Kapitel 4 - Frei wie ein Vogel

67 26 17
                                    

Der Klang ihrer Schritte hallte in den Gängen der Festung wieder und begleitete sie wie der Rhythmus von Kriegstrommeln auf ihrem Weg. Die Flure aus blankem Stein in Caer Gawch waren nur spärlich geschmückt, wenn man es vielleicht mit anderen herrschaftlichen Sitzen vergleichen mochte. Ein paar wenige Gobelins, ein Banner in jedem Flur, damit man nicht vielleicht auf dem Weg wohin-auch-immer vergaß, in welchem Sitz man sich befand. Ein paar hölzerne Kommoden oder Schränke, hin und wieder zierten sie Vasen mit getrockneten Blumen oder irgendwelcher alter Tand.

Man vermisste den Prunk und die Dekadenz, die man sich vielleicht bei einem Mann mit solch großem Namen erwarten mochte. Jenen fand man eher repräsentativ in der Haupthalle oder den Gemächern ihres Vaters und ihres Bruders. Doch anders als manch andere Earls, hatte ihr Vater die Gelder seines Landes ansonsten stets gewissenhaft verwaltet. Statt seine Tafeln zu überladen und selbst in Wohlstand zu schweigen, während das Land hungerte, hatte er stets dafür gesorgt, dass die Güter soweit möglich verteilt wurden. Die Speicher waren voll, wenn der Winter begann und sofern die Ernten nicht schlecht ausfielen, kamen die meisten seiner Grafschaft durch den Winter.

Zunehmend jedoch kostete die kopflose Verschwendung und die horrenden Erhöhungen der Steuergelder das Volk mehr und mehr ihres eh schon dürftigen Lebensunterhaltes. Selbst der Earl konnte dies nicht ausgleichen und während andere lieber das 'niedere Volk' hungern und bis zur Erschöpfung arbeiten ließen, wälzte ihr Vater schwere Gedanken hin und her. Eine Lösung jedoch schien in weiter Ferne zu liegen. Sah der König denn nicht, dass an den mageren Knochen des einfachen Volkes nichts mehr zu holen war? Arianna würde es nie verstehen. Doch als Frau würde sie niemals etwas zu sagen haben, keiner hörte zu, wenn sie etwas sagte. Wurden nicht empört die Lippen gekräuselt, dann lachte man über ihre Worte und es fehlte nur noch, dass man ihr wie einem einfältigen Kind den Kopf tätschelte.

DAS war es, was sie so unglaublich wütend machte. Es spannte ihre Muskeln und gab ihr das Gefühl, an all den Dingen zu ersticken, die sie inzwischen beinahe jedem zweiten arroganten Mann ins Gesicht brüllen wollte. Ja, sie hatte ein feuriges Temperament. Ja, sie handelte zu oft, ehe sie nachdachte. JA, sie musste unauffällig bleiben. Aber ... ABER ...!
„Argh!" Arianna kniff die Augen zusammen und ihre Finger zerzausten die Locken an ihrer Schläfe, als sie aus Frust hineingriff. Wenn sie es doch nur schaffen könnte, Kay zu besiegen oder wenigstens zu beeindrucken! Dann könnte ihr Vater sie unterstützen! Der neue Glaube hielt die Weibsbilder klein, drückte sie in den Dreck. Aber hatten nicht schon viele andere große Frauen in der Geschichte bewiesen, dass auch sie Großes vollbringen konnten?! Es musste einen Weg geben ... irgendeinen!


Mit diesem Gedanken drückte sie schließlich die Tür aus festem Kirschholz auf, die in ihr Gemach führte. In der Kammer, die einer Lady angemessen, aber nicht übermäßig groß war, fand sich ein Himmelbett mit dicken Vorhängen aus edlen Stoffen. In einem kleinen Erker befand sich eine kleine Waschkammer mit einer winzigen Wanne hinter einem Vorhang, der von einer Kordel zur Seite gehalten wurde. Durch die Fenster strahlte helles Licht in den Raum und ließ die ausgelegten Teppiche aus fremden Ländern weich und einladend aussehen. Eine Chemise ein kleines, flaches Sofa mit gebogenem Kopfteil lud dazu ein, sich zum Lesen oder Sticken niederzulassen und auf einem Tisch stapelten sich Pergament, Federkiel und Briefe. Ein paar kleine Regale waren gefüllt mit Büchern und auf einem Schminktisch schimmerten Flakons und Schatullen. Angenehmere Wärme stieß ihr entgegen, denn das Feuer prasselte gefräßig im Kamin und empfing sie zusammen mit dem verwunderten Blick ihrer Kammerzofe Grace.

„Mylady?" Grace hielt in der Bewegung inne und ließ den Staubwedel sinken, mit dem sie gerade die Regale gesäubert hatte, „Ihr seid früh zurück?"

Arianna schnaubte, während sie die Tür hinter sich schloss und den Gürtel um ihre Hüften löste. Sie warf ihn auf einen kleinen Scherenstuhl neben der Tür und machte sich dann bereits daran, die Schnürung des Wappenrockes an ihrer Seite zu öffnen.
„Ich verstehe ... es war kein guter Tag?" mutmaßte die junge Frau, deren blondes Haar unter einer weißen Haube steckte und die sofort herangeeilt kam, um ihrer Herrin zur Hand zu gehen.
„Ich hasse es!", stieß Arianna indes aus, während sie die ledernen Schnüre aus den Ösen zerrte, „Vater wusste ganz genau, dass ich gegen Kay keine Chance haben würde!" machte sie ihrem Ärger Luft. „Ich meine, was sollte das?! Manchmal glaube ich, er hat nur eingewilligt, weil er WOLLTE, dass ich versage!"

Die Dornen von AvalonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt