Kapitel 1 - Schatten der Vergangenheit

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In dem Kaminzimmer einer Festung, mit dicken Mauern, saß ein bereits in die Jahre gekommener Lord vor einem flackernden Feuer. Knackend und knisternd fraßen sich die Flammen der Glut durch das Gehölz und erfüllten den Raum im Gegensatz zu den Gängen der restlichen Feste mit einer wohligen Wärme. Hinter den Vorhängen, welche die spätsommerliche Brise ausschlossen, war die Nacht bereits hereingebrochen und hatte ihren dunklen Schleier über das ganze Land gelegt.

Nur wenige Lichtquellen waren in dem Arbeitszimmer entzündet worden, sodass es von einer schummrigen Stimmung erfüllt war. Schatten tanzten an den Wänden, an denen sich zahlreiche Regale voller alter Bücher befanden. Dicke Buchrücken, manche von ihnen schon rissig oder halb zerfallen, andere noch in tadellosem Zustand. Kostbare Güter in einer Zeit, in der Bildung nicht jedem gestattet und die Kunst des Schreibens oder Lesens vor allem dem Adel vorbehalten war. 
Der Mann mit dem ergrauten Haar starrte versunken in das Feuer, die Gedanken ruhelos und aufgewühlt. Seine Finger tippten auf der mit einem edlen Polster überzogenen Armlehne und bezeugten seine kreisenden Gedanken. Die Ursache hierfür fand sich nur ein kleines Stück entfernt von ihm, auf der polierten Oberfläche des hölzernen Beistelltisches zu seiner rechten. Dort, neben einem Buch voller Zettel und einem kleinen Stapel von zusammengerolltem Pergament, Siegelwachs und Schreibzeug, lag ein Brief. Dicke Falze zeugten davon, dass er einst unnötig kunstvoll zusammengefaltet gewesen war. Ein gebrochenes Siegel fand sich an den beiden kurzen Seiten, während sich dunkle Tinte einer kunstvollen Schrift in mehrere Reihen verteilte und die Botschaft anschließend mit einer ausladenden Unterschrift untermalte.
Immer wieder glitt sein Blick zwischen den tanzenden Flammen und dem bedeutungsschweren Pergament hin und her.
'Warum ausgerechnet jetzt?' , fragte sich der Lord immer und immer wieder. Seine Finger, die schon Schwert und Schild gehalten hatten, seit er denken konnte, fuhren über seine Lippen und mit Zeigefinger und Daumen die Form bis zu seinem Kinn entlang. Wie ein Tropfen fielen sie von dort ab, sanken erneut auf die Lehne und begannen das Trommeln von vorn. 

Raschelnd verschob sich ein Stück Holz im Kamin und kleine Funken stoben auf. Ein dumpfes Klopfen an der schweren Holztür des Arbeitszimmers ließ ihn den Blick schließlich von den Flammen fortziehen und brachte die schwirrenden Gedanken fürs Erste zum Stocken.
„Tretet ein", erklang die vom Alter bereits angeraute Stimme, die jedoch noch immer die stille Autorität eines Mannes trug, der einst laut Befehle über ein Schlachtfeld gebrüllt hatte. Der hohe Lord haftete den Blick auf den Diener, der mit einem gehetzten und sichtlich unwohlen Blick an der Tür stand.
„Sire, Eure Tochter ist zurückgekehrt", meinte der Dienstbote mit gesenktem Haupt und der ältere Herr ließ keine Zeit verfliegen, die Hand gebieterisch zu heben.
„Schick sie herein", befahl er und der Mann tat wie ihm geheißen und trat beiseite, damit die junge Frau an ihm vorbei in den Raum schreiten konnte.

Man mochte meinen, dass nun eine edel gekleidete Schönheit von engelsgleicher Anmut den Raum betrat. Eine Lady hohen Standes, der von Kindesbeinen an immerhin nichts anderes nahegelegt wurde, als die Lehren, wie man sich zu kleiden, zu sprechen, zu bewegen und zu präsentieren hatte, um dem hohen Namen, den sie trugen und ihrer Familie Ehre zu erweisen.
Stattdessen schlug zwar hochwertiger, jedoch bis zu den Knien beschmutzter Stoff um die Beine einer jungen Frau von vielleicht 18 Sommern. Das Haar von kupferroter Farbe, war zu einem langen Zopf geflochten worden, der ihr locker über der Schulter lag. Einzelne Strähnen hatten sich bereits daraus gelöst und verliehen ihrem Anblick etwas Ungezähmtes. Selbst ein einzelnes Blatt fand sich in den roten Wellen, das bei ihrem Eintreten schließlich jedoch dem Boden entgegen trudelte. Das Kleid war vergleichsweise schlicht, der dunkelgrüne Stoff musterlos und die Schnürung über dem beigen Unterkleid zu weit geöffnet, um unter kritischen Augen angemessen züchtig zu sein.

Bei diesem Anblick wollte der ältere Lord ein müdes Seufzen ausstoßen. Er ahnte, dass sich unter dem Kleid erneut Hosen verbargen und der Ahnung folgend, hafteten sich seine Augen an die Spitzen von Stiefeln, die unter dem Saum hervorlugten.
Seine Tochter war herangewachsen, kehrte nicht mehr mit zerrissenen Kleidern zurück oder zog ihre Brüder gleichermaßen an den Haaren wie umgekehrt. Dennoch konnte dies alles langsam aber sicher nicht mehr verbergen, dass aus dem Mädchen langsam eine Frau zu werden begann. Die Zeit lief ihm davon.
„Arianna." Die Stimme des Mannes trug einen schweren Tonfall in sich, als er sie begrüßte und ihr andeutete, näherzutreten.
„Sieh Dich an", dabei deutete er mit einem Nicken seines Kinns auf ihr beschmutztes Kleid. "Wo bist Du gewesen?", schalt er halblaut, noch ehe sich die Tür hinter dem Diener wieder geschlossen und sie beide in der Einsamkeit des Zimmers zurückgelassen hatte.
„Ich war nur mit Elyan ausreiten, Vater." erklärte sich die Angesprochene und der Mann schüttelte verständnislos den Kopf.
„Man sollte meinen, sie hätten Dir bei den Priesterinnen diese Flausen ausgetrieben." Dabei wies er auf einen der weiteren beiden Stühle vor der Feuerstelle.

Die Dornen von AvalonWhere stories live. Discover now