29. Kapitel - Violet

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Violet Elaine Craig

Während dem Essen war Tina so auf Tristan fixiert, dass ihr mein überwiegendes Schwiegen nicht aufgefallen ist. Danach allerdings haben wir Tristan nach Hause begleitet und sind nun auf dem Weg zu mir. Sie hat schon vier Mal gefragt, warum ich so still bin.

>Können wir zu dir gehen?< Mir ist nichts besseres eingefallen, um mein Schwiegen zu beenden. Ich wollte schon etwas sagen, aber ich habe die ganze Zeit Angst, dass mir etwas Falsches rausrutscht und ich ihr alles sage. Also das mit dem Baby und auch diese Sache mit Ash, die ich endlich beenden muss. Oder wenigstens aus meinem Kopf streichen, denn dann verläuft sich das im Sande und verschwindet einfach. Hoffe ich zumindest.

>Sagts du mir auch warum?<, hakt sie nach und wir bleiben an einer Kreuzung stehen. Zu mir geht es nach links, aber wenn wir zu ihr gehen, weiter geradeaus. Jetzt, wo wir nicht mehr laufen, fühle ich mich verpflichtet sie anzusehen.

>Ich muss dir was erzählen.< Sie hebt skeptisch eine Braue, winkt dann aber ab.

>Das mit Luca weiß ich schon.< Wüsste sie alles, wäre ihre Reaktion jetzt gerade anders gewesen. Tristan hat ihr vermutlich erzählt, dass Luca und ich jetzt getrennt sind, aber von dem Baby weiß sie nichts. Sie hätte es mir außerdem schon vorgeworfen, wenn sie es von jemand anderen erfahren hätte.

>Es geht um etwas anderes. Als schon auch um Luca, aber nicht nur.< Schließlich ist er Teil des Ganzen.

Sie hebt die Schultern, überquert die Kreuzung, was wohl bedeutet, dass wir zu ihr gehen können. >Sind deine Eltern da?< Meistens Arbeiten sie bis spät, aber wir haben auch schon achtzehn Uhr.

>Sie arbeiten mindestens bis acht, hat Dad geschrieben<, beantwortet sie meine Frage mit ihrem Handy in der Hand, wird langsamer. Wir sind auch fast da und mir graut es davor, ihr alles zu erzählen. Also fast alles. Sie wird ausflippen und ich bin mir nicht sicher, wie das alles ausgehen wird. >Warum bist du so verspannt?<, will sie wissen, steckt ihr Handy weg und sucht stattdessen den richtigen Schlüssel an ihrem Bund. Schweigend warte ich, bis sie aufgeschlossen hat und wir drinnen sind, dann schließt sie die Tür und es platzt einfach aus mir heraus.

>Ich bin schwanger.< Tina starrt mich an, geschockt und mit riesigen Augen, sagt keinen Ton. Selbstverständlich kann ich das verstehen, gebe ihr Zeit und warte einfach, bis sie die Information verarbeitet hat. Nervös spiele ich dabei am Saum von meinem T-Shirt, versuche mich auf ihre Reaktion vorzubereiten.

>Kein Scheiß?<, hakt sie nach, ich nicke knapp. Meiner Stimme traue ich grade nicht. >Seit wann weißt du es? Wie lange schon? Also in welchem Monat bist du? Warum hast du nichts gesagt?<, will sie direkt wissen, dann richtet sich ihr Blick auf meinen Bauch. Beinahe reflexartig lege ich meine Hände schützend über ihn, überlege, welche der Fragen ich zuerst beantworten sollte.

>Also meine Ärztin hat am letzten Mittwoch bestätigt, dass ich schwanger bin und ich bin etwa in der sechsten Woche. Du warst die letzten Tage nicht in der Schule und ich musste das erst mal verarbeiten, deswegen sage ich dir das erst jetzt.< Sie sieht wieder in mein Gesicht, wirkt aber nicht wütend, wie ich am Anfang befürchtet habe. Sie strahlt sogar glücklich.

>Du bekommst ein süßes, kleines Baby?<, fragt sie mit viel zu hoher Stimme und entlockt mir damit sogar ein kleines Lächeln.

>Mit meinen Eltern und ohne den Vater wäre das nicht so einfach.< Innerhalb einer Sekunde verfinstert sich ihre Mine, sie ballt die Hände zu Fäusten.

>Hat er dich deswegen verlassen? Weil er dich geschwängert hat?< Schnell schüttle ich den Kopf, versuche nicht allzu rot zu werden. Das klingt extrem unanständig, wenn sie es so sagt.

>Nein, das nicht. Er hat Schluss gemacht, weil er denkt, dass es vielleicht von Tristan ist.< Ihr Mund klappt auf, aber sie sagt nichts. Offenbar ist sie genau so überrascht und wütend, wie ich es war, als Luca mir das vorgeworfen hat.

>Also wenn das so ist, freue ich mich, dass du ihn los bist. So einen dummen Freund brauch niemand.< Am Anfang hatte ich Angst, dass sie sauer ist. Dass sie vielleicht der Idee von Luca Glauben schenkt und es für sie Sinn ergibt. Zum Teil auch einfach deshalb, weil sie und Tristan jetzt zusammen sind und sie manchmal ziemlich eifersüchtig sein kann. Aber zum Glück würde ihr so etwas nie in den Sinn kommen. Sie weiß eben, dass Tristan und ich nur Freunde sind. Sehr gute Freunde, aber eben nicht mehr.

>Danke.< Keine Ahnung, warum mir die Tränen in den Augen stehen. Sie vermutlich auch nicht, trotzdem nimmt sie mich in ihre Arme, zieht mich an sich. In der ersten Sekunde muss ich daran denken, wie Herr Lesharo mich letzten Donnersteg getröstet hat, wie gut ich mich bei ihm gefühlt habe, doch ich verbiete es mir, weiter in der Erinnerung zu schwelgen. Stattdessen klammere ich mich an meine beste Freundin, suche Halt und versuche den Rest einfach Mal zu vergessen.

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Ich bin mir nicht mehr sicher, wie es dazu gekommen ist, aber ich liege in dem Bett von Tina. Ihr Kopf liegt auf meinem Bauch, hebt und senkt sich im Takt meiner Atemzüge. Sie will wohl herausfinden, ob man schon das kleine Herz hören kann. Dabei bin ich mir nicht einmal sicher, ob ein Embryo so früh schon ein schlagendes Herz hat. Ich habe mich zwar ein bisschen über Abtreibungen informiert, aber nicht über das Wachstum von Embryos und Föten. Sie hat allerdings darauf bestanden.

>Ich höre nur deinen Magen<, meint sie, bleibt aber einfach da liegen. >Willst du überhaupt ein Baby? Ich meine, hast du schon darüber nachgedacht, was du machen willst?< Kopfschütteln versuche ich das Gesicht von Herr Lesharo aus dem Kopf zu bekommen und mir nur seine Worte in Erinnerung zu rufen. Aber ich höre sogar noch, wie er mir seinen Rat gegeben hat, mit seiner angenehmen, tiefen Stimme. Seinen Rat nach meinem Leben zu entscheiden und nur dann das Kind zu bekommen, wenn ich mir wirklich sicher bin. Was ich definitiv nicht bin.

>Ich habe mich noch nicht entschieden und ich habe auch noch Zeit.< Sie setzt sich auf, mustert mich besorgt.

>Ich bin immer für dich da, okay? Scheiß auf Jungs, die sind scheiße.< Nun lächelt sie, ich dagegen hebe eine Braue. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das nicht wörtlich meint.

>Und wenn jetzt Tristan hier wäre, würdest du das noch Mal sagen?< Ihre Wangen röten sich leicht, dann lässt sie sich neben mir auf ihr Bett fallen.

>Es soll dir nur niemand mehr wehtun, hörst du? Luca ist ein Arsch und lässt dich dann auch noch mit etwas allein, woran er allein Schuld ist<, erklärt sie, legt eine Hand auf meinen Bauch und ich lasse sie. >Tristan ist nicht so wie Luca. Die beiden sind verschieden, aber ich gehe auch immer auf Nummer sicher und verhüte doppelt. Nur für den Fall<, erklärt sie und ich drehe den Kopf weg. Ich habe Tina schon in so ziemlich allen Lebenslagen und Zuständen gesehen, aber sie und Tristan im Bett, darauf kann ich verzichten. Mein kleines Kopfkino springt sowieso zu einem ganz anderen Paar, weswegen ich schnell nach einem Themawechsel suche.

>Hattet ihr eigentlich schon ein richtiges Date?< Sie grinst breit, denn sie weiß genau, warum ich versuche das Thema in eine andere Richtung zu lenken.

>Da bist du schon schwanger und immer noch total verklemmt. Aber nein, hatten wir noch nicht. Also wir waren gestern in einem Café, aber wir haben uns eigentlich nur ausgesprochen. Und dann eben vorhin beim Asiaten, aber mit dir, also war es auch kein Date. Aber das kommt schon noch<, meint sie überzeugt, atmet tief durch. >Wichtig ist jetzt erst Mal, dass er über diese Sache mit Henry wohl ganz gut hinwegsehen kann und du in guten Händen bist.< Stumm nicke ich, verbiete mir jeden Gedanken an etwas anderes. Das sind wirklich die beiden einzigen, wirklich wichtigen Dinge. Alles andere kann warten. Wenigstens bis morgen. 

Zu 0,05% schwangerWhere stories live. Discover now