Kapitel 6

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Ich hatte die restlichen Stunden traumlos geschlafen. Zum Glück.

Ich nahm mir meine Schultasche und stieg die Treppen nach unten in die Küche.

"Guten Morgen Livy". 

Moms fröhliche Stimme lies mich zusammenzucken. Sie stand an dem Herd und schaufelte eine volle Ladung Rührei auf einen Teller. Ich ließ meine Tasche neben der Tür stehen.

"Morgen", brummte ich und setzte mich zu Mase an den Esstisch. Er war schon bereits fertig für den Schultag und stopfte sich gerade den ganzen Mund voll mir Rührei. Typisch Mase.

 Ich verdrehte meine Augen und musste mir ein kleines Lächeln unterdrücken, was mich überraschte. Ich hatte seit langem nicht gelächelt. Naja, kein echtes Lächeln.

"Ich werde heute etwas später nach Hause kommen. Ich hoffe es ist okay für euch?". Ich nahm ihr den vollen Teller entgegen, den sie mir hinhielt. Mase schaute auf und unsere Blicke trafen sich, bevor seiner zu Mom wanderte. Er schluckte und sah noch mal zu mir, bevor er seinen Blick wieder auf Mom fiel.

"Ich komme heute auch etwas später nach Hause. Ich hab noch Training", behauptete mein Bruder und sah meine Mom entschuldigend an. Ich wusste dass er log. Er hatte Freitags nie Training. Er hatte sich wahrscheinlich heute wieder mit seiner Freundin verabredet und wollte es bloß nicht vor mir sagen, weil er und Mom dachten, dass ich nicht damit zurecht kam. Ganz ehrlich, es war mir so egal was er trieb.

Naja, okay, nicht ganz, aber sowas könnte er trotzdem in meiner Gegenwart sagen. Die beiden dachten, dass ich immer noch um Dad trauerte, was auch stimmte, und deshalb es den beiden Übel nahm, wenn sie was mit anderen Menschen unternahmen, die nicht zu unserer Familie gehörten. Auch wenn ich ab und zu mit meiner neuen Clique unterwegs war, war ich die meiste Zeit zu Hause in meinem Zimmer. 

Mom rieb sich über die Stirn. Sie wollten mich nicht alleine zu Hause lassen, das konnte ich sehen. Sie befürchteten beide, ich würde das ganze Haus aus Wut und Trauer auseinander nehmen, oder noch schlimmer, mir selber etwas antun. Aber wie schwer die Zeiten ohne Dad auch waren, ich versuchte mich im Griff zu halten. 

Ich war nur ein einziges Mal an die Decke gegangen und das war zwei Tage nach dem wir von Dad's Tod erfuhren. Ich hatte alles rumgeworfen was mir in die Hände kam. Mein Zimmer sah nach meinem Anfall aus, als wäre dort eine Bombe explodiert. Ich verdrängte den Gedanken an jenen Tag und schob mir eine volle Gabel Rührei in den Mund.

"Passt doch", meinte ich kauend. Ich witterte meine Chance, denn wenn Mom und Mase nicht zu Hause waren bedeutete es, dass mich niemand abhalten konnte auf Ryans Party zu gehen.

"Ich hab heute auch was vor". Mase riss im ersten Moment die Augen auf, doch überspielte seine Überraschung, indem er weiter sich Rührei in den Mund schaufelte. Ich runzelte die Stirn.

"Was hast du denn vor?", fragte Mom. Sie setzte sich zu uns an den Tisch und nahm einen Schluck von ihrem Caffè. Sie und Mase mochten es nicht, wenn ich mit meinen neuen "Freunden" abhing, da sie anscheinend eine schlechte Wirkung auf mich hatten. Wenn sie wüssten...

"Ich lerne heute für Bio mit einer Freundin", behauptete ich, da ich nicht wollte, dass Mase seine Freunde auf meinen Hals hetzte, damit die auf mich aufpassten. Mein Bruder sah mich skeptisch an, während meine Mom positiv überrascht war.

"Freundin? Wie heiß sie? Warum hast du uns nie von ihr erzählt?". 

Meine Mom platzte fast vor Neugier. Das war das erste Mal, dass ich irgendeine andere Person erwähnte, die nicht in meinem neuen Freundeskreis war. 

Beide wusste was zwischen Kimberly und mir vorgefallen war und dass ich niemandem so schnell vertraute, oder eher gesagt wenn überhaupt. Ich dachte an Crystal und wie sie versucht hatte in Bio mit mir Kontakt aufzunehmen. Irgendwie tat sie mir leid. Es war nicht gerade toll die Neue zu sein und dann auch noch zurückgewiesen zu werden, wo sie sich getraut hatte mit jemanden Kontakt aufzunehmen... Ich war echt schrecklich.

"Sie heißt Crystal und sie ist neu hier, deswegen hab ich sie auch noch nie erwähnt. Wir haben zusammen Bio und wir sollen an einem Projekt über den menschlichen Körper arbeiten".

Ich log wie gedruckt. Früher hätte ich mich das nie getraut.

"Aha, na dann. Ich freu mich für dich Schatz". 

Sie stand auf und gab mir einen Kuss auf den Scheitel. 

"Ich werde um zehn wieder zu Hause sein. Vielleicht bekomme ich ja noch die Möglichkeit Crystal auch persönlich kennen zulernen". 

Sie zwinkerte mir zu. 

Sicher nicht.

"Ciao ihr zwei. Hab euch lieb". 

Sie nahm ihre Tasche und küsste uns beide auf die Wange bevor sie das Haus verließ. Ich seufzte. Ich dich auch Mom, sagte es aber nicht laut. Sie war je eh schon aus der Tür. Ich stand ebenfalls auf und räumte Moms und mein Teller in die Spülmaschine. Als ich mich umdrehte, stand Mase hinter mir und sah mich skeptisch an.

"Crystal?". Ich schaute ihn verwirrt an. Hä?

"Ja? Sie heißt Crystal. Was dagegen?". 

Ich musste plötzlich an heute Nacht denken, als ich ihn so friedlich schlafen gesehen hab. Jetzt sah er ganz und gar nicht friedlich aus. Er hatte seine Stirn gekräuselt und seine Augenbrauen zusammen gezogen, wie immer wenn ihm etwas unklar war oder er über etwas Ernstes nachdachte.

"Nein. Nein eigentlich nicht". 

Er ging an mir vorbei und räumte seinen Teller ebenfalls ab. "Sicher, dass ich niemanden von den Jungs hierher schicken soll?". 

Er betrachtete mich eingehend.

"Ja... ich bin mir sehr sicher. Hör mal, ich bin kein Baby mehr. Ich kann auf mich selber aufpassen", schnaubte ich und verschränkte die Arme vor meiner Brust.

"Ich weiß, dass du kein Baby mehr bist. Ich meinte doch nur-".

"Ich weiß was du meintest", unterbrach ich ihn. Er seufzte.

"Ich hab mich bloß gewundert, seit wann du dich wieder mit anderen Leuten triffst, die nicht zu deiner Clique gehören". So wie er das Wort Clique aussprach, hörte es sich an, als wäre es etwas giftiges.

"Seit heute? Solltest du dich nicht eigentlich für mich freuen? Du und Mom seid doch immer diejenigen die sagen, ich solle doch mal Freundschaften schließen und mal raus aus meinem Zimmer kommen". Wir gingen beide aus der Küche in den Flur. Ich könnte mich selber dafür ohrfeigen, dass ich beide so angelogen hatte. Mase drehte sich zu mir um und drückte meine Schultern.

"Natürlich freu ich mich für dich Schwesterchen. Wirklich. Ich hatte bloß gehofft, dass Mom und ich die ersten seien würden, mit denen du was unternehmen würdest".

Er nahm mich in den Arm und ich nahm seinen Geruch nach Aftershave auf. Ich hatte seit Dads Beerdigung niemanden umarmt.

Klar, Mase und Mom hatten es mehrmals versuch, aber es endete immer damit, dass ich meine Schulter einfach hängen liest. Doch nicht diesmal. Ich weiß nicht woran es lag. Vielleicht an seinen Worten oder an seinen vertrauten Geruch. 

Oder es war wegen gestern Nacht. 

Oder aber, es war die Tatsache, dass ich mich danach gesehnt hatte. Ich vermisste meine Familie. 

Bevor ich richtig darüber nachdenken konnte was ich überhaupt tat, umarmte ich Mase und hörte wir er überrascht Luft holte.

Ich legte meinen Kinn auf seine Schulter und schloss die Augen.

"Ich hab dich lieb".

Bevor er etwas darauf sagen konnte, löste ich mich von ihm und marschierte aus der Haustür. Er sah mir verwundert und mit einem Lächeln auf den Lippen hinterher.

Ich lief zu meinem Auto, als wäre nichts geschehen. Als hätte meine Maske nicht gerade einen Knick bekommen und ich hatte meinen Gefühlen auch nicht gerade freien Lauf gelassen.

Mist. 

Ich sollte aufpassen, dass sowas nicht noch Mal passierte. 

Ich konnte nicht zulassen, dass meine Bemühungen, niemanden an mich heran zu lassen den Bach runter gingen.

Sense of Life- Was ist der Sinn des Lebens? [LAUFEND]Where stories live. Discover now