31 - Erinnerungsblitze

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Seit Sharleen ein kleines Mädchen war, wurde sie bei Vollmond von grausamen Albträumen heimgesucht.

So war es auch in dieser Nacht.

Schweißgebadet schreckte Sharleen aus ihrem unruhigen Schlaf auf. Mal wieder hatte sie davon geträumt, wie sie die blutüberströmte Leiche ihrer jüngeren Schwester gefunden hatte. Die Erinnerung an Haydens leblose Augen, in denen sich tiefsitzender Schmerz widergespiegelt hatte, sorgte dafür, dass Sharleen am ganzen Körper erschauderte.

Die Polizei sollte ihren Job endlich ernstnehmen und Hayden und Hale ausfindig machen. Andernfalls würde Sharleen früher oder später von ihren Albträumen und Ängsten an den Rand der Verzweiflung getrieben werden.

Hayden fehlte ihr. Sehr sogar.

Selbst das freche Grinsen von Hale, das Sharleen zuletzt vor elf Tagen gesehen hatte, vermisste sie.

Begleitet von ihrem rasenden Herzen schwang Sharleen ihre zittrigen Beine über die Bettkante. Da nach diesem schrecklichen Albtraum nicht mehr an Schlaf zu denken war, musste sich Sharleen unbedingt ablenken.

Kurz verharrte sie noch auf der Bettkante, um sich die letzten Schweißperlen von der Stirn zu wischen, ehe Sharleen in ihre Hausschuhe schlüpfte und dann auf leisen Sohlen in den Flur schlich.

Seit Hayden und Hale verschwunden waren, musste Sharleen durchgängig an den antiken Spiegel auf dem Dachboden denken. Auch wenn die Polizisten behauptet hatten, dass der Spiegel ganz gewöhnlich sei, konnte Sharleen das nicht glauben.

Ihr ungutes Bauchgefühl verriet ihr, dass der Spiegel des Rätsels Lösung war.

Als hätte Sharleen eine magische Verbindung gespürt, die das antike Möbelstück ausströmte, erklomm sie vorsichtig die Holzleiter, die auf den Speicher führte.

Zwar galt der Dachboden noch immer als ein Tatort und war somit nur für die Polizisten zugänglich, aber das war Sharleen in jenem Moment egal gewesen. Sie wollte endlich herausfinden, welches Geheimnis sich um den mysteriösen Spiegel rankte.

Hätte die Polizei ihren Job besser ausgeführt, hätte Sharleen auch nicht das Gesetz umgehen müssen.

Dass Sharleen den Spiegel bereits am Vortag unter die Lupe genommen hatte und infolgedessen in dem Schloss von Sektor eins gelandet war, wusste Sharleen nicht mehr. Ihre Erinnerungen reichten nur noch bis zu dem Gespräch mit Sullivan zurück, welches sie so sehr erschöpft hatte, dass sie danach hundemüde ins Bett gefallen war.

Jedenfalls glaubte Sharleen das.

Sharleen atmete erleichtert aus, als sie wenige Sekunden später den Dachboden erreicht hatte. Da die alten Holzdielen unter ihrem Körpergewicht ächzende Geräusche von sich gaben, hatte sie insgeheim damit gerechnet, jeden Augenblick von ihrer Mutter oder ihrem Stiefvater überrascht zu werden.

Zum Glück blieb Sharleens kleiner Abstecher auf den Speicher allerdings ungesehen.

Anders als am Vortag blieb Sharleen nicht erst mitten auf dem Dachboden stehen, um sich von dem goldenen Rahmen und den funkelnden Edelsteinen hypnotisieren zu lassen, sondern streckte direkt ihre Hand nach den Verzierungen aus.

Eigentlich hatte Sharleen den Rahmen nur berührt, um nach einem Geheimfach oder ähnlichem zu suchen, da zuckten plötzlich heiße Blitze durch ihre Venen. Übelkeit kroch Sharleens Speiseröhre hinauf und Schwindel hüllte ihren Körper in einen Schleier aus Dunkelheit.

Wie von selbst flatterten Sharleens Augenlider zu. Obwohl die Angst jeden einzelnen Zentimeter ihrer Haut bedeckte, genoss Sharleen kurzzeitig das Gefühl der Schwerelosigkeit.

In einer Zeit nach unsDonde viven las historias. Descúbrelo ahora