Kapitel 32 - Überraschung

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Es brauchte seine Zeit, bis sich wieder etwas Normalität zwischen uns einstellte. Nachdem wir uns ausgesprochen hatten, waren wir schweigend gemeinsam zurück zum Haus gelaufen. Ich hatte mich in mein Zimmer verkrochen und Barnes streifte irgendwo im Haus umher bis die Nacht über uns hereinbrach. Ich schaffte es nicht einmal mehr noch etwas zu essen, denn ich sank vor Erschöpfung in einen tiefen Schlaf. Auch am nächsten Morgen sprachen wir nicht sonderlich viel miteinander, sondern gingen jeder seinen eigenen Tätigkeiten nach. Während ich in alten Kartons wühlte, die in einer Abstellkammer gefunden hatte, um mich abzulenken, trainierte Bucky wie ein Wilder und versuchte wahrscheinlich ebenfalls seine Gedanken zu betäuben. Allerdings hatte ich ihn schon eine Zeit lang nicht mehr gehört und das Geräusch des Holzknacken vernommen, dass von den Bäumen widerhallte, wenn Bucky wieder einmal zugetreten hatte. Wahrscheinlich setzte er wieder Regel Nummer eins außer Kraft und stattete dem Wald wieder einen Besuch ab. Ich wollte ihm jedoch seine Zeit geben, um sich selbst zu ordnen.

Es war bereits später Nachmittag als ich den letzten Karton zu mir heranzog und auch dessen Inhalt etwas in Ordnung bringen wollte. Als ich den Deckel anhob breitete sich ein kleines Lächeln auf meinen Lippen aus. "Gott, wie lange habe ich die schon nicht mehr in der Hand gehabt.", meinte ich und strich mit meinem Daumen hauchzart über den Einband eines alten Fotobuchs. Der Karton entpuppte sich als eine Sammlung von Erinnerungen, die ich schon längst vergessen geglaubt hatte. Doch jetzt, da ich die erste Seite des Buches aufschlug, kam alles wieder hoch. Das Bild welches ich sah, zeigte mich als kleines Kind. Vielleicht war ich da gerade mal zwei oder drei Jahre alt gewesen. Links und rechts waren meine Mutter und Tony zu sehen, der meine Hand hob und mich in die Kamera winken ließ. Auch wenn ich noch viel zu klein gewesen war, um mich an diesen Moment erinnern zu können, wusste ich, dass ich mich damals geliebt gefühlt hatte. Ich blätterte weiter in dem Buch und stolperte immer wieder über einzelne Momente meines Lebens, die auf Fotos festgehalten wurde. Meine ersten Schritte, das erste mal alleine essen (was eine Sauerei), meine Tanzeinlagen und das freche Grinsen, dass ich schon damals immer auf den Lippen gehabt habe. Es kam mir vor als wäre das alles eine Ewigkeit her, dabei hatte ich nicht mal unrecht. Meine Eltern trennten sich zwar, als ich gerade einmal vier Jahre alt war, jedoch blieben wir weiterhin eine Familie. Nie gab es für mich einen Moment indem ich mich von meinen Eltern nicht unterstützt gefühlt hatte. Das änderte sich jedoch zwei Jahre später mit dem Tod meiner..."Mom", flüsterte ich und betrachtete mit einem traurigen Lächeln das Bild der jungen Frau. "Du siehst aus wie sie." Komischerweise erschrak ich nicht, als ich eine raue Stimme hinter mir vernahm. Ich musste nicht hinsehen. Es konnte nur Barnes sein. "Sie war eine tolle Frau.", meinte ich und löste das Foto aus dem Album, um es an mich zu nehmen. Ich wusste nicht wieso, aber ich schlug das Fotoalbum zu und legte es zurück in den Karton. Vielleicht war Bucky nicht der einzige, dem es hin und wieder schwer fiel sich zu öffnen und anderen einen Einblick zu gewähren. "Hast du genug vom Training?", fragte ich ihn und bemühte mich um einen normalen Tonfall. Er kratzte sich am Kopf und lächelte schief. "Du hast mich wohl gehört vorhin?" Ich lachte und merkte wie die Anspannung etwas von mir abfiel. "Dein unablässiges, aggressives Holz zertreten war kaum zu überhören." Er lachte leicht. "Sorry. Ich musste mich irgendwie auspowern..." Ich wank ab. "Schon gut, das verstehe ich. Du siehst ja, ich habe mir auch ein bisschen Beschäftigung gesucht.", meinte ich und zeigte auf die vielen Kartons, die nun ordentlich gestapelt in einem Regal standen. "Also...", sagte ich gedehnt. "Was gibt es denn?", fügte ich hinzu. Er war sicherlich nicht nur gekommen, um mir heimlich über die Schulter zu spähen. Nervös vermied er Augenkontakt und kratzte sich erneut am Kopf. "Ich brauche deine Hilfe.", platzte es schließlich aus ihm heraus und er schaute mich so erschrocken an, dass ich lachen musste. Ich klappte den Deckel des Kartons zu und drehte mich wieder zu ihm um. "Wie kann ich dir behilflich sein?" Wieder vermied er mir in die Augen zu sehen. "Guck es dir am besten selbst an.", murmelte er und hielt mir die Tür, die hinaus in den Flur führte, auf. Neugierig folgte ich ihm ins Wohnzimmer und musste mich in der nächsten Sekunde zusammenreißen, um nicht laut loszuprusten. Die Küche war ein einziges Chaos. Es stapelten sich Unmengen an Töpfen auf der Küchentheke, überall klebte rote Soße und die Dinger, die wahrscheinlich einmal Nudeln gewesen waren, klebten verbrannt in einem der Töpfe. "Oh Gott Barnes. Was hast du hier veranstaltet?", stieß ich hervor und hielt mir die Hand vor den Mund. "Ich...naja. Ich wollte dir..." Er brach ab und warf mir einen scheuen Blick zu. "Du wolltest was?", hakte ich nach und schnupperte dabei an dem Soßentopf. "Ich wollte uns etwas kochen. Schließlich warst du die letzten Tage immer diejenige, die dafür gesorgt hat, dass wir nicht verhungern...da dachte ich...ach vergiss es." Barnes brauchte gar nicht weiterreden, denn ich verstand, was er mir mitteilen wollte. Er hatte mir eine Freude machen wollen und das obwohl er kochen, wie ich in den letzten Tagen bemerkt hatte, überhaupt nicht ausstehen konnte. "Ich weiß...Ich habe es vermasselt.", sagte er leise und fuhr sich durch die braunen Haare. Ich drehte mich zu ihm um und schüttelte mit dem Kopf. "Ach Quatsch. Es ist irgendwie...süß.", antwortete ich und warf ihm ein kleines Lächeln zu das er erwiderte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich lief auf die Gefahr hin, mein Gegenüber länger als nötig war anzuschauen. Auch deswegen klatschte ich in die Hände. "Tomaten abwaschen und klein schnippeln. Ich kümmere mich derweil um die Zwiebeln.", kommandierte ich. Barnes wirkte überrascht, doch ich ließ ihm keine Zeit zum Zweifeln sondern hielt ihm die Tomaten hin. "Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht doch noch hinbekommen würden.", meinte ich und machte mich ans Zwiebel schneiden. Ein paar Mal stiegen mir die Tränen in die Augen und ich nahm dankbar das Taschentuch entgegen, das Bucky mir hinhielt. Während ich ihm weitere Anweisungen gab und jeder seiner Aufgabe nachging, breitete sich ein entspanntes Schweigen aus. Mittlerweile fragte ich mich sogar, ob das nicht Barnes Plan gewesen war. Wir beide, wieder gemeinsam und im Teamwork, wo uns unsere nächtliche Aktion doch so durcheinandergebracht hatte... Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde es wäre alles wie vorher. Unsere gemeinsame Nacht hatte alles verändert und sobald wir aus dem Haus raus und wieder in der Realität ankommen würden, würde uns das einholen. Doch daran wagte keiner von uns zu denken. Ich war mir sicher, dass Bucky dieses Thema nicht mehr ansprechen würde. Er wusste, dass ich nicht bereit war darüber zu reden, das ich erstmal verarbeiten musste, was ich für einen Fehler begangen hatte und das ich einen inneren Kampf mit mir selbst führte. Würde ich Steve die Wahrheit sagen, oder schweigen?

"Ist das richtig so?", fragte er mich und riss mich damit aus meinen Gedanken. Bucky war gerade dabei kleine Hackbällchen zu formen, die er dann in der Pfanne anbraten würde. Ich beobachtete ihn ein paar Sekunden und sah ihm förmlich an, wie er sich anstrengte, um mir zu zeigen, dass er mit vollem Eifer dabei war. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. "Du machst das genau richtig." Ich mochte es, wie er sich ins Zeug legte, seine Haare zurückwarf und sich auf die Unterlippe biss, wenn er der Meinung war sich noch mehr anstrengen zu müssen. Dabei hatte er das nicht nötig. Ich war immer noch so gerührt von seiner Idee mir etwas zu kochen, dass ich ihm vermutlich alles verziehen hätte. Naja, vielleicht nicht alles, aber einiges. Dank unseres Teamworks und Buckys Lernwillen stand wenig später ein nicht zu verachtendes Mahl auf dem Tisch. Ich konnte es nicht lassen und streifte meinem Kochpartner beiläufig über den Rücken. "Sieht lecker aus.", bemerkte er und stoppte als er meine Hand auf seinem Rücken spürte. Schnell zog ich sie wieder weg und setzte mich ihm gegenüber.

Nach dem Essen, nachdem wir alles aufgeräumt und abgewaschen hatten, wollte ich ihm gerade eine gute Nacht wünschen, als er mir zuvor kam. "Danke für deine Hilfe. Mir hat es sogar ein bisschen Spaß gemacht.", gestand er und ich musste schmunzeln, als er mir mal wieder nicht in die Augen schauen konnte. "Ich habe zu danken. Du warst ein prima Kochpartner und ich...schätze es sehr, dass du für mich kochen wolltest. Ich denke ich weiß, wie sehr du es eigentlich hasst.", antwortete ich, suchte seinen Blick und lächelte ihm zu. Ich wollte mich gerade umdrehen, da griff er nach meiner Hand. Erschrocken starrte ich auf unsere verschlungenen Finger und hatte bereits wieder sämtliche Szenarien im Kopf, doch Bucky überraschte mich erneut. "Wenn du mal reden möchtest...Wegen deiner Mom...Ich glaube es war Regel Nummer sechs. Ich höre dir gerne zu." Er lächelte scheu und ließ dann meine Hand los. "Danke.", antwortete ich leise. Vielleicht war dieser Abend der erste Schritt zurück in die Normalität. Wir könnten vielleicht sogar Freunde werden. Vielleicht...

Desire - Bucky BarnesWhere stories live. Discover now