71) Wie Magie

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Der Eisenkreuzer schießt nicht.

Seymour scheint auch nicht damit gerechnet zu haben. Mit einem zufriedenen Nicken fährt er fort: »Ich habe zufälligerweise gesehen, wie Monsieur Cerisier auf dem Zwischendeck ein Signalfeuer zünden wollte.« Er schiebt Vernon vor sich her und achtet dabei sorgsam darauf, den auf ihn gerichteten Waffen kein gutes Ziel zu bieten. Irgendwie glaube ich nicht, dass er das zum ersten Mal macht, auch wenn er sich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern kann. »Aber dazu ist es nicht gekommen. Also wird Ihr kleines Feuerwerk wohl ausfallen müssen.«

»Es wird ohnehin kein Feuerwerk geben«, wende ich ein. »Diese Maschine, die sie gestohlen haben, ist kein einfacher Sprengsatz. Sie wird einen größeren Schaden anrichten, als sie sich das vorstellen können. Sogar hier oben wären wir nicht sicher.«

»Was wissen Sie über die Maschine?«, knurrt der Eisenkreuzer.

»Sie haben keine Ahnung, oder?«, frage ich höhnisch, schüttele den Kopf und wende mich an Vernon: »Aber Sie müssten es wissen, wenn Sie die Memoiren von König Lyonel gelesen haben.«

Vernon schielt zu dem Messer in Seymours Hand. »Ich ... ich weiß nicht, was Sie meinen, Mademoiselle Pommier.«

»Diese Maschine ist magisch«, fahre ich fort. »Und sie erfordert Opfer. Wollen Sie wirklich so weit gehen? Blut vergießen? Neugeborene töten? Gott spielen, nur, weil Ihnen als Kind der Hintern versohlt wurde?«

Hinter mir lacht eine Frau hysterisch auf.

Vernon wird blass. »Woher wissen Sie das?« Er will sich empört aufplustern, aber Seymour drückt ihm die Klinge an den Hals und er fällt wie ein abkühlendes Soufflé in sich zusammen. »Was damals passiert ist, hat überhaupt nichts hiermit zu tun.«

»Für Ihre Schwester schon.«

Vernon schnaubt. »Camille ist eine Frau.«

Ich habe keine Ahnung, was er damit meint. Vielleicht, dass sie sentimental und gefühlsduselig ist.

»Hier geht es ums Geld, Mademoiselle Pommier. Das ist alles. Die Gesetze, die Präsident Palmier durch das Unterhaus bringen soll, dienen mir und meiner Familie finanziell.«

»Aber sie schaden auch den Joumin«, wende ich ein.

»Ein nützlicher Nebeneffekt, nichts weiter«, behauptet Vernon. »Ich habe nichts gegen die Joumin. Das ist alles Camilles Idee gewesen. Sie war es auch, die sich mit diesem Patron eingelassen hat.«

Bei diesen Worten wandert Vernons Blick anklagend zwischen den bewaffneten Eisenkreuzern hin und her. Sie sind zu viert. Der Mann mit der Brille und drei identisch gekleidete Handlanger. Einer hält die Gäste am Fenster in Schach, einer bedroht den Prinzen und der Dritte steht weiter hinten an der Rückseite des Saals. Dieser Eisenkreuzer trägt keine Pistole bei sich, sondern eine Flinte. Keiner der Männer sieht aus, wie ich mir Eisenkreuzer vorgestellt habe. In den Medien werden sie immer als verwahrloste, langhaarige Spinner dargestellt, die sich mit antiken Reliquien aus dem Neun-Tage-Krieg schmücken.

»Sie glauben, Sie haben gewonnen, oder?«, grollt der Eisenkreuzer mit der Brille.

»Wir haben jedenfalls noch nicht verloren«, erwidere ich.

Mein Puls beschleunigt sich. Mir wird klar, dass wir auf ein unangenehmes Ende zusteuern. Unsere Gegner haben verstanden, dass wir ihren Plan durchkreuzt haben, aber noch haben sie die Situation unter Kontrolle. Sie sind die Männer mit den Waffen. Eine gefährliche Situation.

»Wenn Sie jetzt aufgeben«, sagt Seymour mit gesenkter Stimme, »können Sie mit einer milden Strafe rechnen. Wenden Sie das Luftschiff. Fliegen sie zurück.« Er zuckt mit den Schultern. »Es ist ja im Grunde nichts passiert. Und dieser kleine Ausflug ... ein technischer Defekt ...«

DrudenkussWhere stories live. Discover now