Kapitel 7 - Der Merlin

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„Gibt es noch mehr Zeugen? Wer hat es noch gesehen?", forderte der Hauptmann nun laut zu wissen.

Arianna rann ein Schauer über den Rücken. Der Mann war groß und besaß die autoritäre Ausstrahlung, die man brauchte, um Männer anzuführen. Trotzdem rührte das Gefühl nicht unbedingt seinetwegen her. Auch wenn Härte in seinen Zügen lag und eine lange Narbe quer über seine Wange sein Gesicht zusätzlich rau wirken ließ, war es mehr die Gesamtsituation, die sie beunruhigte.

Hier und dort wallten Stimmen auf. Doch Arianna kannte diese Art von Zeugen. Sie WOLLTEN etwas gesehen haben. Jeder wollte es gesehen haben, Teil des Ereignisses sein. Selbst wenn es nicht stimmte. Dennoch wurden sie lauter, beschuldigten den Mann der Hexerei, dunkler Kunst und dass das, was geschehen war, es ein dunkles Omen sei.

Die Stimmen verschmolzen zu blutgierigen Forderungen ... und der jungen Adligen lief es kalt den Rücken herunter. Wo war die zuvor noch so festliche Stimmung hin, das Gelächter und das Lachen? Es war erschreckend, wie schnell die Stimmung umschlagen konnte.
Arianna sah die Schatten in den Zügen. Es waren schwere Zeiten und die Menschen suchten sich manchmal einfach einen Schuldigen. Aber das war falsch.

Sie konnte es nicht fassen, wie schnell ein Fest, wie dieses zu einer Hinrichtung wurde. Gleichzeitig schaffte sie es einfach nicht, ihren Blick von dem Beschuldigten loszureißen. Er wirkte nicht ... gefährlich. Jedenfalls nicht auf sie.

Aber konnte sie das einschätzen? WAS, wenn es stimmte? Wenn sie sich einmischte ... dann musste sie es mit ihrem Namen tun. Und dann konnte sie weder ihren Aufzug noch ihre Anwesenheit hier leugnen. Ihr Vater würde es ganz sicher erfahren. Und was... wenn dieser Mann wirklich gefährlich wäre?
Zwar mochte es für jemanden ihres Standes nicht die gleichen Konsequenzen haben, wie für einen einfachen Bauern. Oder ... andere Folgen. Dennoch musste man sich stets gut überlegen, für den man eintrat und seinen Hals riskierte.

„Ich habe nichts getan. Es ist kein Omen ... es war nur-", stammelte er und versuchte wohl sich zu erklären, da traf ihn die Faust eines blonden Soldaten mit voller Wucht im Gesicht. Sein Kopf fiel zur Seite und sie konnte sehen, wie er kurz die Augen verdrehte. Blut verschmierte seine Lippen und sein Kinn und jetzt drückten sie ihn auf die Knie. Ihr Magen zog sich zusammen.

'Nein ... das kann ich nicht zulassen. Das ist einfach nicht richtig.'
Ihre Finger zuckten, doch sie wusste, dass ein Kampf sinnlos und dumm wäre. Nein... dieses eine Mal musste sie unbedingt nachdenken, ehe sie handelte. 

"Ich lasse nicht zu, dass ein Hexer sein Unwesen in meiner Stadt treibt! Holt den Block!", lautete der kalte Befehl des Hauptmannes und Arianna zog die Luft schärfer ein. Zwei andere Männer schleppten von irgendwo hinter den Reihen an Wappenröcken einen Block aus dunklem Holz heran, an dem noch die Überreste von schwarzem Blut klebten.

„Nein! Ich habe nichts Unrechtes getan!", brüllte der Weißhaarige nun, dessen Stimme verzweifelter wurde. Er riss an seinen Fesseln, versuchte sich zu wehren, doch die beiden Soldaten zwangen seinen Oberkörper nach vorn und drückten sein Gesicht auf den Block aus Holz.

Abermals glitt ihr Blick zu der Fahnenstange. Abgesehen davon, dass es ihr in den Fingern kribbelte, wenn sie daran dachte, dass es wahr sein könnte ... Es ging also nur um einen Vogel, der fortgeflogen war ...? Dafür sollte er sterben? In diesem Moment konnte sie nicht mehr zusehen.

„HALT!", ihre Stimme erhob sich über das Gebrüll und indessen schob sie sich an den anderen Schaulustigen vorbei in den Kreis der Wachen. Sofort scharrten Klingen und so schnell wie sie vorangeschritten war, hielt sie in der Bewegung inne. Nun wichen die Menschen um sie weiter zurück und legten ihre Anwesenheit offensichtlicher bloß. Ein Heilkreis bildete sich hinter ihr und Arianna fühlte sich mit einem Mal sehr viel verwundbarer und einsamer.

Die Dornen von AvalonWhere stories live. Discover now