Kapitel 35

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„Ein Phönix? Calida ist ein Phönix?", wiederholte Novi ungläubig und doch fügte sich in ihren Kopf nun alles zu einem Bild zusammen.
Aber ja. Der Dolch hatte ihre Brust durchbohrt und nur eine Sekunde später, kaum dass ihr Leben erloschen war, hatte dieses gleißend helle Licht den gesamten Innenhof des dunklen Palastes durchflutet. Dann hatte sie den Feuervogel gesehen, der Azariel unablässig attackiert hatte, immer und immer wieder.

„Ja", antwortete ihr Gendry und vollführte ein knappes Kopfnicken. „Man sagt sich, dass Nymphen die gewaltsam ihren Tod gefunden haben, erst in das Paradies gelangen, wenn sie gerächt worden sind."
Deshalb hatte sie den Elfen angegriffen. Sie trachtete nun nach seinem Blut, da sie nicht eher Frieden finden würde, ehe es vergossen wurde.

Calida hatte gewusst, was passieren würde. Sie hatte versucht es Novi in der feuchten und finsteren Zelle zu erklären, hatte ihr gesagt, dass sie nicht verstehen würde, was sie von ihr wollte, doch Novi hatte es einfach abgetan. Wie hätte sie die Rothaarige in diesem Moment auch wirklich ernst nehmen können? So nah, wie sie dem Tode bereits gewesen war? Viele Sterbende faselten Worte ohne Zusammenhang, das hatte ihre Mutter ihr einst erzählt. Sie hatte viele Menschen gehen sehen, war bei ihnen gewesen in ihren letzten Minuten und viele von ihnen hatten angefangen zu halluzinieren und mit anderen Personen zu sprechen, die gar nicht da gewesen waren. Doch Calida war bei klarem Verstand gewesen, hatte versucht ihr die Angst zu nehmen. Sie hatte ihr gesagt, dass sie sie nicht alleine lassen würde und sie hatte wie immer Recht behalten.

Ob sie es geschafft und Azariel seines Lebens beraubt hatte? Oder war sie in den Himmel entflohen, sobald Novi es geschafft hatte davonzulaufen? Würde sie sie wiedersehen?
So viele Fragen schossen in diesem Moment durch den Kopf der blonden Frau.

„Ihr solltet nun gehen", brachte sich Giselle schlussendlich mit in das Gespräch ein, klang dabei besorgt. „Sobald sich die Unruhe gelegt hat, wird man nach Novi suchen lassen und wenn ihr euch bis dahin nicht außerhalb der Stadt befindet, dann werdet ihr Merriwich nicht mehr so schnell verlassen können."

Gendry nickte, setzte sich sofort in Bewegung und schob die Vorhänge, die vor einem der Fenster hingen, etwas zur Seite, um nach draußen auf die Straße blicken zu können. Noch war alles mucksmäuschenstill, doch es würde sicherlich nicht mehr lange so bleiben.

„Nehmt den Hinterausgang", meinte Giselle, die damit begann, ein paar Laibe Brot und wenige Scheiben Käse in einen Stoffbeutel zu packen. Diese drückte sie Arax dann in die Hände.

„Kommst du nicht mit uns?", fragte der Zwerg die alte Freundin seiner Frau.

„Ich habe noch andere Familie und auch Freunde hier", antwortete sie ihm, warf ihm ein sanftmütiges Lächeln zu. „Wenn ich nun verschwinde, dann erregt das Aufsehen und die Königin beginnt Verdacht zu schöpfen. Wenn ich bleibe, dann wird mir und meinen Lieben nichts geschehen."

Der aschblonde Mann nickte, wandte sich dann Gendry und Novi zu. Er half der jungen Frau wieder auf die Beine, die noch immer wie Espenlaub zitterten. „Lebt wohl", meinte der Barde an ihre Gastgeberin gerichtet, die sie daraufhin zu besagtem Hinterausgang führte, der eine schmale Gasse preisgab.

Sie huschten nach draußen. Novi schlang die Arme wieder um ihren Oberkörper, während sie den leichten Windhauch spürte, der ihr blondes Haar umspielte. Sie überließ des den Männern, sich einen Plan auszudenken, denn durch das Haupttor würden sie keinesfalls fliehen können. Es war ja beinahe schon unmöglich gewesen, von dort überhaupt ins Innere der Stadt zu gelangen.

„Also schön", erhob Gendry wieder das Wort, blickte sich zunächst einmal um, um sich Orientierung zu verschaffen. Arax sah zu ihm auf, auch er schien sich ganz und gar auf das Wissen des Barden zu verlassen, immerhin war dieser derjenige, der Merriwich, dank seiner Musik, mit Abstand am häufigsten besucht hatte.

Tanz mit den Schatten (Wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt