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Irgendwie fühlte er sich unbehaglich. Sie schien nicht begeistert davon gewesen zu sein, ihn noch hier vorzufinden. Deutlich hatten sich in ihren Karamell-Augen mit dem Mokkaeinschuss Fassungslosigkeit mit Scham gemischt. Jetzt rauschte die Dusche und er hatte den Tisch gedeckt. Er konnte schließlich das Beste aus der Situation machen. Zudem hatte er die Sachen schon besorgt, nachdem er festgestellt hatte, dass sie zwar eine Kaffeemaschine aber keinen Kaffee hatte. Da er gerne Milch in seinen Koffeinschub tat, hatte er in den Kühlschrank gesehen und war fast aus den Latschen gekippt. Da hatte nicht viel dringestanden. Im Prinzip nichts.

Also hatte er eben ein bisschen mehr gekauft. Er hatte Hunger. Außerdem hatte er eine Zahnbürste gebraucht. Und Unterwäsche sowie Strümpfe. Was er zum Glück alles in dem nahegelegenen Laden bekommen hatte. Er hörte, wie das Wasserrauschen verstummte, und nahm einen Schluck seines Kaffees. Sie brauchte nicht lange im Bad. Schon vernahm er, wie sie die Tür öffnete, und kurz darauf stand sie im bunten Sommerkleid vor ihm.

„Ich hatte nichts anderes mehr, das sauber ist. Abgesehen von Shorts, bei der man meinen halben Po sieht und ein kurzes Top. Aber die kombiniere ich so auch nicht. Äh, Fakt ist: Das war die bessere Alternative", gab sie gleich zu und er dachte an die Kleidungsstapel im Wohnzimmer und nickte nur schulterzuckend.

Dann fiel ihr Blick auf den gedeckten Tisch, ehe er zu ihm flirrte und sie murmelte: „Offenbar warst du einkaufen. Warum auch immer."

„Ich hatte Hunger", erklärte er und sie nickte, ehe sie sich auf den Stuhl fallen ließ, der dem gegenüberstand, den er in Beschlag genommen hatte.

Sie starrte auf das Essen, das sich auf dem Tisch befand und da er wohl doch übertrieben hatte, rechtfertigte er sich: „Ich wusste nicht, was du gerne magst."

„Ich bezahl das."

‚Interessant, dass sie gleich daran denkt, mir die Kosten zu ersetzen. Was bedeutet das?', fragte er sich und sagte: „Schon ok. War kein Vermögen. Es ist noch Kaffee da."

„Ich trinke keinen Kaffee. Jessi hat Kaffee geliebt. Ich hab die Maschine nur noch nicht weggepackt."

„Oh. Ok. Hm. Was trinkst du sonst zum Frühstück?"

„Tee. Doch ich hab keinen mehr. Ich wollte einkaufen gehen. Aber ich war zu müde", erklärte sie und als sie seinen Blick auffing, setzte sie hastig hinzu: „Ich bin nicht depressiv. Ich bin nur ... keine Ahnung. Überfordert. Mit allem. Aber ich bin nicht depressiv. Ich kenne den Unterschied. Ich hab alles darüber recherchiert, nachdem Jessi mir endlich reinen Wein eingeschenkt hatte. Auch wenn sich Trauer und Depressionen in manchen Dingen überschneiden, denk ich, dass das bei mir leichter wird. Irgendwann. Das gestern ... Das war nichts weiter als ein schwacher Moment."

„Ich wollte nur sagen, dass ich auch Tee gekauft hab. Da standen Tassen mit Teebeutel, also hab ich sicherheitshalber welchen besorgt. Nachdem ich in deinen Kühlschrank gesehen hab, um zu sehen, ob ich Milch für den Kaffee brauche, dachte ich, das wäre sicherer."

„Apropos: Das ist frische Butter, die musst du nicht anpacken und die Marmelade kannst du auch zulassen. Im Kühlschrank steht beides."

Er sah sie wohl ziemlich komisch an, denn sie zog die schmalen Augenbrauen hoch und fragte: „Was?"

„Leonie, deine Butter und deine Marmelade hab ich genauso entsorgt, wie dein Toastbrot. Ersteres war ranzig und die letzten beiden Lebensmittel haben geschimmelt. Wann hast du denn zuletzt gegessen?"

Das hervorstehende Brustbein hatte ihn ja schon schockiert, genauso wie die knochigen Schultern, aber, dass sie jetzt überlegte, ließ ihn schlucken. Warum zum Teufel nochmal hatte nie jemand nach ihr gesehen? Das gab es doch nicht, verdammt!

„Montag."

„Montag?!?"

„Ja, warum?"

„Heute ist Samstag, Leonie!", rief er aus und bemerkte, dass sie nun selbst erschrak.

„Oh. Ich ... ich hatte keinen Hunger. Aber dann werde ich jetzt wohl etwas essen. Und Tee machen."

Er beobachtete, wie sie sich wieder vom Stuhl erhob und mit holzigen Bewegungen an die kleine Arbeitsplatte trat. Sie füllte Wasser in den Kocher, startete ihn und als sie sich streckte, um sich eine Tasse von dem offenen Regal zu nehmen, verrutschte ihr noch feuchtes Haar.

„Du hast ein Tattoo! Einen Engelsflügel!", rief er aus und runzelte die Stirn, ehe er feststellte: „Warum nur einen?"

Betroffen stellte er fest, dass Leonie mitten in der Bewegung erstarrte, doch sie fing sich fix, nahm sich Tasse sowie Tee und zuckte mit den Schultern, ehe sie sagte: „Die andere Hälfte hatte Jessi."

„Oh. Entschuldige."

„Schon ok, wusstest du nicht. Wir haben es uns in unserem letzten Urlaub stechen lassen. War unser besonderes Urlaubssouvenir."

Er registrierte, dass ihre Hände jetzt zitterten, als sie das heiße Wasser in die Tasse goss. Sie hatte ihm nicht ins Gesicht gesehen, während sie gesprochen hatte. Doch nun wandte sie sich zu ihm und setzte sich wieder an den Tisch. Er spürte deutlich, wie sie mit sich kämpfte und das tat ihm wirklich leid. Sie starrte auf den Wurstteller, den er auf die Schnelle gerichtet hatte, genauso wie auf den Käseteller und anschließend flogen ihre Karamell-Augen zu seinen.

„Ich würde das trotzdem bezahlen. Du hast mir praktisch das Einkaufen erspart. Und aufgeräumt hast du auch. Außerdem fiele es mir leichter, etwas zu essen. Ich bedien mich nicht gern bei anderen", stellte sie fest und er schluckte.

„Ich weiß aber nicht genau, was es ausgemacht hat, weil ich noch Dinge für mich besorgt hab."

„Ok", flüsterte sie und er unterdrückte das Kopfschütteln, da sie sich offenbar echt schwertat, nach einem der Vollkornbrötchen zu greifen.

„Guten Hunger, Leonie."

„Ja. Dir auch. Danke."

Während er es sich schmecken ließ und sich dachte, dass er lange nicht mehr so ein geruhsames Frühstück hatte, beobachtete er, wie Leonie konzentriert einen Bissen nach dem anderen nahm, kaute und schluckte.

Sie war still dabei und hatte den Blick auch auf die Tischplatte gerichtet. Sie wirkte, als wäre sie weit weg und er störte sie nicht. Sie hatte sichtlich mit sich gerungen, als sie ihm das mit dem Tattoo erzählt hatte. Ihre Stimme war ganz brüchig gewesen. Man merkte jedoch, dass sie heute in etwas besserer Verfassung war als gestern. Sie war mehr im Jetzt und ihre Gedanken sprangen nicht so hin und her. Also hatte es geholfen, dass sie sich ausgeweint hatte.

„Das mit gestern tut mir leid", sagte sie und riss ihn damit zurück in die Gegenwart.

Er suchte ihren Blick und erwiderte: „Wieso?"

„Immerhin hast du dich wegen meines schwachen Moments so erschrocken, dass du dich genötigt gefühlt hast, mich nicht nur nach Hause zu bringen und zu übernachten, sondern auch für mein leibliches Wohl zu sorgen und aufzuräumen. Peinlich ist das."

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NachbebenOù les histoires vivent. Découvrez maintenant