IX

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Ich öffnete meine komplett verklebten Augen.
Ich lag in einer Pfütze aus meinem eigenen kalten Schweiß im Krankenhausbett.
Ich zitterte.
Ich konnte mich fast nicht bewegen.
Mein ganzer Körper tat mir unfassbar weh.
Ich griff nach dem Notknopf, aber verfehlte.
Dann versuchte ich es noch mal.
Und noch mal.
Und endlich, ich hatte ihn in der Hand und drückte fünf Mal drauf.
Scheiße.
Ich brauchte ganz schnell was.
Irgendwas.
Was mir half.
Mir war so dermaßen egal, ob es sich dabei um Fentanyl oder irgendeine Entzugshilfe handelte - ich brauchte einfach irgendwas.
Irgendwas.
Eine Pflegerin kam angerannt.
"Was ist los?"
Ich versuchte, irgendwas zu sagen, aber bekam es nicht hin.
"Hilfe", presste ich zwischen meinen Lippen hervor.
Sie leuchtete in meine Augen und legte ihre Hand auf meine.
"Versuch mir bitte, bitte zu sagen, was los ist."
"I-ich", ich atmete tief durch, "Fentanyl."
"Bist du auf Entzug?"
Die Frage war jetzt echt unnötig.
Aber wenigstens hatte sie gecheckt, was ich meinte.
Ich nickte hektisch.
"Ich bin gleich wieder da."
Eine endlos lange Zeit verging, bis sie mit einem Arzt wieder kam.
Dieser nahm meinen weniger verunstalteten Arm und schob mir eine Spritze in diesen.
Scheiße, aber naja, hätte ich mir denken können.
"Gleich wird's besser", murmelte er.
Ich atmete noch mal tief durch.
Meine Augen fielen schon halb zu.
"Sieh mich an."
Ich öffnete meine Augen, so gut ich konnte.
"Ich weiß, du bist nicht mehr zurechnungsfähig. Aber hör mir zu. Das war der Notfallplan. Es gibt Wechselwirkungen zwischen Fentanyl und Antibiotika. Das Fentanyl wird deutlich langsamer abgebaut. Also bist du jetzt eine Weile ziemlich sediert und wirst nicht so ganz verstehen, was passiert. Wir werden in naher Zukunft die Antibiotika absetzen, dann wirst du erst Mal nüchtern und wir reden, wie es weiter geht."
Ich nickte und pennte endlich weg.

*

"Altan?"
Meine Augen waren schwer wie Blei, aber irgendwie schaffte ich es doch, sie zu öffnen.
An mich war anscheinend irgend so ein Ding angeschlossen, das meinen Herzschlag maß.
Ich blickte in zwei grüne Augen, die mir irgendwie bekannt vorkamen.
Zu bekannt.
"Hey."
"Halt die Fresse, du Fotze, ich hasse dich", murmelte ich in mich rein und versuchte weiter zu schlafen.
"Komm schon. Hey. Willst du mir nicht zuhören?"
"Nein."
"Ich hab nicht lange."
"Mir ist das scheißegal."
"Gut, du hörst mir jetzt zu. In dem Zustand kannst du nicht weglaufen, das sollte ich ausnutzen."
"Nerv nicht."
Ich hatte wirklich keine Nerven für den Scheiß.
Aber sie redete natürlich weiter.
"Kannst du mich denn kein Stück verstehen? Du hast dich im Bad eingesperrt und bist umgekippt. Davor hast du mir gesagt, du willst dich umbringen. Ich will nicht, dass du stirbst, Altan! Ich brauche dich."
"Geh weg."
"Verstehst du das wirklich nicht?"
"Nein. Geh weg."
"Kaia, du musst zurück."
"Ja."
"Endlich", stöhnte ich.
"Ich hab' dich lieb."
Sie streichelte meine Hand und ich fühlte so viel auf einmal.
Ekel.
Angst.
Hass.
Geborgenheit.
Was sollte das.
Ich hatte jeden Grund, sie zu hassen.
Mit meinen Gedanken bei ihr pennte ich wieder ein.

*

Ich flackte auf der Couch der Geschlossenen und hoffte einfach, dass Kaia den ganzen Tag in ihrem Zimmer bleiben würde.
Wie die letzten paar Tage, die ich hier verbracht hatte.
Und kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, saß jemand neben mir.
Ich musste nicht mal meinen Kopf heben, ich roch, dass sie es war.
"Willst du mir wirklich für immer aus dem Weg gehen?"
Ich antwortete nicht.
Warum auch.
"Altan?"
Ich konnte ihr nicht für immer aus dem Weg gehen.
Aber ein, zwei Jahre hielt ich das schon durch.
Bis dieser Hass so halbwegs verflogen war.
Als ich in den Knast gekommen war, dachte ich, dass ich, wenn ich rauskam, die gleichen Leute hassen würde wie damals.
Aber ich hasste eigentlich niemanden mehr.
Nur noch mich selbst.
Sie seufzte und stand auf.
Aber anstatt weg zu gehen, stellte sie sich vor mich und hob mein Kinn mit zwei Fingern an.
Ich starrte emotionslos in ihre wunderschönen grünen Augen, bis sie anfing, zu weinen.
Ein PED kam und zog sie weg von mir.
"Altan, was hast du gemacht?"
"Was ICH gemacht hab'?"
Ich lachte leise auf und stellte mich vor sie.
"DU hast mein Leben zerstört."
"Dein Leben war davor schon kaputt", sagte sie verzweifelt.
Ich schluckte.
Sie hatte Recht.
Warum musste ich immer den anderen die Schuld geben.
Ich hatte mich ganz allein in diese Lage gebracht.
Ich verschwand in meinem Zimmer.
Ich hatte nichts.
Wirklich nichts.
Was denn auch.
Klamotten, ja.
Aber nichts Persönliches.
Zuhause in meinem Zimmer lagen ein paar Sachen, das wusste ich.
Aber ich war seit zwei Jahren nicht mehr in meinem Zimmer gewesen.
Was lag da überhaupt.
Meine Crackpipe.
Mein Aschenbecher.
Mein Schlagring.
Mein Notfallschnaps.
Aber die ganze Scheiße hatte keine Bedeutung für mich.
Zumindest keine gute.
Ich schob die Ärmel meines Hoodies nach oben und versuchte, meine hässlichen vernarbten Arme aufzukratzen.
Aber wie auch, wenn ich alle meine Fingernägel abgekaut hatte.
Ich sah mich um.
Nichts.
Überhaupt gar nichts.
Ich rannte auf die Wand zu und schlug meinen Kopf so fest ich konnte gegen die Wand.
Und noch mal.
Und dann meine Fäuste.
Bis meine Knöchel extrem weh taten und bluteten.
Die Tür wurde aufgerissen und der PED von vorhin stellte sich vor mich.
"Beruhig' dich. Bitte."
"NEIN."
"Altan, wenn du dich nicht beruhigst, müssen wir dich wieder fixieren."
"DAS MACHT IHR NICHT!"
Ich ging auf ihn los.
Er packte mich und zerrte mich aus meinem Zimmer.
"DAS IST ALLES DEINE SCHULD!", schrie ich Kaia an, die auf der Couch saß und mit einem PED redete.
"Ich brauch' ein Fixierbett. Schnell."
Ein anderer PED schob das Bett auf den Flur und mit vereinten Kräften hievten sie mich drauf und schnallten mich fest.
Ich zappelte wahrscheinlich wie ein Epileptiker.
Aber mein Hirn funktionierte gerade einfach nicht.
Ich spuckte, so weit ich konnte einem der PEDs ins Gesicht.
"Lass den Scheiß", sagte er genervt und wandte sich dem anderen zu.
"Besorg' mal Lorazepam."
"ERNSTHAFT? IHR WOLLT MIR DROGEN GEBEN?"
"Es sind keine Drogen, es sind Medikamente."
"NATÜRLICH! WAS IST DENN FENTANYL? OXYCODON? DIE GANZE SCHEIẞE, DIE MEIN LEBEN RUINIERT HAT?"
"Mach deinen Mund auf. Bitte."
"NEI-"
Und schon war die Pille auf meiner Zunge.
Ich spuckte sie sofort aus.
"Bitte, kannst du denn nicht ein Mal kooperieren?"
"Nein!"
"Dann müssen wir dir wohl was spritzen."
"Okay, okay! Ich nehm' die Scheiße."
"Danke."

sechs minuten und dreißig sekunden im himmelWhere stories live. Discover now