Epilog

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"Mein Gott, ich hasse mein Leben", stöhnte ich und riss den Briefumschlag auf.
Ich wurde mies hops genommen, zwanzig Gramm Weed.
Das lag deutlich über den sechs Gramm Eigenbedarf. 
Und ich war ja vorbestraft.
Aber daran war ich eindeutig selbst schuld.
Weil ich einfach zu aggressiv gewesen war mit fünfzehn.
"Wann kommt 'n dein Betreuer", murmelte Kaia und passte mir die Bong.
"Scheiße, ich glaub um sechs. Also in zwei Minuten."
Alarmiert stand Kaia auf und riss das Fenster meiner Wohnung auf.
Ich stellte die Bong nach einem fetten Rip in den Schrank und ließ mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl fallen. 
Und es klopfte auch schon an der Tür.
Es stank eindeutig nach Weed, aber was wollte er machen.
"Ja, komm rein", sagte ich.
Er kam rein, roch an der Luft und verdrehte die Augen.
"Wollen wir spazieren gehen?"
Ich nickte und stand wieder auf.
"Was ist das für ein Brief?"
Er deutete auf den Boden.
"Hab' ich dir doch erzählt. Wurde erwischt mit den zwanzig Gramm. Kaia, bleib' hier und mach' dann die Tür auf."
"Okay."
Mein Betreuer und ich gingen nach draußen.
Ich hatte tatsächlich ein T-Shirt an. 
Aber etwas anderes wäre bei der Hitze einfach unmöglich.
"Deine Arme sehen gut aus, bist du clean?"
Ich nickte und schaute betreten auf den Boden.
"Hab' das ja nicht lange gemacht. Eigentlich nur, weil es fast jeder gemacht hat, so, in der Klapse."
"Wie geht's dir gerade?"
"Ganz gut. Es tut gut, mal nicht eingesperrt zu sein. Einfach so kleine Dinge, einkaufen und so."
"Das ist doch schön. Du kommst zurecht? Was isst du so?"
"Viel Mikrowellen-Zeug. Aber manchmal koche ich auch was, Nudeln oder so. Hat mir Kaia beigebracht. Sie kann echt gut kochen."
Er schmunzelte.
"Das ist doch schön. Auch, dass du nicht alleine lebst."
Ich nickte. 
"Ich glaube, ich verliebe mich doch noch in sie."
"Das ist nichts schlechtes. Ich hoffe, das weißt du."
"Naja, hab' halt mies Verlustängste."
"Klar, aber es ist schön, solange es hält. Auch wenn es nicht für immer ist."
Ich nickte und holte eine Kippe aus meiner Jackentasche. 
"Wie viel rauchst du zur Zeit?"
"Weiß nicht, nicht all zu viel. Zehn, fünfzehn am Tag."
"Ja, war mal mehr. Aber wenig ist das nicht."
Ich schmunzelte.
"Ich hab' mit elf mehr geraucht."
"Ja, aber mit elf ging dein Leben auch den Bach runter."
"Das stimmt wohl."
Ich lachte leise.
"Immerhin geht's siebeneinhalb Jahre später wieder langsam bergauf."
Er nickte.
"Freut mich, das zu hören. Und die Tabletten? Nimmst du die immer noch?"
"Ja. Aber nicht mehr so krank viele, weiß nicht, zwei, drei am Tag. Und wenn ich wirklich welche brauche."
"Du weißt, was ich von Medikamentenmissbrauch halte."
Ich nickte betreten und biss auf meine Lippe.
"Das Problem ist, ich hab seit dem Fenta-Entzug Panikattacken. Immer noch. Das weißt du. Ich brach' das Zeug wirklich."
"Ich weiß. Aber ich nehme an, solange du das Zeug zuhause hast, kannst du es nicht lassen."
"Ja. Genau das ist das Problem."
"Anderes Thema, hast du dich um einen Therapieplatz gekümmert? Im Winter geht's wahrscheinlich wieder bergab, und das weißt du."
"Warteliste zwei Jahre für Verhaltenstherapie."
"Das ist natürlich mies. Wie wär's mit Psychoanalyse? Oder Tiefenpsychologie?"
"Tiefenpsychologie kann ich mir schon vorstellen, aber echt kein' Bock, noch mal zweihundert Therapeuten anzurufen."
"Soll ich das für dich machen?"
"Das wär' echt lieb. Ich hab zur Zeit nicht die Energie dafür."
Ich schrieb Kaia und sie machte eine Minute später die Tür auf.
"Also ich telefoniere dann ein bisschen rum, und du versuchst weniger zu kiffen."
Ich schmunzelte. 
"Lässt sich einrichten."
Ich ging zurück ins Haus, die Treppen hoch und in meine Wohnung.
"Willst du weiter smoken?"
"Nein man, bin voll breit", grinste Kaia.
Wäre es jetzt ausnutzen, würde ich sie küssen?
Naja, ich wollte sie ja nur küssen.
Nicht bumsen.
Ich war asexuell.
Das wusste sie nicht, aber irgendwann würde ich es ihr wohl sagen müssen.
Ich hatte noch nie jemanden geküsst.
Und ich sollte einfach nicht mehr weiter nachdenken.
Ich zog sie auf meinen Schoß und sie sah mich mit roten Augen an. 
"Ich liebe dich, Altan."
Ich berührte ihren Nacken mit meinen Fingern.
"Ist das okay?"
Ihre grünen Augen leuchteten mich an und sie nickte.
Vorsichtig beugte ich mich vor und drückte sanft meine Lippen auf ihre.
Sie schmunzelte in den Kuss hinein und streichelte meine Wange. 
Es fühlte sich unfassbar schön an.
Mein ganzer Körper kribbelte.
Ich löste mich von ihr und sah intensiv in ihre Augen.
"Oh mein Gott, hast du dafür lang gebraucht", lächelte sie und wortlos strich ich ihre Haare hinter ihre Ohren.
"Ich hab' Hunger", grinste ich.
"Ich auch", erwiderte sie und stand von meinem Schoß auf.
Ich konnte sehen, dass sie einen Blick in meinen Schoß warf, aber da war nix passiert - offensichtlich - und ihr Blick war wieder weg.
Naja.
Man konnte nicht alles haben.
Sie machte den Kühlschrank auf, holte eine Packung Nudeln raus und schob diese in die Mikrowelle.
Dann drehte sie sich zu mir.
"Warum hast du das gemacht?"
"Ich hab' dir doch gesagt, was noch nicht ist, kann noch werden. Es ist geworden, denk' ich."
Mein Herz raste, als ich das sagte.
Aber ihr Strahlen brachte es fast zum Explodieren.
"Sag es mir. Bitte", schmollte sie.
Ich nahm ihre Hüften und zog sie zu mir.
Ich wollte sie eigentlich noch ein bisschen zappeln lassen, aber was soll's.
"Ich liebe dich", sagte ich leise und griff nach ihren Händen.
"Ich dich auch", lächelte sie und küsste mich so, dass ich fast anfing zu schweben.
"Lass uns die Scheiße das Klo runterspülen. Also, außer Gras und Xannys."
Sie nickte hektisch und ich holte die letzten paar Oxys, von denen Kaia und mein Betreuer keine Ahnung hatten, dazu die einzige Flasche Vodka und sie verschwand aus irgendeinem Grund im Schlafzimmer.
"Ich hör' auch auf", sagte sie, als sie wieder kam.
Sie zeigte mir eine Flasche Brechmittel.
"Besser is'."
Wir rannten ins Bad.
Zuerst kippte ich die Vodkaflasche aus, dann poppte ich schweren Herzens Oxy für Oxy in die Kloschüssel.
"Jetzt du."
Sie machte das Fläschchen auf und entleerte den gesamten Inhalt.
Ich spülte runter.
"Jetzt sind wir frei."

sechs minuten und dreißig sekunden im himmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt