2 - Spurlos verschwunden

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Thomas Reed war ein ruhiger und ausgeglichener Mann, der stets nach Harmonie strebte. Negative Emotionen und Konflikte hatte er schon vor vielen Jahren aus seinem Leben verbannt.

Leider musste Thomas an jenem Samstagmorgen seine geliebte Harmonie in den Hintergrund rücken und stattdessen den ernsten Vater zum Vorschein bringen.

Er hatte sich gewünscht, dass Sharleen von selbst zur Besinnung kommen würde, doch leider war dieser Wunsch wie eine Seifenblase vor Thomas' Augen geplatzt.

Es war an der Zeit gewesen, Sharleen wachzurütteln.

„Hast du das verstanden, Charly?!", wollte Thomas mit zusammengekniffenen Augenbrauen von der jungen Frau wissen, die sich sichtlich gelangweilt eine blonde Haarsträhne um ihren Zeigefinger wickelte.

Obwohl Sharleen nicht Thomas' leibliche Tochter war, liebte er sie genauso sehr wie Hayden. Das war auch der Grund gewesen, weshalb sich Thomas und Isabelle dazu entschieden hatten, Sharleen auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen.

Sie liebten ihre Tochter so sehr, dass es ihnen das Herz zerriss, dabei zuzusehen, wie sich Sharleen immer mehr in den dunklen Abgründen des Alkohols verlor.

Seit ein paar Wochen war Sharleen nicht mehr wiederzuerkennen. Die selbstbewusste Frau, die Sharleen einst war, hatte sich in eine emotionslose Schnapsleiche verwandelt. Partys, Alkohol und leicht bekleidete Männer waren zu dem Mittelpunkt ihres Alltags geworden.

Einmal hatte Thomas sogar weiße Spuren auf Sharleens Zimmerboden entdeckt, die auf Kokain oder eine andere Droge hingedeutet hatten.

Auch wenn Sharleen mit ihren 25 Jahren bereits volljährig war, gab es gewisse Regeln in dem Haus der Reeds, an die sich auch eine Sharleen halten musste. Solange sie nicht in einer eigenen Wohnung lebte, musste sie sich ihrer Familie anpassen.

„Ja ja", grummelte Sharleen schließlich genervt, um ihren Stiefvater irgendwie abzuspeisen. „Ich hab's verstanden. Keine Hauspartys mehr, bis Hayden ihre Abschlussprüfungen geschrieben hat. Ab sofort gönne ich meiner kleinen Schwester wieder mehr Schlaf. Außerdem: Kein Bier vor vier."

Thomas konnte den Spott aus Sharleens Stimme heraushören.

Sharleen machte sich definitiv lustig darüber, dass ihre Eltern sie darauf hingewiesen hatten, etwas mehr Rücksicht auf Hayden zu nehmen. Angeblich könnte Hayden wegen Sharleens Partyexzessen nämlich nicht länger als sechs Stunden schlafen.

Dass das vollkommener Blödsinn war, hatten Thomas und Isabelle nicht hören wollen.

„Wir meinen das ernst, Sharleen", mischte sich nun Isabelle in das Gespräch ein. Bisher hatte sie sich eher im Hintergrund aufgehalten, doch sobald sie bemerkte, dass Sharleen ihre Unterhaltung ins Lächerliche zog, fühlte sich Isabelle dazu gezwungen, einzugreifen.

Es war wichtig, dass Sharleen die alkoholgetränkten Augen geöffnet wurden.

Und zwar so schnell wie möglich!

„Abgesehen von Hayden solltest auch du dich auf dein Studium konzentrieren, meine Liebe. Partys und Alkohol werden dir nicht dabei helfen, das College im Sommer abzuschließen."

Bei diesen Worten entfloh Sharleen ein frustriertes Seufzen.

Es war eindeutig zu früh, um mit Vorwürfen konfrontiert zu werden. Außerdem hatte Sharleen nicht mehr genug Restalkohol im Blut, um die besorgten Blicke ihrer Mutter, die sich wie giftige Flammen durch ihre Knochen fraßen, zu ertragen.

Sharleen war nicht dumm. Sie wusste selbst, dass ihr Leben in den vergangenen drei Wochen extrem aus den Fugen geraten war.

Ihre Eltern sahen eine verantwortungslose Frau in ihr, die sich aus Spaß im Alkohol ertränkte.

In einer Zeit nach unsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt