VIII

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Ich starrte auf die Rückklappen des Krankenwagens.
Scheiße.
Das war so ein Fehler gewesen.
Aber ich konnte jetzt wirklich niemandem vetrauen.
Neben mir lag eine zitternde, unterzuckerte, blasse Kaia.
Sie konnte mir fast Leid tun.
Aber sie hatte mich verraten.
Auch wenn wir so oder so jeden Moment gefunden worden wären.
Und Timo hatte auch irgendwo Recht.
Ich war kaputt im Kopf.
Geistesgestört.
Fast schon psychotisch.
Der Krankenwagen hielt an.
Jetzt wegrennen.
Noch mal.
Alleine.
Kaia schien zu wissen, was ich vorhatte und sah mich so an, dass mir ein Schauer über den Rücken lief.
Sie krallte sich in meinen Hoodie.
"Altan, renn nicht weg. Wir müssen reden."
"Ich rede nie wieder mit dir", gab ich kalt von mir.
Dann stand ich auf, da einer der Sanitäter die Klappen aufgemacht hatte.
"Kommst du von alleine mit?"
Ich nickte und stand langsam auf.
"Ein bisschen schneller vielleicht?"
Ich kletterte aus dem Krankenwagen und blickte nach oben auf das riesige Krankenhaus.
Ich spürte sofort, dass irgendwas nicht stimmte.
Ich bekam von einem Moment auf den anderen fast keine Luft mehr und fing an, zu zittern.
"Ist alles in Ordnung?", fragte der Sanitäter skeptisch.
Ich nickte zögerlich und ging noch einen Schritt, bevor ich umkippte.

*

"Wie lang war ich weg?", murmelte ich und öffnete meine verklebten Augen.
Ich lag immer noch vor dem Krankenhaus auf dem Asphalt.
"Ungefähr dreißig Sekunden."
Ich nickte und atmete tief durch.
Es ging schon wieder.
Irgendwie lustig, wäre ich jetzt gestorben.
Ein Pfleger kam mit einem Rollstuhl an.
Ich verdrehte die Augen und stieg rein.
Wenigstens musste ich jetzt nicht laufen.
Ich schielte zum Krankenwagen, aus dem gerade Kaia gefahren wurde.
Wir fuhren in den Aufzug und in den ersten Stock.
Ich kaute auf meinem ein ganz kleines bisschen nachgewachsenen Daumennagel und stand auf.
Der, der mich gefahren hatte, klingelte an der Klapsentür.
Ich starrte auf den Boden.
"Oh mein Gott, ich dachte, den finden wir nie. Wo ist die andere?"
"Sie bekommt jetzt eine Magensonde und dann kommt sie auch direkt nach hinten."
Ich musste schlucken.
Irgendwie auch meine Schuld, dass sie zusammengebrochen war.
Ich hatte sie nur damit raus locken können, dass sie nichts essen müsste.
"Gut, Altan. Komm mit."
Sie sperrte eine Türe auf und ich ging rein.
Die Tür fiel ins Schloss.
Dann die nächste Tür.
"Ziehst du bitte deine Schuhe aus?", fragte sie, als ich auch durch die zweite Tür gegangen war und sie diese hinter sich zugesperrt hatte.
Ich nickte und zog die Schuhe aus.
"Und machst du bitte die Schnur aus deiner Hose?"
Ich nickte und tat, was sie mir sagte.
"Okay, danke. Komm mit."
Ich folgte ihr ins Arztzimmer.
"Ziehst du dich bitte aus?"
Ich schluckte und zog meine drei Schichten obenrum aus.
"Stopp, stopp, stopp. Was ist das?"
Sie deutete auf meine Brust.
Die hatte ich ja mal voll vergessen.
"Fentanyl", nuschelte ich.
Vorsichtig zog sie die zwei Pflaster ab.
Dann zog ich noch die Jogginghose aus.
Es war mir sichtlich unangenehm, hier nur in Boxershorts zu stehen.
Sie ließ sich davon nicht beirren und wickelte die Verbände von meinen Armen.
Der rechte Arm sah sogar ziemlich in Ordnung aus.
Aber der linke, heilige Scheiße.
Am Verband klebte so gelbes Zeug und da war irgendwas schleimiges in der Wunde.
"Zieh' mal deine Hose und ein Shirt wieder an, wir gehen sofort in die Notaufnahme", sagte sie geschockt.
Ich tat wieder mal, was mir gesagt wurde und folgte ihr.
Hier war niemand mehr - aber es war auch mitten in der Nacht.
"Bitte renn nicht weg", sagte sie und schloss die Tür wieder auf.
Sie stützte mich in die Notaufnahme.
Ich lugte in eine offene Tür.
Da saß Kaia, und irgendein Typ versuchte ihr einen Schlauch in die Nase zu ziehen.
"Ist das Altan?", hörte ich jemanden sagen.
Ich blickte nach vorne.
Scheiße.
Scheiße.
Scheiße.
Da saßen allen ernstes Niklas und irgendein Weib.
Scheiße.
"Ey", schrie er.
Er hatte mich wirklich erkannt.
Scheiße.
Er stand auf und rannte auf mich zu.
"Wo zum Fick sind meine tausend zweihundert Euro?"
"Keine Ahnung, man."
Natürlich wusste ich es.
Die hatte ich für Drogen und Alkohol verballert.
Er versuchte mir eine rein zu hauen, aber ich war schneller und beförderte ihn mit einem Handgriff auf den Boden.
Hatte der Selbstverteidigungskurs im Knast doch was gebracht.
"Du Wichser!"
Ich kickte ihm dermaßen in die Eier, dass er so auf schrie, dass es mir kalt den Rücken runter lief.
Im selben Moment wurde ich von hinten gepackt und ich sah schon mein Leben an mir vorbei ziehen, bis ich checkte, dass es nur die Betreuerin war.
"Ich hab dein Geld nicht, Wichser!", schrie ich ihm hinterher.
Dann saß ich in einem der Zimmer der Notaufnahme und ein Arzt kam herein.
"Gut, es gab ja ein paar Turbulenzen auf dem Weg hierher. Aber dafür bin ich nicht hier."
Er warf einen Blick auf meinen Arm.
"Das hat sich ja dermaßen entzündet, hast du darüber gekratzt?"
Er nahm meinen Arm in seine Hand und sah mich an.
"Ja, ein mal kurz", gab ich zu.
"Dann zieh' ich dir mal die Fäden. Danach bekommst du Antibiotika und kommst über Nacht auf die normale Station, falls es Komplikationen geben sollte. Aber denk nicht daran, wegzulaufen. Du wirst über Nacht fixiert."
"Scheiße", rutschte es mir raus.
"Ja, scheiße", wiederholte er.
Dann schnitt er vorsichtig Faden für Faden durch und zog diese langsam raus.
Es tat nicht mal so krass weh.
Aber dieser Anblick, heilige Scheiße.
Die Wunde ging Stück für Stück auf und noch mehr von der gelben Suppe quoll hervor.
"Ich bereue es", murmelte ich in mich rein.
Der Arzt sah hoch.
"Das ist doch mal ein guter Anfang."
"Er hat vorhin das Bewusstsein verloren", sagte die Pflegerin, die mich hergebracht hatte.
"Wie lange?"
Er zog den letzten Faden aus meinem Arm.
"Nicht lange, so eine halbe Minute."
"Hast du Drogen genommen?", fragte er mich und leuchtete in meine Augen.
"Hm."
Ich sah auf den Boden.
"Kannst schon ehrlich sein, kalter Entzug ist nicht einfach."
"Oxycodon und Fentanyl."
Er seufzte.
"Nichts weiter? Weißt du, ob das gestreckt war?"
"Also die zwei Sachen waren direkt von der Apotheke, das weiß ich."
"Du hast also doch noch was genommen."
"Ja, keine Ahnung."
Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
"Was denn."
Er sah mir ins Gesicht.
"Man, da waren solche Typen auf 'ner Hausparty und die haben mir Crystal angeboten", ich holte tief Luft, "ich wollte das ja auch nicht. Aber meine Vergangenheit hat mich eingeholt."
"Wie viel Crystal Meth hast du denn genommen?"
Ich holte tief Luft.
"Nur einen Zug, aus einer Pfeife."
Er nickte mir zu.
"Danke für deine Ehrlichkeit. Bist du davon auf Entzug?"
Ich nickte und atmete aus.
"Dann verschreib' ich dir mal ein paar Tabletten."

sechs minuten und dreißig sekunden im himmelWhere stories live. Discover now