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Kapitel 2 - Die Sache mit der Spinne

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Es bringt gewisse Vorteile mit sich, ein Lehrerliebling zu sein.

Der Begriff mochte nicht besonders schmeichelhaft sein, aber für mich war es alles andere als unangenehm, die Lehrer auf meiner Seite zu wissen. Wenn man beispielsweise zu spät kam, drückten sie gerne mal ein Auge zu und wenn man aufgerufen wurde und die Antwort auf eine Frage nicht kannte, dann folgte meist nur ein Nicken und der Nächste durfte sein Glück versuchen.

Ich fand jedenfalls nichts Schlimmes daran und meine Mitschüler schien es auch nicht zu stören. Selbstverständlich gab es auch an unserer Schule Fälle von Mobbing, aber ich durfte mich glücklicherweise zu den Leuten zählen, die eigentlich mit allen gut auskamen und im Grunde nicht sonderlich aus der Menge herausstachen.

Eines durfte man dabei aber nicht vergessen. Nämlich, dass ein solcher Ruf manchmal auch gewisse Nachteile mit sich bringt.

Jetzt gerade zum Beispiel wäre ich lieber einer der Schüler gewesen, die von den Lehrern mit grimmigen Blicken taxiert wurden, wenn sie sich ein paar Minuten zu spät zur Tür hereinschoben oder um einen Aufschub für eine Arbeit baten.

Solche Schüler wurden nämlich nicht gebeten, nach dem Geschichtsunterricht zu bleiben, um die alten Karten zurück in die Bibliothek zu bringen.

Ich jedoch wurde soeben mit einem ganzen Stapel davon beladen, sodass ich meine Tasche schließlich auf einen leeren Stuhl warf, um die Arme frei zu haben.

Den ganzen Nachmittag verspürte ich schon eine stille Vorfreude auf den heutigen Abend. Doch leider hatte ich diese mit niemandem teilen können, weil sowohl Sara als auch Simon andere Fächer belegt hatten. Genau genommen hatten sie nach einer Doppelstunde Englisch sogar bereits vor einer Stunde nach Hause gehen können, während ich hier auch nach Schulschluss noch aufgehalten wurde.

Herr Maibachs Gedanken weilten bestimmt auch schon beim Wochenende und da bot es sich natürlich an, seine Arbeit auf einen Schüler abzuwälzen. Die Karten mussten in den Keller gebracht werden, wo sich die Alte Bibliothek befand, wie wir Schüler sie nannten, und dazu musste man einmal quer durch die Schule.

»Die Karten sind sehr empfindlich, Dina«, wurde ich angewiesen, als ich sämtliche Dokumente in den Händen hielt, die mein Geschichtslehrer zu Anfang der Stunde angeschleppt hatte. »Es ist wichtig, dass sie im Keller lagern, wo es kühl und trocken ist.«

Ich nickte abwesend, während ich mir die Wegbeschreibung anhörte.

Niemand ging je in den Keller.

Niemals.

Die Bibliothek war nämlich schon vor Jahren ins Obergeschoss verlagert worden und im alten Gewölbe wurden ausnahmslos die empfindlicheren und wertvolleren Studienobjekte aufbewahrt, die man zur Sicherheit nicht in die neue Bibliothek verlagert hatte, wo tagtäglich viele pflichtbewusste – oder gezwungenermaßen fleißige – Schüler ihre Finger daran wetzen konnten.

Mehr oder minder begeistert machte ich mich auf den Weg. Je früher ich meine Last abliefern würde, desto schneller käme ich schließlich auch hier raus.

 Ich ging wie beschrieben erst einmal ins Nebengebäude und dort die Haupttreppe ganz nach unten. Nach mehrmaligem Abbiegen entdeckte ich die schmale Treppe, die so aussah, als wäre sie im letzten Jahrhundert gebaut worden.

Es war kühl hier unten, was ja auch Sinn und Zweck der Sache war, und die Treppe war steil, sodass ich aufpassen musste, wo ich hintrat. Endlich, nachdem ich ohne Erfolg in ein paar leer stehende Räume und den Heizungskeller hineingespäht hatte, erblickte ich am Ende eines engen Durchganges die grüne Metalltür, nach der ich suchte.

Das Licht in unseren SchattenWhere stories live. Discover now