Kapitel 4

108 27 91
                                    


Nivia hatte Gry mehrfach angeboten, ihm beim Abwaschen zu helfen, aber er ließ sie einfach nicht in seine Küche. So kam es, dass sie und Tidus weiterhin auf den Stühlen saßen und beobachteten, wie Gry durch die Küche hüpfte und seine Vorräte in den Schränken verstaute, die er nur noch mit Gewalt verschließen konnte.

Nivia neigte den Kopf in Tidus Richtung, ohne den Blick von Gry abzuwenden, der mittlerweile eine fröhliche Melodie vor sich hinsummte. »Vielleicht sollten wir heute besser wieder aufbrechen. Meinst du, du schaffst die Weiterreise?«, fragte sie aus dem Mundwinkel heraus.

Tidus nickte und wollte etwas sagen, aber da kam Gry an den Tisch und schob einen abgerissenen, vergilbten Zettel zu ihnen herüber.

»Was ist das?«, wollte Nivia wissen.

»Ich habe gehört, dass ihr aufbrechen wollt«, antwortete er. »Also habe ich euch schon mal die Rechnung fertiggemacht.«

»Die Rechnung ...«, wiederholte Nivia monoton, als bräuchte sie einen Moment, um seine Worte zu begreifen.

Tidus erfasste die Situation schneller, denn er zog aus seiner Hosentasche ein kleines Etui und beförderte eine Brille mit dunklem Gestell daraus hervor, die er sich auf die Nase setzte. Kurz überflog er die Auflistung, dann hob er den Kopf. »Du stellst uns ein Streichholz in Rechnung? Halsabschneider!«, würgte er hervor.

Grys Auge zuckte erneut, was Nivia dazu veranlasste, unauffällig mit ihrem Stuhl ein Stück zurückzurutschen und nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau zu halten. Wenn sie nicht durch eines der schmutzigen Fenster springen wollte, dann blieb ihr nur die Tür.

Aus dem Nichts schlug Gry die Handflächen auf den Tisch und beugte sich zu Tidus hinüber. »Und das Holz, das Essen, die Übernachtung ...«, zählte er auf und nahm die Rechnung wieder an sich, ehe er seinen Blick durch die Hütte schweifen ließ. »Ah!« Er zückte seinen Stift und kritzelte noch etwas auf das Papier. »Außerdem wäre da noch das Kissen, das ihr in das Fenster gestopft habt und«, sein Blick fiel auf Nivia, »nicht zu vergessen, die Diele, die du mit dem Schürhaken attackiert hast.«

Nivias Mund klappte auf. »Attackiert?« Das konnte er doch nicht ernst meinen. Oder etwa doch?

»Also?«, fuhr er fort. »Getrennt oder zusammen?«

»Hm?« Nivia verstand gar nichts mehr. Vor wenigen Tagen hatte sie einfach nur den Schnee und die Stille genossen und nun wurde jeder neue Tag, der sie umgab, immer verwirrender und merkwürdiger.

Gry rollte mit den Augen und zeigte mit dem Finger auf sie. »Ich weiß, was du vorhast, aber das haben schon ganz andere probiert. Darauf falle ich nicht rein. Und nun sagt mir, ob ihr getrennt oder zusammen bezahlen wollt.«

»Zu-zusammen?« Tidus versank förmlich auf seinem Stuhl.

War das eine Frage, die er in total piepsigem Tonfall hoffnungsvoll in ihre Richtung gestellt hatte? Scheinbar war er genauso blank wie sie.

Nivia räusperte sich, ehe sie antwortete: »Nun, möglicherweise ist das mit dem Bezahlen im Moment ein bisschen knifflig ...«

»Ihr wollt die Zeche prellen?«,fragte Gry, von beidseitigem Augenzucken begleitet.

»So würde ich das nicht unbedingt nennen ...«, versuchte Nivia die Wogen zu glätten.

»Ihr habt die Zeit doch hier genossen, oder nicht?«, fragte Gry. »Und nun wollt ihr verschwinden ohne euch dafür erkenntlich zu zeigen. Das klingt für mich ganz danach, als würdet ihr meine Gutmütigkeit ausnutzen wollen.«

»Wir wussten nicht, dass du etwas dafür verlangst«, erwiderte Nivia und sah hilfesuchend zu Tidus, der akribisch damit beschäftigt war seine Hände zu untersuchen. »Wir dachten, du handelst aus reiner Nächstenliebe.«

Herz aus EisWhere stories live. Discover now