36. Kapitel

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Ja, was mache ich hier? Ich will unsere Freundschaft kitten. Ich will mich mit dir versöhnen. Ich will, ich will,... Ach, was will ich denn nicht alles?

Ich drehe mich um und Tom steht hinter mir. Seine Haare sind noch feucht, aber immerhin ist er angezogen. Sein Gesicht zeigt leichte Spuren von gestern. Ein blauer Fleck ziert die Stelle unter seinem Auge. Jetzt gerade sieht er ziemlich wütend aus.

»Dich abholen«, erkläre ich, als wäre es das normalste der Welt.

Tom schaut nicht so begeistert drein. Er verschränkt die Hände vor der Brust und meint: »Ach ja?«

»Ja, Tom...«, sage ich und verdrehe die Augen. Ich versuche ruhig zu bleiben, obwohl ich am liebsten umdrehen und gehen würde.

»Können wir nicht einfach mal miteinander reden? Ohne dass es eskaliert?«, schiebe ich hinterher. Ich will nicht schon wieder geschlagen werden. Das was gestern passiert ist, hat mir eigentlich gereicht.

Er sieht mich an und seufzt dann: »Okay, gehen wir ins Auto?«

Ich bejahe und er hängt sich seine Schultasche über die Schultasche. Dann nimmt er sich einen Muffin und seine Flasche aus der Küche.

»Tschüss!«, ruft er ins Haus, doch keiner antwortet.

»Deiner Mum geht es glaube ich nicht so gut...«, versuche ich zu erklären. Ich sage, dass ich denke, dass sie sich übergeben musste.

Tom wird blass, er dreht sich abrupt um und läuft die Stufen noch einmal nach oben. Kurz höre ich seine Stimme, dann wird die Tür geschlossen. Was ist denn da los?

Nach ein paar Minuten kommt mein ehemals bester Freund wieder die Stiegen hinunter und wir gehen gemeinsam zu meinem Auto.

Wir haben noch eine fast 30 Minuten Zeit, um zu reden und in die Schule zu kommen. In die Schule fahre ich um die 20 Minuten, wenn ich mich beeile und mich nicht an die angegebenen Geschwindigkeitsbeschränkungen halte, dann schaffe ich es auch ein wenig schneller.

»Also«, sagt Tom, nachdem er seinen Rucksack auf die Rückbank geschmissen hat und zieht das Papier von seinem Muffin: »Was wolltest du besprechen?«

»Es tut mir leid«, meine ich und es ist die Wahrheit. Ich weiß nicht, für was ich mich entschuldige, aber ich denke, es ist egal, wer begonnen hat zuzuschlagen und wer den anderen erstes ignoriert hat.

Tom ist still, dann sieht er mich an.

»Mir auch«, erklärt er dann. »Ist deine Nase gebrochen?«, erkundigt er sich dann und wirkt schuldbewusst.

»Nein, glaub nicht, dass du so fest zuschlagen kannst...«, ich grinse. Er verdreht die Augen, lacht aber auch. Dann ist es still zwischen uns.

»Was ist mit deiner Mutter los?«, frage ich.

Er seufzt und sieht in die Ferne. »Sie ist schwanger«, erklärt er und ich hole erschrocken Luft.

»Wirklich?«, ich rechne im Kopf nach, wie alt seine Mama ist. Aber da sie Tom schon mit etwas über 20 Jahren bekommen hat, ist sie jetzt erst etwas über 40 Jahre. In diesem Alter ist es ein Risiko ein Kind zu bekommen, aber es ist noch lange nicht unmöglich.

»Wow, dann bekommst du eine Schwester, oder einen Bruder!«, sage ich und strahle ihn an. Ich wollte auch immer Geschwister. Jemanden, mit dem ich spielen und im Garten herumtollen kann.

»Hast du nicht auch einen Bruder?«, fragt Tom und ich erstarre. Gleich einen Themawechsel, in eine ganz andere Richtung. Genau, einen Bruder, den habe ich ja jetzt tatsächlich... Ich nicke.

»Und wie sind sie so? Meine Mum hat gesagt, dass sie kurz mit dem neuen Freund von deiner Mutter geredet hat... Gregor, ah nein, Georg...«, erzählt er.

»Ja, der ist nett«, gebe ich als Antwort, weil ich nicht weiß, wie ich den neuen Freund meiner Mama sonst beurteilen soll. Ich kenne ihn schließlich nicht einmal richtig.

»Und dein Bruder?«

»Er ist nicht mein Bruder! Höchstens mein Stiefbruder... Und das auch erst, wenn die beiden geheiratet haben!«, fauche ich und bin selbst überrascht, wie aggressiv ich mich anhöre. Er hat mir doch nur eine einfache Frage gestellt. Kein Grund, so aggressiv zu sein...

»Hey, Mann...«, Tom hebt die Hände und sieht mich verwirrt an.

»Sorry, ich wollte nicht so laut werden...«, entschuldige ich mich.

»Also, dein Stiefbruder...«, beginnt er und ich sehe ihn an. Was will er jetzt sagen?

»... den magst du?«

»Ja.«

»Okay«, er lächelt mich an. Und auch wenn ich sonst nichts sage, weiß er wohl, was passiert ist. Wir waren nicht ohne Grund so lange befreundet.

»Bereit für die Schule?«, frage ich dann und starte den Motor.

»Absolut nicht, nein«, Tom verdreht die Augen und lässt sich seufzend weiter in den Sitz sinken. »Weck mich, wenn wir dort sind...«

Dann ist es still. Nach ein paar Minuten ertönt leises Schnarchen vom Beifahrersitz. Da ist er doch tatsächlich eingeschlafen! Ich mache ein wenig Musik an, nur leise versteht sich und fahre aus der Straße hinaus Richtung Schule.

Wenn Tom dann ein Geschwisterchen hat, wird das wahrscheinlich öfter vorkommen. Babys schlafen die Nächte ja meistens nicht durch. Zumindest sagt das meine Mum immer über mein Schlafverhalten als Kleinkind. Wahrscheinlich wollte sie deswegen kein zweites Kind. Weil ich so anstrengend war und mein Dad und sie nicht schlafen konnten.

Ich lenke das Auto durch den Morgenverkehr. Nach knapp 20 Minuten suche ich auf dem Schulparkplatz einen freien Platz. Ich schiebe zurück und mache den Motor aus, als ich in der Parklücke stehe.

»Wir sind da!«, ich stoße Tom in die Seite. Der schreckt hoch und gibt ein undefinierbares Geräusch von sich. Anscheinend war er ziemlich müde.

»Ich will nicht...«, seufzt er und rutscht noch etwas tiefer in den Sitz.

»Ich will auch nicht in die Schule. Aber was soll ich jetzt dagegen tun?«, frage ich.

»Ich weiß es nicht. Wie wär's, wenn wir uns nach der Schule treffen?«, stellt er dann die Frage. Das letzte Mal, als wir uns bei ihm getroffen haben, war Funkstille angesagt. Daran möchte ich jetzt lieber nicht denken.

Ich nicke erfreut: »Und jetzt steh auf, dann schaffen wir es noch vor dem Läuten in die Klasse!«

Wir steigen aus dem Auto, nehmen unsere Rucksäcke von der Rückbank. Ich drücke auf den Knopf beim Autoschlüssel und das Auto ist zugesperrt.

Anschließend laufen wir über die Wiese zum Schulgebäude und schaffen es ganz knapp noch in die Klasse, bevor die Lehrerin die Tür schließt.

Ich grinse Tom an und lasse mich auf einen Platz neben Jana fallen. Er befindet sich in der zweiten Reihe. Weiter hinten sind noch Plätze frei. Tom schaut sich kurz an, doch dann nimmt er seinen Rucksack von den Schultern, zieht den Sessel neben meinem heraus und lässt sich darauf fallen. 

Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]Where stories live. Discover now