Kapitel 61

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Aurelia und Manuel

Aurelia stand in dem winzigen Bad, betrachtete ihren nackten Körper im Spiegel. Zwei Monate war sie nun schon trocken, einige Pfunde war sie bereits los geworden. Lange nicht genug, aber eine Kleidergröße weniger hatte sie erreicht. Ohne Manuels Hilfe wäre das alles hier, ihr zweites Leben, wie sie es bei sich nannte, niemals möglich gewesen.

Er hatte sich stundenlang mit ihr unterhalten, nicht nur über ihr Leben, auch über anspruchsvolle Filme oder Bücher, über das Weltgeschehen. Immer mehr hatte sie gespürt, dass sie nicht dumm war, dass sie zu guten Gedanken fähig war.

Er war mit ihr spazieren gegangen, damit sie Bewegung hatte, wollte sie überreden, in ein Fitness-Studio zu gehen. Aber sie schämte sich ihrer Massen zu sehr. Da hatte ein Kumpel von ihm eines Tages ein Spinning-Rad vorbeigebracht, das in dem kleinen Wohnzimmer noch Platz fand. Darauf quälte sie sich konsequent mindesten eine Stunde am Tag.
Sie hatte Freunde von ihm kennengelernt, eine nette Clique, die sie annahm wie sie war.

Hin und wieder griff die Gier nach Alkohol nach ihrer Seele, doch dann erinnerte sie sich daran, was sie ihrem Kind wegen dieses Teufelszeuges angetan hatte.

Adrian! Immer öfter schlich sich der Gedanke an ihn in ihr Gehirn.

Wie es ihm wohl ergangen war?
Ob Stefan mit dieser Paula, die sie damals so gehasst hatte, noch zusammen war?

Oder hatte diese Beziehung auch nicht gehalten?

Zwei Monate lebte sie nun schon bei Manuel. Nächste Woche würde er seine Doktorarbeit abschließen, eine weitere Woche später seine Facharztausbildung in Madrid beginnen.

Was würde dann aus ihr werden?
Könnte sie zurück nach Deutschland?
Würden ihre Eltern sie wieder aufnehmen?

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Manuel stand heute zum letzten Mal hinter dem Bartresen. Ein wenig wehmütig wischte er die Theke ab, polierte er in Gedanken versunken die Gläser. Seine Doktorarbeit war geschrieben, ein paar Korrekturen noch, dann war es geschafft.

Was würde aus Aurelia werden, wenn er nach Madrid ging?

Er erinnerte sich an den Abend, als er beschlossen hatte, ihr die Augen zu öffnen. Es war gut, dass er das getan hatte, sie war es mehr als wert, dass er sich um sie kümmerte.
Er mochte ihren starken Willen, ihre Klugheit.
Er mochte ihre Gegenwart in seiner Wohnung, ihr Lachen, ihre Fröhlichkeit, auch wenn immer wieder tiefe Schatten über ihr Gesicht fielen.

Ihm war klar, dass er zwar viel von ihrem Leben wusste, dass sie aber ein Geheimnis für sich bewahrte, das sie zu quälen schien.

Doch er hatte nie nachgefragt.

In zwei Wochen spätestens würden sich ihre Wege trennen. Irgendetwas in seinem Inneren schmerzte.
Er wollte das nicht!
Er wollte sie nicht hier alleine zurücklassen.
Er wollte sie überhaupt nicht zurück lassen, nirgendwo.

Hatte er sich verknallt?
Verliebt?

Das Rasen seines Herzens bei diesem Gedanken schien seine Frage zu beantworten.

Ja!
Das war mehr als mögen, als Freundschaft.

Der Hotelmanager kam mit einem Blumenstrauß und einem Umschlag, er bedankte sich für die zuverlässige Arbeit, an Manuel plätscherten die Worte vorbei.
Geistesabwesend nickte er.
Ich muss nach Hause! Die Worte drehten sich in seinem Kopf.

Ich muss mit Aurelia sprechen!
Ich bin ihr Freund!

Sie ist meine Freundin!
Ich will sie nicht zurücklassen!
Alleine!

Aurelia zuckte zusammen, als die Wohnungstüre stürmisch aufgerissen wurde. Ein vollkommen aufgedrehter Manuel kam herein, bremste kurz vor ihr ab. „Geh mit nach Madrid!" stieß er hervor.

Sie sah ihn mit großen Augen an. „Nach Madrid?" fragte sie mit zitternder Stimme. Schon wieder ein neuer Ort, eine neue Welt, ein neues Leben?

Manuel sah die Panik auf ihren Gesichtszügen, ermahnte sich, langsam vorzugehen.

Die Männer in ihrem Leben hatten ihr nicht gut getan, hatten sie in diese Abwärtsspirale getrieben, zu dem ihr Leben geworden war.
Zu ihm hatte sie gerade Vertrauen gefasst, doch er war für sie ein Freund. Und den brauchte sie in diesem Stadium dringender als einen neuen Geliebten.

Er zwang sich zur Ruhe. Sie sollte seine Gefühle nicht spüren, nicht, dass sie sich vor ihm zurückzog.

„Ja! Ein Teil meiner Familie lebt dort, eine Menge Freunde. Du sprichst ziemlich gut Spanisch. Wir suchen uns eine Wohnung, leben wie hier, nur etwas komfortabler!"

Aurelias Blick lag ausdruckslos auf ihm.
„Und du willst das wirklich? Oder fühlst du dich dazu verpflichtet? Willst du mich im Auge behalten, weil du glaubst, ich werde rückfällig?"
„Ich will dich im Auge behalten, weil wir Freunde sind!" antwortete er ruhig.
Da tauchte das Lächeln wieder auf in ihren Augen, die so wunderschön sein konnten, wenn sie nicht von Trauer umwölkt waren.

„Okay!" sagte sie und fühlte, dass es richtig war. „Aber ich beteilige mich an der Miete und an allem! Du weißt, dass ich Geld habe!"

Wieder kam der Schmerz zurück.
Geld, für das ich mein Kind beinahe umgebracht habe, für das ich es verkauft habe.
Weil ich auf die Worte des Teufels gehört habe.

Manuel nahm sie vorsichtig in die Arme. „Da gibt es doch noch etwas, das du mir bisher nicht erzählt hast!" flüsterte er.
Er zog sie neben sich auf das Sofa, das seit Wochen sein Nachtlager war. Das Möbelstück ächzte nicht mehr so sehr wie zu Beginn, wenn sie sich zum Fernsehen zu zweit darauf niedergelassen hatten.

Aurelia wusste, dass es nun an der Zeit war, auch das Letzte, das Schlimmste, das gegen sie sprach, los werden musste.
So viel hatte sie schon preisgegeben, alles hatte er geschluckt, verstanden.

Noch einmal atmete sie tief ein. „Ich war schwanger...." begann sie und konnte erst wieder zu reden aufhören, als der letzte Satz gesagt war. „Ich habe sein Leben riskiert! Für fünf Millionen Euro."

Manuel sprang auf, lief zum Fenster, lief wieder zurück. Er wischte über sein Gesicht, als wollte er dadurch vertreiben, was er eben gehört hatte.
Aurelias Herz wurde kalt vor Angst. Er würde sie verurteilen, würde den Stab über ihr brechen – und das zurecht.

Doch seine ersten Worte ließen sie erleichtert aufatmen. „Du musst ihn anzeigen! Das war sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und noch viel mehr! Ich verstehe nicht, dass die so gründliche deutsche Polizei das nicht bemerkt hat!"

„Ich habe doch niemandem die Wahrheit gesagt! Die sind alle davon ausgegangen, dass ich freiwillig mitgegangen bin!"

Für Manuel war es unfassbar, dass ein ausgebildeter Krankenpfleger eine so hohe kriminelle Energie aufgebracht hatte. Doch natürlich glaubte er ihr jedes Wort.
„Darüber müssen wir noch sprechen!" Er würde nicht zulassen, dass der Typ ungeschoren davon kommen würde.

„Und? Vermisst du dein Kind?" fragte er eine Weile später.
Aurelias Blick wich seinem aus. Oft hatte sie sich selbst diese Frage gestellt.
Vermisste sie einen kleinen Jungen, den sie nicht gewollt hatte, dessen in ihr wachsendes Leben sie überfordert hatte?

„Nein!" antwortete sie schließlich. Sie fühlte sich mies bei diesem kleinen Wort, aber sie wollte ehrlich zu Manuel sein. „Nein! Ich vermisse ihn nicht. Ich war nicht reif genug, Mutter zu sein. Bin es heute auch noch nicht. Vielleicht werde ich auch nie dafür bereit sein. Aber es tut mir so unendlich leid, was ich ihm angetan habe. Ihm und auch Stefan!"

Manuel hielt sie fest im Arm.
„Es geht ihm sicher gut!" beruhigte er sie.

Aurelia sah in seine Augen, sah plötzlich einen Weg vor sich. „Ja! Und ja, ich werde mit dir nach Madrid gehen. Ich werde etwas Sinnvolles mit dem Blutgeld machen. In dieser Stadt gibt es sicher Möglichkeiten ohne Ende dafür!"

Er spürte ihre Stärke, fühlte dass sie es schaffen würde.


Paulas PlanWhere stories live. Discover now