Ich brauchte einen Tapetenwechsel

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„Lasst mich! Ahhh lasst-t mich b-bitte l-l-los." Hörte ich ihre Stimme erneut in dieser qualvollen Nacht.
„Das hättest du wohl gern Kleine. Aber ich denke nicht mal daran, dich loszulassen, dafür haben wir hier viel zu viel Spaß. Du, ich, und John." Arnold lachte höhnisch.
Meine Zimmerwände erzitterten beim Klang seiner Stimme. Meine Schwester war ihnen ausgeliefert, sie tat mir so leid. Dass sich Arthur - der beste Freund meines Erzeugers - gerade an mir verging, versuchte ich auszublenden. Immerzu dachte ich an meinen Engel. Sollten sie mich doch jeden Abend schänden, ich hätte alles in Kauf genommen, um sie zu verschonen. Mein Engel, mein kleiner, zauberhafter Engel.

„.. M-mein Engel..., mein kleiner zauberhafter E-Engel. Nein, lasst sie gehen! Verdam-.."
„Hey Mate, alles okay? Du redest während du schläfst. Oh mein Gott, das ist so gruselig, das tat meine Tante Violett immerzu, wenn ich in den Ferien bei ihr in der Bretagne war!" Ich öffne langsam meine Augen und kaum, dass ich mich an das Tageslicht gewöhnen kann, redet Francois schon wieder wie ein Wasserfall. Ein nie endender Wasserfall.

„Wir sind jetzt in London, komm aufwachi aufwachi!!!" Er springt auf und reißt mich aus dem Sitz. Ich hasse Hektik, insbesondere wenn sie von einem dürren, Baguette-hassenden Franzosen kommt, dessen Tante in der Bretagne wohnt und nachts Selbstgespräche führt.

.....Ich denke ich habe es auf den Punkt gebracht.

Ich strecke meine - von der langen Fahrt angespannten - Gliedmaßen und nehme die städtische Luft in meiner Nase auf. Riecht gar nicht so übel, wenn man bedenkt, wie viele verschwitzte Studenten nach einem langen Tag in der Uni hier in den Straßen unterwegs sind. Es liegt ein Duft von Karamell in der Luft. Ist das typisch für London? Keine Ahnung. Ich kenne mich hier nicht aus und es interessiert mich auch sichtlich wenig.

Ich schaue mich am Bahnsteig um und kann Francois nirgendwo entdecken. Nicht, dass ich ihn gern in meiner Nähe haben würde, allerdings darf er mir auch nicht entwischen, ich brauche diese WG!
Meine Augen wandern über die Menschenmassen und ich halte Ausschau nach einer roten Strickmütze, einem verrückten bunten Shirt, sowie einer durchlöcherten Jeans. Kurz: Francois.

Ah da drüben steht er, am Kaffeeshop. Der Idiot hat genug Geld für einen weiteren Kaffee und nicht für meine Reinigung. Dreh ihm den Hals um, stich ihm die Augen aus, t-töte ihn Nathaniel. Was? Nein. Denk dran, du möchtest diese WG-Schlüssel!

„Oh hey Mate! Wir können uns mal auf den Weg machen, hab mir nur eben noch einen Kaffee geholt. Haha! Ich hab sogar die Rechnung mitgenommen, irgendwann zahlst du den mir noch ab." Ich verdrehe meine Augen. Er nimmt einen großen Schluck aus der Tasse. Seine Augen weiten sich geschockt.
„Fuck ist das heiß! Zut! Merde!" flucht er auf französisch.
Wieso ich etwas französisch kann? Ich möchte Literatur und Poesie studieren. Französisch ist die Sprache der Liebe, für mich ist Poesie Liebe, darum ist es ein MUSS.
„Das war Karma." gebe ich knapp von mir.
„Ach halt dein Maul, da kommt nur Scheiße raus." sagt Francois. Sein französisches Temperament kommt wohl zum Vorschein. „Ich weiß nicht wieso du mich so disst die ganze Zeit? Ich bin es nicht gewöhnt, dass Leute mich nicht auf Anhieb vergöttern." Er zwinkert verschmitzt.
„Aber irgendwie mag ich dich genau deshalb Nathaniel! Du bist echt und täuscht nicht nur alles vor." Er umarmt mich.
Schmeiße ihn auf den Gleis. Drücke ihm die Luft weg. Lass ihn zurück.
„Ich nehme das mal als Kompliment Francois. Gehen wir nun zu der vermeintlichen Wohnung?"
„Ja, ist direkt um die Ecke Mate. Dann lernst du auch deine anderen Mitbewohner kennen!"
„Gut. Bringen wir es hinter uns."
„Wie bitte?" Francois presst seine Lippen empört aneinander.
„Äh- ich meine ... bringen wir meinen neuen Mitbewohnern doch Donuts mit, du meintest doch, dass direkt unter der Wohnung ein Café ist!"
„Oh oui! Super idée Mate!" Puh. Gerade noch meinen Platz in der WG gesichert.
„Wieso stößt du eigentlich so mitten im Semester dazu?"
„... ich brauchte einen Tapetenwechsel."
„Da muss ich dich enttäuschen Mate... die Tapeten in unserer Wohnung sind zum einen sterbens langweilig und zum anderen, halb abgeblättert..". Er kratzt sich peinlich berührt an der Stirn.
„Jede Tapete ist mir recht. Also los, gehen wir endlich....... äh Donuts holen, die anderen warten ja bestimmt schon ganz gespannt."
„Ja! Wir warten seit Monaten auf einen Neuzugang, natürlich nicht nur um weniger Miete zu bezahlen hihihi." Er klopft mir auf die Schulter.

Sie alle sehen Scheine in dir. Du bist nichts als eine laufende Geldquelle für sie. Sie beuten dich aus, sie suchen nur nach ihren eigenen Vorteilen. Du bist ein Mittel zum Zweck.

(Danke für's Lesen <3 Feedback immer gern 🦋)

Gelbe NelkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt