Kapitel 10

2 0 0
                                    

Viele Momente vergingen in denen ich einfach nur heulend in Riks Armen lag und sein auch so schon nasses T-Shirt, besudelte. Immer wieder strich er mir tröstend über den Kopf und murmelte immer wieder dieselben Worte: alles wird gut.

Doch wir wussten beide, dass das nicht stimmte. Dad würde nie wieder mehr zurück nach Hause kommen und ich hatte nicht das Gefühl, dass der Schmerz, den sein Tod in mir ausgelöst hat, jemals verschwinden würde. Er würde für immer bleiben.

Und ich wusste nicht wie ich damit je klar kommen soll, denn dieser Schmerz raubte mir schier den Atem. Es fühlte sich an, als würde man mich von innen heraus langsam und qualvoll zerreißen.

An der Stelle wo mein Herz eins war, spürte ich nur noch eine blutende, klaffende Wunde, die niemals zu heilen drohte.

Ich kniff meine Augen noch fester zusammen und versuchte einen weiteres hysterisches Schluchzen zu unterdrücken.

Rik hielt mich höchstwahrscheinlich für übergeschnappt, aber das war mir in diesem Moment egal.

Ich war sogar ehrlich froh, dass er derjenige war, der mich versuchte zusammen zuhalten. Den genau das war es auch.

Es war als würde ich nach und nach, Stück für Stück, auseinander fallen und nur Rik hielt mich gerade davon ab in winzige Scherben zu zerbrechen, so wie es mein Herz vor einem Jahr tat.

Es schmerzte so verdammt sehr.

„Schhh"

Rik umarmte mich noch fester und ich bemerkte erst jetzt wie sehr ich zitterte. Ich hatte das Gefühl, dass sogar das Auto anfing zu zittern, als würde es meinen Schmerz mit mir teilen.

„Hey, Vel. Hey, sieh mich an."

Rik hob mein, von Tränen verschmiertes, Gesicht an, sodass ich ihm in die Augen gucken musste, doch ich nahm alles nur noch verschwommen war. Die verdammten Tränen flossen unaufhörlich und wollten kein Ende finden. Dabei war ich es so leid. Ich war das ganze so verdammt leid, doch ich konnte nicht aufhören. Es war, als hätte mein Körper ein Eigenleben. Ich weinte schon seit einem Jahr und versuchte das so selten wie möglich machen. Denn wenn ich einmal anfing, dann konnte ich nur noch mit großer Mühe wieder aufhören.

„Vel?"

Rik versuchte meine Tränen wegzuwischen, doch mein Gesicht blieb immer noch nass, was nicht nur mit dem Poolvorfall zu tun hatte. Es waren einfach zu viele Tränen.

Ich versuchte sie wegzublinzeln, denn langsam kam ich mir wirklich erbärmlich vor. Ich versuchte mir selber immer wieder einzureden, dass ich aufhören sollte, dass es reichte.

Ich brauchte wieder meine Mauer, unzwar sofort, damit ich mich wenigstens etwas im Griff hatte.

„Es tut mir leid.", versuchte ich etwas zu sagen, doch es hörte sich eher wie ein Krächzen. Ich räusperte mich.

„Es tut mir leid, dass du hier bist und dass alles austragen musstest."

Ich versuchte mich aus seiner Umarmung zu befreien, doch er lies mich nicht los. Wenn überhaupt noch möglich, zog er mich noch näher an seine starke Brust heran.

„Du musst dich für nichts endschuldigen, Peque. Du kannst nichts für ihr Verhalten."

Mein Herz machte einen kleinen Sprung bei seinem anderen Kosenamen für mich.

Da Rik Verwandte in Mexico hatte konnte er auch Spanisch und benutze oftmals deren Kosenamen. Aus dem Spanischunterricht, den ich letztes Jahr hatte, wusste ich, dass Peque „Kleine" hieß. Mein Dad hatte mich immer Kleines genannt und das wusste er. Er wusste wie sehr mir das fehlte und versuchte wenigsten etwas aus der Vergangenheit zurück zu bringen, und dafür war ich ihm ehrlich dankbar, auch wenn es bitter-süß war.

„Irgendwas muss ich aber doch falschgemacht haben Rik. Irgendwas. Es kann doch nicht sein, dass sie einfach so von einem Tag auf den anderen mich zu hassen anfing. Wir waren doch mal beste Freundinnen. Sie war verdammt noch mal so etwas wie eine Schwester für mich."

Ich spürte weitere Tränen in meinen Augen aufsteigen und blinzelte wie verrückt. Warum tat es jedes Mal aufs Neuste weh, wenn ich von ihr sprach. Es sollte mir eigentlich am Arsch vorbei gehen, wie sie über mich dachte, aber ich wurde den Gedanken einfach nicht los, dass es vielleicht wirklich etwas war, was ich gemacht oder gesagt hatte, was sie so sehr verletzt hatte, dass sie mich jetzt so sehr hasst.

„Du hast nichts falsch gemacht Vel und das weißt du. Du bist gut so wie du bist."

Er drehte meinen Kopf wieder zu sich, damit er mir in meine langsam zuschwellenden Augen gucken konnte.

„Hörst du? Dieser Mensch hat deine Tränen nicht verdient. Und schon gar nicht, dass du bei dir irgendeinen Fehler oder Schuld suchst wo keiner ist. Dieses Mädchen ist einfach ein Biest. Irgendwann wird sich alles wenden und sie wird Dreck fressen müssen während sie zusieht, wie du immer weiter aufsteigst."

Sein Daumen fuhr einer Träne nach, die sich bei seinen Worten von meinen Wimpern gelöst hatte und über meine Wange lief. Diese Berührung lies mich erschaudern, was Rik dazu veranlasste sich etwas von mir zu lösen um die Heizung aufzudrehen. Mir war eigentlich überhaupt nicht kalt, obwohl meine ganzen Sachen komplett nass waren. Genauso nass wie der Sitz unter mir, wie mir gerade auffiel. Shit.

„Rik? Die Sitze. Wir sind komplett nass."

Ich versuchte seine Jacke auszuziehen, um sie unter meinen Hintern zu legen, doch er hielt mich an meinem Arm auf.

„Das ist gerade das geringste Problem. Es macht nichts und das wird eh nichts mehr bringen."

Er deutete mit dem Kinn auf mein Vorhaben. Ich hatte es gerade mal geschafft meinen rechten Arm aus der Jacke zu schälen.

„Die Sitze sind schon nass und wir sollten jetzt erst mal zusehen, dich ins warme zu bringen. Sind Mason oder deine Mom zuhause?"

Ich bezweifelte, dass Mom zu Hause war. 

Seit Dads Tod machte sie oft Überstunden, sodass sie oftmals erst um zwei oder drei Uhr Nachts nach Hause kam. Sie fing morgens früh an und arbeitete den ganzen Tag bis in die Nacht. 

Ich wusste, dass das nicht mehr so weiter gehen konnte, denn irgendwann würde sie unter dem ganzen Schlafmangel und den Überstunden zusammenbrechen. Doch das war ihre Art sich abzulenken. Wenn wir mal nicht „Familien- Abend" hatten, war sie so gut wie immer nur auf der Arbeit. Und Mase... er übernachtete bestimmt nach dem angeblichen „Training" bei seiner Freundin und behauptete dann am nächsten Tag, er hätte bei einem seiner Kumpels gepennt.

Doch Mom, er und ich wussten, dass das nicht stimmte. Ich hatte ihn eines Morgens erwischt, wie er versuchte mit Moms Concealer, Tiffanys Knutschflecken vergeblich abzudecken.

„Nein. Mom ist bestimmt arbeiten und Mase zeugt mit Tiffany Kinder."

Obwohl ich selber das gesagt hatte, schüttelte es mich. Wie sehr ich auch meinen Bruder liebte, die Vorstellung wie er und Tiff es miteinander trieben, verursachte bei mir Übelkeit.

„Was zum?"

Rik schaute mich bei meinen Worten erst verstört an und fing dann, trotz der traurigen Situation, an zu lachen.

„Kinder zeugen? Oh Mann, Vel.", er kicherte noch einmal, bevor er den Motor anmachte und sein amüsierter Blick brachte mich zum ersten Mal seit langem zu einem aufrichtigen kleinen Lächeln, was er bemerkte, obwohl meine Mundwinkel sich nur ein bisschen nach oben verzogen hatten.

Sein Grinsen wurde noch breiter und für einen kurzen Moment war der Zickenkrieg mit Kim vergessen, als ich die ganze Fahrt lang zu mir nach Hause, Rik aus halb geschlossenen Augen anguckte.

Sein Lächeln verblasste zu keinem Moment und wurde unglaublich sanft, als er sich bei einer roten Ampel zu mir umdrehte und ich so tat als würde ich schlafen.

In Wirklichkeit, bekam ich nicht genug von seinem Anblick.

Doch irgendwie musste ich während der Fahrt eingeschlafen sein, da das einzige woran ich mich im Traum noch erinnern konnte, war seine rechte Hand auf meinem Knie, die mir das Gefühl gab nicht allein zu sein.

Und zum ersten Mal seit langem war ich das auch nicht.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: May 14, 2022 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Sense of Life- Was ist der Sinn des Lebens? [LAUFEND]Where stories live. Discover now