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Kapitel 4 - Gemeinsam allein

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Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Bis vor ein paar Stunden hatte ich nicht geglaubt, dass ich jemals mehr mit dem Russen zu tun haben würde als sonst irgendein Schüler hier, der klug genug war, ihm aus dem Weg zu gehen. Nun erhaschte ich jedoch einen Blick auf eine Seite an ihm, die meine Meinung über ihn erschütterte und mich unsicher machte.

Alexejs Arme ruhten auf seinen Knien und hielt meinen Blick durch ein paar schwarze Strähnen hindurch. Die Nachtluft wehte zum eingeschlagenen Fenster herein und strich kühl über meine Haut. Ich fröstelte und zog die Schultern hoch.

Eine tiefe Sorgenfalte hatte sich in Alexejs Stirn gegraben und verlieh ihm einen Ausdruck von stiller Verzweiflung und Müdigkeit. Er sah aus, als hätte jemand auf einmal das gesamte Gewicht der Welt auf seinen Schultern abgeladen.

Doch es war nicht sein gequälter Gesichtsausdruck, der mich aus der Bahn warf, sondern seine Augen.

Sie waren rot geädert, glänzten glasig und waren voller Schuldgefühle.

Ich hatte das Gefühl, als müsste ich etwas sagen, doch da schlug er bereits die Augen nieder und wendete den Kopf ab. Mit einem lauten Räuspern erhob er sich und strich sich mit den flachen Händen übers Gesicht, als würde er damit die schlechten Gedanken vertreiben können.

Ich beobachtete ihn angespannt. Noch immer kniete ich auf dem Boden, ließ mich nun aber zur Seite sinken und starrte ihm hinterher, als er wieder ruhelos umherwanderte. Die beginnende Dunkelheit malte tiefe Schatten auf sein Gesicht und hob die markanten Gesichtszüge hervor. Er hatte die Hände tief in den Taschen seiner schwarzen Jeans vergraben und ich sah, dass er sie zu Fäusten ballte, als könnte er sich nur mühsam beherrschen, um nicht erneut gegen eines der Regale zu treten.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich vorsichtig in den Raum hinein.

Die Frage hing einen Moment lang in der Luft und ich kam mir augenblicklich dämlich vor.

Alexej schüttelte den Kopf und schnaubte, als er sich mir wieder zuwandte. Seine Miene war undurchschaubar geworden und ich fragte mich, ob ich mir den schmerzlichen Ausdruck gerade nicht einfach nur eingebildet hatte. Als er sprach, klang seine Stimme jedoch belegt.

»Schätzchen, du bist zwar blond, aber ich bin mir sicher, dass du mir sagen kannst, ob das hier in Ordnung ist. Ist es das?«

Herausfordernd sah er mich an. Hätte er es in einem aggressiven Ton gesagt, wäre ich vielleicht wieder verstimmt gewesen, aber er klang nur müde.

»Ich meine ja nur«, entgegnete ich deshalb ruhig. Ich hatte damit ja nur etwas Nettes sagen wollen.

»Was meinst du nur?«

Seine Stimme klang noch immer heiser, aber seine Hände hatten sich wieder entspannt und das brachte auch mich dazu, meine Schultern etwas zu lockern.

»Du sahst nur gerade aus, als ob ... als ob du vielleicht ...«

Gegen Ende des Satzes war meine Stimme immer leiser geworden und als Alexej stehen blieb und seine Augen sich verengten, verstummte ich gänzlich. Sein finsterer Blick verriet mir, dass er ganz genau wusste, was ich eben angedeutet hatte.

Eine unausgesprochene Warnung hing in der Luft und ich presste die Lippen zusammen, um nicht noch mehr Blödsinn von mir zu geben.

Bestimmt hatte ich seinen glasigen Blick falsch interpretiert. Am Ende war er high und verpasste gerade ein Treffen mit seinem Dealer. So genau wollte ich darüber gar nicht nachdenken. Er war jedenfalls nicht der Typ dafür, in der Öffentlichkeit Schwäche zu zeigen. Er überlegte sich bestimmt schon, wie er mich zum Schweigen bringen könnte, sollte ich in der Schule herumerzählen, was ich gesehen hatte.

Das Licht in unseren SchattenWhere stories live. Discover now