagt geht mir das sogar ein bisschen zu schnell.<

>Dann nimm dir Zeit.< Ich glaube, sie wollte noch etwas sagen, aber das musste raus. >Wir sind noch so jung, Tina. Nehmt euch Zeit, lasst Raum, wenn ihr welchen braucht. Eure Tage sind doch nicht gezählt. Ihr wollt sogar auf dieselbe Uni, also warum lasst ihr euch nicht einfach alle Zeit der Welt?< Sie schweigt, sieht mich an und scheint auch nachzudenken.

Ich weiß, dass sie mir zustimmen wird. Es zu überstürzen, bringt nichts und es gibt auch absolut keinen Grund dazu. Sie und Tristan haben Zeit, genau wie ich. Ash wird noch eine Weile lang eine Rolle in meinem Leben spielen, er wird da sein, aber das geht vorbei. Das muss es. Er will es so und ich akzeptiere das, weil es für uns beide das Beste ist. Ganz egal wie sehr es wehtun wird. 

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