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Kapitel 1 - Ein heimliches Gespräch

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Manchmal gibt es Momente im Leben, die ganz und gar keinen Sinn ergeben.

Sie sind wie die Matheaufgaben, die, vom Lehrer erklärt, so logisch lösbar wirkten, aber nun zu Hause, allein im Zimmer, ein völliges Mysterium geworden sind. In einem Augenblick scheint man zu begreifen, worum es geht, im anderen ist da plötzlich dieses Detail, das nicht ins Gefüge passt. Und am Ende ist man komplett verwirrt, was das große Ganze angeht.

So ungefähr fühlte ich mich gerade und leider saß ich weder in meinem Zimmer noch brütete ich über Hausaufgaben.

Ich hatte nicht geplant, mich im Jungsklo einzuschließen.

Eigentlich war ich nur über die Flure der Schule geschlendert, auf der Suche nach meinem Freund. Aber als die Tür zur Toilette aufging und ich einen kurzen Blick riskieren wollte, da hatte mich jemand im Gedränge auf dem Flur geschubst ... und drin war ich.

Jeder andere hätte sich direkt wieder umgedreht und wäre hinausmarschiert, aber ich stand nur da und riss die Augen auf. Aus dem Gang drang gedämpftes Gelächter zu mir durch und für einen Moment wusste ich gar nicht, was ich nun tun sollte.

Doch noch bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, hörte ich, wie jemand die Klospülung betätigte. Und als plötzlich die Klinke hinter mir gedrückt wurde, da war ich in meiner Panik schnell in eine der Kabinen gehuscht.

Es wäre mir furchtbar peinlich gewesen, von einer Horde Jungs in der falschen Toilette entdeckt zu werden. Ich bekam in solchen Situationen kaum ein Wort hinaus und fing an zu stottern.

Ich wollte schon vor Scham im Boden versinken, wenn ich nur daran dachte, was die Leute hier für Geschichten erzählen würden, wenn ich mit hochrotem Kopf aus der Jungstoilette rennen würde.

Wenn eines an dieser Schule nämlich einwandfrei funktionierte, dann war es die Gerüchteküche. Ich hatte also hier drin gewartet, bis es wieder leer geworden war, aber gerade als ich das Klo verlassen wollte, da klappte die Tür erneut und einen Moment später vernahm ich die vertraute Stimme meines Freundes.

Ich wollte schon erleichtert aufatmen, aber noch bevor ich die Kabine verlassen konnte, fiel mir auf, dass er nicht alleine war. Mein Freund sprach mit jemandem und ich runzelte die Stirn, als er eine abfällige Bemerkung machte.

Ich hielt inne und überlegte, ob ich ihn auf mich aufmerksam machen sollte, aber dann sagte er auf einmal etwas, das mich stutzig machte.

»Du wirst dich aus meinen Angelegenheiten raushalten.«

Ein dumpfes Geräusch erklang, als hätte er mit der Faust auf das Waschbecken geschlagen. Seine Stimme klang gepresst, aber es schwang auch eine leise Furcht darin mit. Und das war es letztlich, was mich zu der Entscheidung brachte, abzuwarten. Mit der Hand noch an der Klinke, das Klo bereits aufgeschlossen, hielt ich die Luft an und spitzte die Ohren.

»Was willst du tun, wenn nicht?«, fragte eine deutlich ruhigere und sehr viel tiefere Stimme.

Beim Klang dieser Worte rieselte es mir kalt den Rücken hinunter, denn ich erkannte sofort die Stimme von Alexej Morosow, dem wohl übelsten Menschen, den man hier auf der Schule finden konnte.

Sollte es an irgendeiner Stelle ein Problem geben, dann fand man den Russen garantiert irgendwo mittendrin.

Erst vor ein paar Tagen hatte es auf dem Pausenhof eine große Schlägerei gegeben und nachdem die Lehrer den ganzen Pulk getrennt hatten, fand man natürlich niemand geringeren als Alexej selbst im Zentrum, einen jüngeren Schüler im Schwitzkasten.

Ich wunderte mich einen Moment darüber, weshalb Alexej heute überhaupt hier war. Eigentlich hätte er für das Anstiften einer Prügelei ein paar Tage suspendiert sein sollen.

Das Licht in unseren SchattenWhere stories live. Discover now